Ukrainischer Christ im Advent
«Gott ist gegenwärtig, ob wir es spüren oder nicht»
In Konflikten bekommt die Adventszeit – und das Kommen des Friedensfürsten – eine noch grössere Bedeutung. Aber Frieden bedeutet nicht nur die Abwesenheit von Krieg, sagt Taras Dyatlik. Es geht um Gottes Gegenwart in unseren Herzen und Köpfen.
«Im alttestamentlichen Buch Micha lesen wir, dass Gott unser Frieden sein wird, wenn die Assyrer ins Land einfallen», erklärt der ukrainische Theologe Taras Dyatlik und bezieht sich dabei auf die Bibelstelle in Micha, Kapitel 5, Vers 5. Dyatlik ist Projektleiter des «Slawischen Bibelkommentars» sowie des «Zentralasiatischen Bibelkommentars».
«In einer Zeit des Friedens können wir diesen Text im Advent als eine weitere messianische Prophezeiung lesen. Aber wenn man ihn liest, während man einen anhaltenden Krieg erlebt, ist das eine ganz andere Erfahrung. Wenn Sie Frieden für Ihre zerbrochene Seele und für die zutiefst traumatisierten Menschen, mit denen Sie täglich arbeiten, suchen, bekommt der Text eine neue, tiefere Bedeutung.»
Zusage in Bedrängnis
Micha schrieb seine Prophezeiung über den Messias, als die Assyrer in das Land Israel eingefallen waren. «Es war eine Zeit der Angst, der Verzweiflung, des Todes und der Züchtigung seines Volkes durch Gott. Doch gerade in dieser Zeit der Hoffnungslosigkeit hörte das Volk Gottes eine Verheissung über die künftige Hoffnung: 'Wie ein Hirte seine Herde weidet, so wird der neue König regieren. Sein Gott hat ihn dazu beauftragt, vom höchsten Herrn erhält er seine Kraft'.»
Die Zeit des Krieges ist eine Zeit der tiefen Verzweiflung. «Wir suchen nach äusserem Frieden, das heisst nach einem Ende der Kämpfe oder zumindest nach einem vorübergehenden Waffenstillstand. Wir wollen den Frieden als einen inneren Zustand unserer Seele und unseres Geistes erfahren. Als die Assyrer in Israel einfielen, beschrieb Micha den Frieden als die Anwesenheit Gottes inmitten seines verängstigten und leidenden Volkes, als die Quelle seines Friedens.»Ringen mit Gott
Taras Dyatlik weiter: «Als Christusnachfolger in der Ukraine fordern wir Gott gerade jetzt aus tiefstem Herzen heraus. Infolge unseres tiefen und andauernden Schmerzes haben wir oft Angst, uns auf Gott zu stützen und ihm zu vertrauen. Oft scheint er weit weg zu sein. Wir fragen uns: Wenn Gott da ist, wie konnte es dann zu diesem Krieg kommen? Warum sind unsere Freunde und geliebten Menschen gestorben? Das ist ein verlockender Gedankengang. Aber Gott ist bei uns, in Zeiten des Friedens und in Zeiten des Leids, ob wir es spüren oder nicht.»
Die Geschichte von Jakob, der mit Gott ringt (1. Mose, Kapitel 32, Verse 23–33), ermutige ihn, weiter zu leben und Gott zu dienen, egal wie die Umstände sind. «Während er mit Gott rang, wusste er nicht, was ihn am nächsten Tag auf der anderen Seite des Flusses erwarten würde. Würde ihm ein Krieg mit seinem Bruder bevorstehen oder ein Leben in Frieden? Ich ertappe mich dabei, dass ich wie Jakob zum Herrn schreie: 'Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest!'»
Licht in der Finsternis
«Wenn ich den Frieden verliere und von Angst oder Panik vor dem morgigen Tag überwältigt werde, bitte ich nur um eines: Möge ich in der Dunkelheit der Nacht lieber mit Gott ringen wie Jakob, als ihm falsch zu dienen wie Hannas und Kajaphas im Tempel. Du magst meinen Schenkel verletzen, mich schlagen und demütigen, aber du segnest mich auch und schenkst dich mir als den Frieden.»
In der Ukraine werde die Adventszeit begrüsst. «Aber in dieser Zeit lernen wir nicht nur für den Frieden zu beten, sondern auch zu erkennen, dass Frieden nicht nur die Abwesenheit von Krieg bedeutet. Es geht um Gottes Gegenwart in unseren Herzen und Köpfen; er ist die Quelle unseres Friedens inmitten der Hoffnungslosigkeit.»
Es gehe um sein Licht in der Dunkelheit, unabhängig von dem Schmerz, den man erlebt. «Was auch immer wir durchmachen – ob Krieg, Leid, Sünde oder Schmerz – unser Friede bist du, Emmanuel, Gott mit uns.»
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Autor: Taras Dyatlik / Daniel Gerber
Quelle: Premier Christianity / gekürzte Übersetzung: Livenet
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