William Lane Craig

«Ein Urknall aus dem Nichts ist armseliger als Zauberei»

William Lane Craig debattiert häufig öffentlich mit prominenten Atheisten. Im Gespräch mit pro erklärt der amerikanische Theologe und Philosoph, dass es gute Gründe gibt, an den Gott der Bibel zu glauben, wie aggressiv der Neue Atheismus ist – und warum er einmal in einem Boxring debattierte. Die Fragen stellte Nicolai Franz.

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William Lane Craig
pro: Auf Ihrer Webseite ReasonableFaith.org (vernünftiger Glaube) haben Sie mehr als 400 Fragen und Antworten zum christlichen Glauben veröffentlicht. Geht es bei Glauben nicht eher um Vertrauen als um Vernunft?
William Lane Craig:
Sie haben Recht. Zum Glauben gehört Vertrauen. Auf etwas zu vertrauen, bedeutet nicht, etwas zu wissen. Wir können zwar wissen, dass der christliche Glaube die Wahrheit ist, dass Gott existiert, dass er sich in Jesus Christus offenbart hat – und haben trotzdem keinen Glauben an ihn. Vernunft hilft uns dabei, um die Wahrheit des Christentums zu wissen. Glaube ist das Vertrauen in das, von dem wir wissen, dass es wahr ist.

Können wir wirklich wissen, dass Gott existiert?
Das hängt davon ab, was man unter «wissen» versteht. Ich meine damit nicht etwa mathematische Gewissheit. Ich «weiss» zum Beispiel nicht, dass ich hier in diesem Raum sitze und ein Gespräch führe. Ich könnte auch ein Gehirn in einem Fass voller Chemikalien sein, das von einem bösen Wissenschaftler stimuliert wird, um mir die Illusion vorzuspielen, ich würde mit Ihnen sprechen. Es geht also nicht um absolute Gewissheit, sondern darum, ob es bessere Gründe gibt, etwas eher für wahr als für falsch zu halten. Aus meiner Sicht ist es wahrscheinlicher, dass Gott existiert, als dass er nicht existiert.

Warum?
In meinen Debatten verteidige ich folgende Thesen: Gott ist die beste Erklärung dafür, warum alles existiert. Zweitens denke ich, dass Gott die beste Erklärung für den Ursprung des Universums ist. Drittens ist er die beste Erklärung für die Feinabstimmung des Universums für intelligentes Leben, viertens ist er die beste Erklärung für die Anwendbarkeit der Mathematik für die reale, physische Welt. Und er ist fünftens die beste Erklärung dafür, dass es objektive moralische Werte und Pflichten in der Welt gibt. In einem Interview kann ich diese Thesen natürlich nicht voll entfalten. Das mache ich in meinen Büchern und Debatten.

Lassen Sie uns eine These herausgreifen: Wozu braucht es einen Gott, um den Ursprung des Universums zu erklären? Naturwissenschaftler brauchen ihn für die Urknalltheorie jedenfalls nicht.
Dafür gibt es zwei Voraussetzungen: Wenn das Universum einen Anfang hatte, dann gibt es einen Grund für seine Existenz. Das Universum hatte einen Anfang. Daraus folgt: Es gibt einen Grund für die Existenz des Universums. Für diese Voraussetzungen gibt es philosophische und naturwissenschaftliche Belege, aus denen folgt, dass es einen transzendenten, übersinnlichen Grund für das Universum gibt. Daraus kann man theologisch bedeutsame Merkmale dieses transzendenten Grundes ableiten, der das Universum erzeugt hat. Das Universum muss einen absoluten Anfang gehabt haben.

Die meisten Atheisten stimmen darin mit Ihnen überein, glauben aber dennoch nicht an Gott.
Ja, zum Beispiel Ansgar Beckermann, mit dem ich im Oktober in München debattiere. Er sagt, es spreche vieles dafür, dass das Universum einen Anfang hat. Er teilt aber nicht den Schluss, dass es dafür einen transzendenten Grund gibt. Er sagt: Das Universum war plötzlich einfach da – ohne irgendeinen Grund. Das ist armseliger als Zauberei. Wenn ein Zauberer einen Hasen aus dem Hut zieht, gibt es wenigstens den Zauberer. Der Atheismus geht davon aus, dass das Universum aus dem Nichts kam, ohne irgendwelche Gründe. Ich finde das verrückt.

Gleichzeitig finden Sie, dass die Evolutionstheorie mit dem Christentum vereinbar ist.
Sie ist vereinbar mit der Existenz Gottes und mit biblischem Christentum. Wenn man nicht davon ausgeht, dass die sechs Tage im Ersten Buch Mose tatsächlich sechs aufeinander folgende Tage mit 24 Stunden waren, dann sagt die Schöpfungsgeschichte nicht, wie alt die Welt ist. Daher finde ich, dass wir in dieser Frage nicht theologisch, sondern naturwissenschaftlich denken sollten. Zwischen klassischem Sechs-Tage-Kreationismus und atheistischem Evolutionsglauben gibt es eine riesige Bandbreite an Alternativen für Christen, die an die Bibel glauben. Es gibt nicht nur die eine biblische Position. Ich bin mir nicht sicher, welche die beste ist – und bleibe aufgeschlossen.

