Gefängnisseelsorge in Russland
«Wir sind kein Wilder Westen mehr»
Mit Beharrlichkeit arbeiten jetzt auch orthodoxe Kirchen unter Gefängnisinsassen in Russland. Entscheidende Anschubhilfe dazu kam auch aus der Schweiz.
Aus der Gefängnisarbeit der Russischen Orthodoxen Kirche berichtete bei einer Tagung letzte Woche in Wien Erzbischof Irinarch Kuzmic Grezin von Krasnogorsk bei Moskau. Er ist seit vier Jahren Vorsitzender der Kommission für die Seelsorge im Strafvollzug. Dabei weiss die russische Orthodoxie die Hilfe evangelischer Christen zu schätzen. Seit über 20 Jahren ist zum Beispiel die Stiftung «Glaube in der 2. Welt» in Moskau aktiv. Franziska Rich von der G2W-Osthilfe gilt als Pionierin dieser Zusammenarbeit.Fokus auf jugendliche Straftäter
Mit der russischen Anwältin Natalija Wyssozkaja gründete sie das Hilfswerk «Glaube, Hoffnung, Liebe». Dieses wandte sich gezielt der Rehabilitation von straffällig gewordenen Jugendlichen zu, besonders den elternlosen unter ihnen. Schon 1992 konnte Rich in Moskau auch die alte Kirche im berüchtigten Butyrka-Kerker wiederherstellen, später im Gefängnishof einen Glockenturm errichten. Er ist seitdem zum Symbol des gemeinsamen Bemühens von Ost- und Westchristen um die Strafgefangenen in der Russischen Föderation geworden.
In diesen Jahren wirkte der heutige Erzbischof Irinarch als Pfarrer an der Moskauer Kirche von Kulischki. Er sah sich dort mitten in die chaotische russische Realität der neunziger Jahre geworfen. «In Moskau herrschten damals geradezu apokalyptische Zustände», erinnert er sich. Zwar gab es jetzt kaum noch politische Gefangene, als Spätlast aus der Sowjetära herrschte aber in den Gefängnissen eine für Aussenstehende fast undurchdringliche Subkultur. «Man fühlte sich dort glücklich, ein Gauner, ein 'Wor', zu sein und zu bleiben. Viele Jahre im Gefängnis waren in dieser Welt wie eine Ordensauszeichnung.»
Ein paar Traktate zu verteilen genügt nicht
Der heutige Gefängnis-Erzbischof Irinarch ist zuversichtlich: «In Russland tut sich inzwischen in religiöser Hinsicht Vieles zum Besseren. Wir sind kein 'wilder Osten' mehr wie im ersten Jahrzehnt nach der Wende.» Diakonischer Beistand und materielle Unterstützung seien aber weiter willkommen. Gerade von evangelischer Seite. «Es gibt bereits einige, wenn auch noch kleine, hervorragende Rehabilitationszentren für Haftentlassene, zum Beispiel von den Baptisten.» Irinarch warnte aber auch vor der Hoffnung auf schnelle Bekehrungserfolge: «In den Gefängnissen Traktätchen verteilen, das ist zu wenig. Gefangenenpastoral erfordert harte, langwierige, geduldige Arbeit.» Es gebe keine raschen «Halleluja-Erfolge», sondern immer wieder Rückschläge zu verkraften.
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Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet
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