Kirche im Europa-Park
Andachten zwischen Adrenalin und Action
Seit 17 Jahren darf Andreas Wilhelm jeden Tag in den Europa-Park nach Rust fahren. Der katholische Seelsorger repräsentiert mit seiner evangelischen Kollegin Andrea Ziegler «Kirche im Europapark». Seit 2005 versuchen die beiden mitten im Trubel Akzente und Orte der Besinnung zu schaffen.
«Freizeitparks sind die Kathedralen der Neuzeit», habe der Zukunftsforscher Horst Opaschowski gesagt. «Also ist es wichtig, mit der Kirche da zu sein, wo die Menschen hinpilgern», erklärt Wilhelm. Das kirchliche Angebot in einem Freizeitpark ist in Deutschland einzigartig. Auf dem Parkgelände gibt es drei Kapellen, in denen mitten zwischen Adrenalin und Action Andachten stattfinden. Feste Zeiten gibt es dafür nicht, Andachten und Gottesdienste bieten die Seelsorger nach vorheriger Absprache mit den Besuchergruppen an.80 bis 90% der Parkbesucher begrüssen das Engagement
Auch die 4'700 Park-Mitarbeiter haben Ziegler und Wilhelm im Blick. Darüber hinaus gibt es viele Menschen, die im Europa-Park heiraten oder ihr Kind taufen lassen möchten. Beim Start habe er sich mit seinem evangelischen Kollegen «langsam herangetastet», wie kirchliche Angebote im Park aussehen können: «Die Betreiber-Familie Mack war sehr offen für spirituelle Angebote.» Nach einem dreijährigen Probelauf habe «Kirche im Europa-Park» nie ernsthaft zur Debatte gestanden.
Die beiden Diakone sind Angestellte der badischen Landeskirche beziehungsweise des Erzbistums Freiburg. Unabhängigkeit ist ihnen wichtig – besonders in seelsorgerlichen Gesprächen schafft diese Unabhängigkeit vom Europa-Park Vertrauen. Die Betreiber des Parks hätten etwa repräsentative Umfragen in Auftrag gegeben. Demzufolge begrüssten zwischen 80 und 90 Prozent der Befragten das Engagement der Kirche.
Der Europa-Park stellt die Räume dafür zur Verfügung. Neben der Stabkirche gibt es noch die St.-Jakobus-Kapelle und die Böcklin-Kapelle. Die Stabkirche im Freizeitpark hat, anders als die skandinavischen Stabkirchen, keine Schwelle im Eingangsbereich. Es ist ein gutes Sinnbild für die Arbeit der beiden. Die Angebote sollen möglichst niedrigschwellig sein. Wilhelm und Ziegler möchten authentische Angebote machen, mit denen sie den Menschen begegnen, ohne sie zu bedrängen.
Von Chagall bis Escape-Room
Die beiden haben für sich auch einen Rückzugsort im Park. Dort steht ihr Computer und es ist Material gelagert. «Ansonsten möchten wir im Park unterwegs sein», betonen sie. Sie sprechen Mitarbeiter und Gäste an, fragen diese nach ihrem Befinden. Wenn Wilhelm Besucher durch den Park führt, gibt es viele Stellen, die sich aus seiner Sicht für einen kurzen Impuls eignen.
Etwa die 1,8 Tonnen schwere Steinkugel, die von einem Wasserfilm getragen wird. Dadurch ist sie trotz ihres Gewichts bewegbar. Wilhelm fragt seine Gäste in diesem Zusammenhang gerne, wer oder was sie in schwierigen Zeiten trägt. Auch die Wasserfontänen, die aus dem Boden spritzen, eignen sich zum Nachdenken darüber, wann der richtige Zeitpunkt im Leben ist, den nächsten Schritt zu gehen. Einen bleibenden Eindruck habe bei vielen Park-Besuchern auch die Chagall-Ausstellung hinterlassen, die auf dem Parkgelände zu sehen war. Hospiz- oder Trauergruppen erzählt Wilhelm von der Hoffnung, die sein Leben trägt. Diese Orte und Geschichten sind ein Herzensanliegen für ihn, der in wenigen Wochen die Aufgabe an seinen Nachfolger weitergibt.
Schwieriger hatte es seine evangelische Kollegin Andrea Ziegler: «14 Tage nach meinem Dienstbeginn vor zwei Jahren kam der erste Lockdown.» Die 45-Jährige mit den braunen Locken wirkt offen und herzlich. Sie war zunächst Diakonin in einer Gemeinde und dann auf Bezirksebene. Erst war Ziegler skeptisch, ob das Profil der Freizeitpark-Seelsorgerin zu ihr passe.Erstmals Parkgeschehen im Normal-Modus
Nach einer Hospitation bei ihrem Vorgänger Martin Lampeitl überlegte sie es sich anders: «Hier schien alles immer so unglaublich perfekt zu sein.» Dann sei ihr klar geworden, dass sie selbst keine Saltos schlagen müsse, sondern einfach «nur» ihre Kirche an einem eher ungewöhnlichen Ort repräsentieren darf.