Die Evolutionstheorie geht davon aus, dass nur der am besten Angepasste überlebt, damit diese Art sich weiterentwickelt. Wenn Gott Evolution benutzt, würde das also bedeuten: Er erschafft Leben durch Tod – und der war laut Bibel eine Folge des Sündenfalls. Für viele Theologen passt das nicht zum Wesen Gottes.
Das ist ein grossartiges Beispiel dafür, wie manche sogenannte Junge-Erde-Kreationisten versuchen, der Bibel treu zu bleiben, aber Dinge in den biblischen Text hineinlesen, die nicht da sind. Nirgends in der Bibel steht, dass der Tod von Tieren eine Folge des Sündenfalls ist, weder in Erster Mose, Kapitel 3, noch im Römerbrief, Kapitel 5. Daher kann Gott sehr wohl durch Evolution geschaffen haben, auch vor dem Sündenfall.

Das würde für Tiere gelten, aber nicht für den Menschen, der vor dem Sündenfall ja nicht sterben konnte. Der Mensch war also plötzlich da – einfach so?
Manche Christen denken, dass der Mensch auf besondere Weise erschaffen wurde. Andere sagen, dass Gott menschenähnliche Formen benutzte, um den Homo Sapiens zu erschaffen. Wieder gibt es viele mögliche Denkweisen.

Und was ist Ihre?
Ich lege mich nicht fest, weil ich meine, dass die Naturwissenschaften diese Frage noch nicht erschöpfend beantwortet haben.

Der «Islamische Staat» zieht mordend durch die Lande, tausende Menschen starben beim Erdbeben in Nepal. Viele Menschen sagen angesichts des Leids: Entweder es gibt keinen Gott – oder er ist ein grausamer Gott, der all das zulässt.
Ich kann Ihnen kein knackiges Zitat liefern, das dieser Frage gerecht werden würde. Was ich in aller Kürze sagen würde: Niemand konnte jemals zeigen, dass es unmöglich oder unwahrscheinlich ist, dass Gott legitime Gründe hat, das Böse in der Welt zuzulassen.

Der prominente Atheist Richard Dawkins schrieb in der englischen Zeitung The Guardian, er wolle nicht mit Ihnen debattieren. Er beschuldigte Sie, Sie hätten einen Völkermord gerechtfertigt.
Dawkins suchte eine Ausrede, um die Einladung von vier britischen Organisationen auszuschlagen, mit mir in Oxford zu debattieren. Er nannte mich in der Debatte «moralisch unwürdig», weil ich die Glaubwürdigkeit der Invasion Kanaans im Alten Testament verteidigt hatte. Dort befiehlt Gott den Israeliten, die Kanaaniter zu vertreiben und alle zu töten, die sich weigern zu fliehen. Nirgends befiehlt Gott einen Völkermord. Wenn alle Kanaaniter geflohen wären, wäre niemand gestorben. Ich schrieb, dieser Befehl stehe nicht im Widerspruch zu Gottes Güte oder Allmacht.

Sie schrieben über die Tötung der kanaanitischen Kinder: «Wenn wir, wie ich, glauben, dass Gottes Gnade sich auf die erstreckt, die als Säuglinge oder kleine Kinder sterben, war der Tod dieser Kinder eigentlich deren Erlösung.»
Gott hat das Recht, Leben zu nehmen, wenn er sich so entscheidet. Wenn er das Leben der Kinder genommen hat, hat er nicht unrecht gehandelt, sondern ewiges Leben geschenkt – viel besser, als in einer boshaften kanaanitischen Umgebung aufzuwachsen. Für mich ist das offensichtlich, wenn man an die Rettung von Kindern glaubt.

Dawkins hatte vor seinem Artikel bereits mit Ihnen auf einer Konferenz in Mexiko diskutiert. Die Redner standen an einem Pult in der Mitte eines Boxrings. Warum ist immer so viel Aggression im Spiel, wenn es um Gott geht?
Die Idee mit dem Boxring stammte nicht von den Rednern, sondern von dem mexikanischen Gentleman, der die Konferenz organisiert hatte und das für originell hielt. Dawkins stiess erst in letzter Minute hinzu, als Ersatz für einen anderen Redner. Er wusste gar nicht, dass ich an der Debatte teilnehme.

Fühlen Sie sich manchmal trotzdem wie im Boxring?
Manchmal schon. Allerdings sind Debatten nicht ein Kampf Mann gegen Mann, sondern ein Wettbewerb der Argumente. Ich begegne meinen Gegnern immer mit Respekt und Milde.

Richard Dawkins wurde bekannt, als er in einem Buch sagte, dass Religion eine Krankheit sei. Das klingt nicht gerade respektvoll.
Er sagte sogar, Religion müsse man nicht mit Respekt behandeln. Das war eine Rechtfertigung für Spott, Beleidigungen und Unhöflichkeit. Ich finde das vollkommen falsch. Menschen verdienen Achtung. Das sollten auch manche Christen bedenken. Früher waren Atheisten zurückhaltender. Sie tolerierten es, wenn Menschen ihre Religion lebten, solange sie sie für sich behielten. Der neue Atheismus ist viel aggressiver und richtet sich sogar gegen die private Ausübung von Glauben. Er will Religion auslöschen.

Was würden Sie Dawkins an dessen Sterbebett sagen?
Es wäre jedenfalls nicht noch ein Argument. Ich glaube, ein Mensch in dieser Situation muss das Evangelium hören und sein Leben im Gebet Christus übergeben. Ich würde ihm das Evangelium weitergeben.

Zum Thema:
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Datum: 21.09.2015
Autor: Nicolai Franz
Quelle: Christliches Medienmagazin pro

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