Lügenpresse?
Auswege aus der ethischen Krise des Journalismus
Hans Leyendecker ist Journalist und aktuell Kirchentagspräsident. In einem Interview mit dem Kölner Domradio behauptet er, dass der Journalismus in einer ethischen Krise stecke. Oft werde die Grenze zwischen Fiktion und Realität überschritten.
Eine Menschenmenge zieht durch die Strassen. Niemand von ihnen ist zum Gespräch mit Passanten oder gar Journalisten bereit. Stattdessen skandieren sie lautstark: «Lügenpresse – Lügenpresse». Dieser Teil der Wirklichkeit lässt sich seit vielen Monaten in den Medien oder live auf den Strassen beobachten.
Hans Leyendecker (69) sieht jedoch nicht nur diese Entwicklung. Im Gespräch mit Hilde Regeniter vom Kölner Domradio spricht er klar von einer ethischen Krise im deutschen Journalismus. Der ehrenamtliche Präsident des Evangelischen Kirchentages 2019 in Dortmund blickt auf jahrzehntelange Erfahrungen im investigativen Journalismus zurück. Dabei deckte er zahllose Skandale auf, von der sogenannten Flick-Affäre 1982 bis hin zum Fussball-Wettskandal 2005.
Eilig und laut statt ehrlich und gut
Leyendecker behauptet, dass sich im Journalismus Wunsch und Wirklichkeit, Erzähltes und Reales vermischten: «Wir erleben es eigentlich alltäglich, dass wir Zuspitzungen machen, wo keine Zuspitzung sein darf, dass es Eilmeldungen gibt, die eigentlich nichts Eiliges befördern und dass wir häufig die lauten Stimmen suchen.»Für ihn liegen dabei Gutes und Schlechtes dicht beieinander. Den Druck, gute Storys zu bringen, habe es zu jeder Zeit gegeben. «Man will bemerkt werden. Man möchte, dass die Menschen einen für wichtig halten.» Mithilfe von guten journalistischen Netzwerken sei tatsächlich eine neue Qualität an Berichterstattung möglich, die es früher nicht gab. Allerdings stünden viele Journalisten so unter Druck, schnell und erfolgreich zu berichten, dass sie es sich kaum leisten könnten, aus ethischen Gründen auch einmal einen Auftrag oder eine Recherche abzulehnen.
Fehlerkultur ist gefragt
Lügenpresse ist für Leyendecker trotzdem ein «sehr übles und auch dummes Wort». Er sieht in den tatsächlich vorhandenen Fehlern des Journalismus weder Verschwörung noch System. Und er äussert sich zu den Vorwürfen: «Wir hatten selten so viel guten Journalismus wie heute. Und wir hatten selten so viel schlechten Journalismus wie heute.» Selbstkritisch stellt er allerdings fest, dass dem deutschen Journalismus eine Fehlerkultur abgehe, wie sie zum Beispiel in den USA selbstverständlich sei. Journalisten machen Fehler – so wie jeder Fehler macht. Doch sie sollten diese Fehler auch einräumen, korrigieren und «das auch erkennbar für den Leser, für den Hörer oder für den Zuschauer […] machen».
Christ und Journalist
Wenn ein Journalist sich als Christ bezeichnet und sogar Kirchentagspräsident ist, liegt es nahe zu fragen, inwieweit der Glaube seine Arbeit beeinflusst hat. Hans Leyendecker stellt daraufhin klar, dass sein Glaube nicht nur sonntags eine Bedeutung habe, sondern fürs ganze Leben. Im Rückblick räumt er allerdings ein: «Ich habe Zeiten gehabt in meinem Beruf, wo ich das Christsein manchmal vernachlässigt habe. Ich habe schwere Fehler gemacht, ich habe manchmal auch leichtsinnig gearbeitet und bin im Lauf der Jahre doch ein anderer geworden – das glaube und hoffe ich jedenfalls. Christen sind keine besseren Menschen, Christen sind keine besseren Journalisten. Aber sie haben es besser als andere, weil sie die Hoffnung haben. Und das trägt.»
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet, Hilde Regeniter/Domradio
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