Dieses Jahr konnte sie das erste Mal das Parkgeschehen im Normal-Modus erleben. Den ersten der drei grossen öffentlichen Gottesdienste mit kirchlicher Prominenz darf sie hoffentlich im Oktober mitfeiern und gestalten: «Gefühlt bin ich zwar schon lange dabei. Aber bestimmte Dinge sind immer noch Neuland für mich.» Etliche Menschen beneiden sie um ihren Arbeitsplatz. «Andere wären genervt, wenn sie so viele Menschen um sich herum hätten», erzählt Ziegler. In Spitzenzeiten besuchen 60'000 Menschen täglich den Park. Für die kommende Woche hat sie für die Stabkirche einen Escape-Room entwickelt. Die Besucher können unterschiedlich schwere Rätsel lösen, um ein Zahlenschloss zu knacken: «Es sind immer gute Chancen, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen.»
Des Weiteren liebt Ziegler das Erzählen und Inszenieren von Geschichten: «Jesus wäre mit seiner Botschaft nicht so weit gekommen, wenn er nicht Geschichten erzählt hätte.» An Ostern inszenierte sie in der Stabkirche die Geschichte «Wie das Ei zum Osterei wurde». Daraus entstehen gerade diverse Ideen, wie zum Europa-Park passende Geschichten mit «Nachdenk-Impuls» entstehen können. Ihre Worte wählt sie mit Bedacht. Ziegler ist ein achtsamer Mensch und das soll auch ihr jeweiliges Gegenüber merken. Sie möchte unbedingt auch Zeit in die Mitarbeiter des Parks investieren: «Ich möchte wissen, was sie belastet. Das kann Mobbing sein, eine ungewollte Schwangerschaft oder die Unterstützung bei Behörden, um ein Bleiberecht zu erwirken.»
Impulse in Freud und Leid
Flexibilität gehört für die beiden Park-Seelsorger zum Berufsalltag, fordert aber auch heraus. Sogar Taufen und Trauungen bieten sie an. Oft begleiten sie auch Gäste durch den Park. Mal ist eine Gruppe von Theologen aus Zürich zu Gast, mal eine Delegation aus der Diözese Offenburg, die sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt. Der christliche Sender ERF Schweiz hat den Besuch des Freizeitparks mit einem Betriebsausflug verbunden.
Wilhelm kommt am Ende seiner Amtszeit auf 800 Kasualien wie Taufen, Hochzeiten und Ehejubiläen. Ziegler hat dieses Jahr 22 Paare getraut. Den Rest ihrer Zeit nutzt sie, um kreative Aktionen zu entwickeln. Beide sind froh über das ökumenische Projekt. Sie wissen um ihre theologischen Unterschiede, aber die werden nicht gross thematisiert. Ein katholisches Mädchen habe Ziegler bei einer evangelischen Taufe angesprochen: Es hatte sich gewundert, dass eine Frau ein Kind tauft.
Aber es gibt auch die tragischen Momente, in denen sie als Seelsorger gefragt sind. Etwa, wenn eine Familie auf dem Weg zum Freizeitpark tödlich verunglückt und nur die neunjährige Tochter überlebt. Letztens musste ein Mann nach einem Kollaps mit dem Hubschrauber abtransportiert werden und Wilhelm die Mutter und Kinder seelsorgerisch begleiten. Der Park hat ein Taxi ins Krankenhaus organisiert und die Familie konnte ihren Vater auf der Intensivstation besuchen. «Die Menschen dürfen wissen, dass ich und wir als Kirche an ihrer Seite sind – gerne auch über solche Unglücke hinaus.»
Bei vielen Projekten werden sie von Ehrenamtlichen unterstützt. Den «symboldidaktischen Spurenweg» im Park hat Wilhelm mit Studenten der Universität Freiburg entwickelt. Neue Helfer rekrutieren sie gerne auch über den Instagram-Kanal, den vor allem Ziegler bespielt. Kürzlich habe sie über das soziale Netzwerk gefragt, wer die Escape-Rätsel vorher testen könne. Eine Schweizer Familie erklärte sich bereit. Sie hatte vor zwei Jahren bereits an einer Aktion von «Kirche im Europapark» teilgenommen. Damals hatte Ziegler den Teilnehmern Segensbänder mit dem Zuspruch «Gott segne dich!» verteilt. Die Familie habe das Bändchen seit zwei Jahren für alle sichtbar im Auto hängen.
Das sind die gelungenen Begegnungen, an denen beide merken, dass es sich lohnt, als «Kirche im Europapark» präsent zu sein: «Ich hoffe, dass es noch ganz viele andere solcher Begegnungen gab, die Früchte getragen haben.» Über Instagram könne sie mit diesen Menschen in Kontakt bleiben. Wilhelm spricht davon, den Glauben in die heutige Zeit zu holen. Wenn sie dazu ihren Beitrag leisten können, sind beide zufrieden. Vielleicht sind Freizeitparks wirklich die Kathedralen der Neuzeit.
Dieser Artikel erschien zuerst bei PRO Medienmagazin
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Autor: Johannes Blöcher-Weil
Quelle: PRO Medienmagazin
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