Johannes Wirth
«Ich liebe die Kirche!»
Johannes Wirth leitete über Jahrzehnte die GvC Winterthur und die Quellenhofstiftung. Im Interview spricht er über die Herausforderungen und Chancen für die Kirche der Zukunft.
Vieles in deinem Leben hat mit einem Traum begonnen. Wovon
träumst du aktuell?
Ja, es ist ein besonderes Geschenk, dass Gott zu mir durch Träume
spricht. Während einer Gebetszeit sah ich das ganze Bild der Quellenhofstiftung
vor meinen inneren Augen. Heute, 31 Jahre später, ist alles so gewachsen. Manchmal
hatte ich auch in der Nacht bedeutsame Träume, unter anderem jenen über meine
jetzige Lebenssaison, die unter dem Motto «Multiplikation» steht.
Hast du auch spezifische Träume in Bezug auf die Zukunft
der Kirche?
Es ist nicht mehr an mir, die Kirche der Zukunft zu
gestalten. Ich habe letztes Jahr die Leitung der Kirche abgegeben. Nun soll die
nächste Generation Raum zum Gestalten haben. Da will ich mich nicht mehr
einmischen, selbst wenn ich nicht alles gleich sehe wie sie. Was ich tun kann,
ist, Vaterschaft zu leben.
Was bedeutet das?
Das heisst, ich sitze nicht mehr am Steuer, aber bin deswegen
nicht passiv. Das rate ich auch den Leuten meines Alters aus der BewegungPlus:
Vertraut den Jungen, gebt ihnen Freiraum, helft ihnen, sich zu entwickeln, und
bleibt nicht bei dem stehen, was ihr für richtig haltet. Wenn ich das kann,
könnt ihr das auch.
Du hast über Jahrzehnte aktiv Kirche mitgestaltet. Welche
Werte aus deiner «Kirchenbauzeit» sind dir in der Retrospektive besonders wichtig?
Leiter sind Kulturarchitekten. Meine Leitkulturen waren
Authentizität, Barmherzigkeit, Grosszügigkeit, Leidenschaft und der Hunger nach
mehr. Dazu kamen eine unermüdliche Visionsvermittlung, der Wert, mit Freunden zusammen
Kirche zu bauen, sowie eine lebensnahe Verkündigung.
Gibt es Dinge, die du im Nachhinein anders machen
würdest?
Das Schaffen von Strukturen war mir oft lästig. Das gab mir
und den Mitleitern zwar viel Freiheit, und doch hat da einiges gefehlt. Das
würde ich heute anders machen. Man kann auf beiden Seiten vom Pferd fallen. Ich
würde früher damit beginnen, Selbstführungstools einzuführen. Und ich würde mir
mehr Zeit für die Familie nehmen.
Zum Wert der Authentizität: Ist die Kirche authentischer
geworden?
Ich bin mir nicht sicher. Authentisch sein heisst nicht, die
Seele nach aussen zu kehren. Es hat vielmehr mit einem Lebensstil zu tun: Ich
bin der gleiche, egal, wo ich bin. Ich zeige meine Kämpfe mit Gott und dem
Glauben und wie ich sie kämpfe. Das interessiert die Menschen. Schau dir nur
das Alte Testament an: Wie authentisch ist das denn! Mein Arbeiten mit
Randgruppen hat mir geholfen, denn diesen Menschen kannst du absolut nichts
vormachen.
Wie hat sich die Kirche verändert im Vergleich zu vor 30
Jahren?
Viele Kirchen engagieren sich stärker gegen aussen, um den Nöten
ihrer Städte und Dörfer zu begegnen, sowohl als Gemeinschaft wie auch ihre
einzelnen Menschen in ihren Berufen und Ämtern, für die sie sie freisetzen. Das
freut mich sehr! Handkehrum scheint mir, dass wir in der Evangelisation
nachgelassen haben. Es kommen weniger Menschen zum Glauben an Jesus. Auch die
Verbindlichkeit der Gemeinschaft ist durch den Zeitgeist stark unter Druck
geraten.
