Neues Leben nach Covid-Koma
«Mein Leben hing an einem seidenen Faden»
Er war anderthalb Monate im Koma, hatte mehrere Darminfarkte und Blutvergiftungen. Doch dann erhielt Rolf Bellwald aus Bern sein Leben zurück – ein Leben, welches erfüllter ist als zuvor.
«Auch nach Feierabend konnte ich meine Füsse nie stillhalten», berichtet Rolf Bellwald von seinem früheren Leben. Stets stürzte er sich in Aktivitäten, welche kaum ein Ende fanden. Am 29. August 2021, ausgerechnet an Rolfs 50. Geburtstag, begann sich sein Leben radikal zu verändern. Er hatte Fieber und wurde positiv auf Covid getestet.
Auf der Intensivstation
Tagelang blieb das Fieber bestehen, dazu kamen andere schwerwiegende Symptome. «Irgendwann schickte mich meine Frau ins Spital.» Rolf, welcher selbst Pflegefachmann ist, begab sich unfreiwillig auf eine Odyssee, welche von einem Krankenhaus zum nächsten führte. Im Inselspital Bern wurde schliesslich eine beeinträchtigte Lungenleistung im Rahmen der Covid-Infektion festgestellt. «Ich erhielt jede Menge Sauerstoff und Inhalationen, aber irgendeinmal waren die Ressourcen aufgebraucht und die Sauerstoffsättigung begann sich zu erschöpfen.» Mehrmals stand das Notfallteam an seinem Bett. «Die Qual wurde grösser und ich bat, mich davon zu befreien.» Nach einigem hin und her wurde Rolf intubiert und ins künstliche Koma versetzt.
Mehrmals hauchdünn am Tod vorbeigeschrammt
Während des Koma-Zustands erlitt Rolf durch den Virus mehrere Darminfarkte. «Durch die Durchblutungsstörungen verlor ich fast die Hälfte meines Dünndarms und auch Teile des Dickdarms mussten entfernt werden.» Aufgrund des geplatzten Darms traten Inhalte in seinen Bauch, was zu einer Blutvergiftung führte. «Mein Leben hing an einem seidenen Faden.» Einmal wurde Rolfs Frau informiert, dass Rolfs Überlebenschancen sinken würden, sofern die Chirurgen gezwungen wären, noch mehr Darm zu entfernen.
Von alledem kriegte Rolf nichts mit. Während er bewusstlos war, wurden mehrere Eingriffe in seinem Bauch vorgenommen. Schliesslich stabilisierte er sich. Heute erinnert er sich, wie mit einer Lampe in seine Augen gezündet wurde. «Haben sie Schmerzen?» fragte eine weibliche Stimme. «Ich war wie gelähmt, konnte mich nicht bewegen und wusste nicht, wo ich war. Ich glaubte, als Versuchskaninchen in einem Labor zu sein. Das war höchst unangenehm».
Innerlich voller Zuversicht
Nach anderthalb Monaten im Koma wurde Rolf in ein anderes Krankenhaus verlegt. Dort war er zwar weiterhin auf der Intensivstation, doch es ging aufwärts. «Langsam realisierte ich, wie schlimm es um mich stand. Ich konnte nicht sprechen, mein Bewegungsradius war begrenzt und ich musste künstlich ernährt werden.» Rolf brauchte eine Magensonde, Infusionen und eine Halskanüle, welche die Atmung sicherstellte. Demoralisierend war die Situation interessanterweise nicht. «Regelmässig kamen Pastoren aus meiner Gemeinde vorbei und beteten für mich.» Das erlebte er positiv. «Ich verspürte einen tiefen Frieden und war hoffnungsvoll.» Die positive Grundhaltung blieb ihm auch trotz einer erneuten Blutvergiftung erhalten. «Es traten darüber hinaus unerträgliche Rückenschmerzen auf, welche auf die lange Verweildauer im Bett zurückzuführen waren. Jedoch wusste ich, dass Gott sich um mich sorgt, schliesslich hatte ich auch bis dahin überlebt.»
Langsam über dem Berg
Vermehrt wurde nun von Rehabilitation gesprochen und Rolfs Kräfte kehrten langsam zurück. «Es war ein Highlight, als ich die ersten Schritte aus eigener Kraft zurücklegen konnte.» Einmal schrieb er an seine Angehörigen: «Super! Ich habe sechs Meter geschafft!» Mitte November wurde er in die Reha-Klinik in Montana verlegt. «Dort hatte ich täglich zweimal Physiotherapie, was sehr kraftraubend war» Rolfs Wunsch, Weihnachten mit seiner Familie verbringen zu können, wurde anfänglich als «kaum realistisch» abgetan. Doch schliesslich war er an Weihnachten zu Hause. Gesund war er aber noch lange nicht.
Sehr viele Arztbesuche und weitere Aufenthalte im Krankenhaus standen bevor. Irgendwann konnte sein künstlicher Darmausgang zurückverlegt werden. «Bis zum heutigen Tag laufen noch Untersuchungen.» Grundsätzlich befindet sich Rolf auf dem Weg zur Besserung. Verdauungsprobleme und Nahrungsmittelunverträglichkeiten begleiten ihn zwar seither, und manchmal wird er von Schmerzen geplagt. «Verglichen mit dem, was ich durchgemacht habe, ist das aber alles vernachlässigbar».
Wenn ein schlimmes Erlebnis zum Gewinn wird
Obwohl der Heilungsprozess noch nicht abgeschlossen ist, kann Rolf die Situation aber akzeptieren. «Eine Zeitlang sprach ich von einer Leidenszeit. Heute nenne ich sie aber eine Gnadenzeit.» Rolf ist dankbar – zwar nicht für die Krankheit selbst, aber für das, was er dadurch gewonnen hat an innerer Erneuerung und der Fähigkeit, das Leben nicht nur unter der Rubrik «Leistungsdruck» ansehen zu müssen. Bis heute ist er jedoch noch immer 100 Prozent arbeitsunfähig. «Immerhin; die letzten acht Monate hatte ich mehr Zeit für meine Familie, als ich es mir jemals vorstellen konnte.»
«Das Ganze war eine Chance für eine Neuorientierung. Ich habe die Kursrichtung geändert.» Von einem hastigen Lebensstil fand er zu neuer Gelassenheit, wodurch auch seine Ehe und Familie profitiert haben. Vor allem seine Gottesbeziehung fand zu ganz neuer Tiefe. «Nie habe ich Gott derart erfahren, wie während dem Spitalaufenthalt.» Zu erleben, wie Gott ihm im Krankenbett Durchhaltevermögen und ein unbändiges Kämpferherz schenkte, war eine wegweisende Erfahrung. «Zuvor war ich Perfektionist mit einem starken Geltungsdrang. Stets versuchte ich, mir selbst etwas zu beweisen. Durch die Covid-Erkrankung fand ich zu innerer Ruhe und damit wurde sogar dieses schlimme Erlebnis ein Gewinn.»
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Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet
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