Wo siehst du die grössten Herausforderungen, denen die
Kirche von morgen gegenübersteht?
Im Wertewandel der Gesellschaft, insbesondere in den
Bereichen Familie, Sexualität und Wert des Lebens. Wie verkündigen und leben
wir das Evangelium da mittendrin? Wie können wir Menschen mit anderen
Lebensentwürfen herzlich willkommen heissen, ein Zuhause für sie sein, ohne
dabei die biblischen Werte zu verbiegen?
Wie schaffen wir das?
Mit viel Jesusdemut und Jesusliebe – gegenüber Menschen mit
anderen Lebensentwürfen, aber auch innerhalb unserer Leitungsgremien und Verbände.
Die Herausforderungen in urbanen Gebieten sind anders als zum Beispiel im
Berner Oberland. Sagt nicht Jesus, dass die Welt ihn an unserer Einheit
erkennen wird? Zudem braucht es eine grosse Portion Sprachfähigkeit. Wenn ich
manchmal Leute über christliche Werte reden höre, dann «tschuderet» es mich. Das
müssen wir besser lernen, vielleicht auch Kurse dafür anbieten.
Junge Menschen gehen mit viel Hoffnung ins Leben – auch
in die Kirche. Mit enttäuschenden Erfahrungen geht die Hoffnung bei manchen
verloren. Was hat dir geholfen, die Hoffnung zu bewahren?
Ich liebe die Kirche, jede Kirche, nicht weil sie perfekt
ist, sondern weil sie Jesus gehört und er sie liebt, um jede von ihnen ringt
und sie nie aufgibt. Das habe ich auch zu meinem Lebensmotto gemacht: Gib niemals
auf! Die Bodentruppe von Jesus ist fehlerhaft, ja manchmal verletzend. Darum
fusst mein Glauben und meine Hoffnung nie auf ihr, sondern auf Jesus.
Manche prophezeien eine grosse Erweckung in der
westlichen Kirche, anderen zeichnen ein trüb(salig)es Bild der näheren Zukunft.
Und du?
Zu den Ersteren: Oh, wenn sie nur recht hätten! Allerdings höre
ich diese Art von Prophezeiungen schon seit 40 Jahren. Bei den andern kann ich noch
weniger mit einstimmen. Die meisten Gleichnisse über das Reich Gottes reden von
Wachstum. Aber ich weiss nicht, ob dieses Wachstum hier bei uns sein wird oder
eben auf anderen Kontinenten. Meinen wir denn immer noch, der Westen sei Gott
näher als beispielsweise die islamische Welt?
Welche Aussenwahrnehmung hast du von unserem Verband
BewegungPlus?
Da kommen mir ganz verschiedene Menschen in den Sinn, die
ich in ihrer Unterschiedlichkeit enorm schätze. Ihr habt eine grosse Vielfalt
in euren Reihen. Wenn es euch gelingt, diese Vielfalt zusammenzuhalten, hat das
eine grosse Kraft. Doch wer bin ich, dass ich das von aussen beurteilen könnte?
Was wünschst du der zukünftigen Kirche besonders?
Ich wünsche mir eine Einheit in der Fokussierung darauf, wofür
die Kirche wirklich da ist.
Zur Person:
Johannes Wirth, 66, seit 46 Jahren verheiratet.
Kirchenliebhaber, Leiter der GvC Bewegung, Gründer und Pionier der
Quellenhofstiftung, Autor von mehreren Büchern. Der Titel seines neusten Buchs: Ungeschminkt – Inspirationen aus dem Alltagsleben.
Dieser Artikel erschien zuerst auf BewegungPlus.
Zur Webseite:
Johannes Wirth
Town Village
Zum Thema:
Neue Lebensphase: Johannes Wirth: Loslassen und weitergehen
Tagebuch von Johannes Wirth: Wie kann ich mich selber führen?
Gedanken aus dem Tagebuch: Die Not vor meinen Füssen
Autor: Christian Ringli / Johannes Wirth
Quelle: BewegungPlus Magazin
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