Ebola und Glaube in Liberia
«Eine Krankheit und kein Fluch»
Unter dem Titel «Gott schützt nicht vor Ebola» berichtete die NZZ über die tiefgreifenden Folgen der Seuche für die Gläubigen in Liberia – und wie verschieden mit ihr umgegangen wird. Für die Gläubigen ist klar: «Gottesdienste geben wir nicht auf!»
Ein Gottesdienst in einem afrikanischen Land war schon immer eine «berührende» Sache: man umarmt und küsst sich geschwisterlich, Hände werden beim Lobpreis gehalten und zur Heilung und Segnung aufgelegt, und man trinkt aus dem gemeinsamen Abendmahlsbecher. Es gab keine Berührungsängste – bis Ebola kam. «Der Gottesdienst hat sich sehr geändert seit Beginn der Ebola-Epidemie, in deren Folge in Westafrika bisher rund 5'000 Personen starben», berichtet die NZZ aus einer Gemeinde am Stadtrand von Monrovia.
«An den beiden Eingängen stehen Bottiche mit Chlorlösung zum Händewaschen, wie es inzwischen an allen öffentlichen Gebäuden Liberias Pflicht ist. Niemand hält sich mehr an den Händen, die Menschen vermeiden selbst Berührungen mit der Kleidung des Nachbarn. Der Becher, aus dem alle tranken, ist verschwunden. Auch auf das Buschfleisch, das hier gemeinsam gekocht wurde, verzichtet die Gemeinde. Es gilt ebenfalls als Überträger des Virus.» Die Leiterin der Gemeinde, Favo Hawar Masom Anderson, hat die Gemeinde mit ihrem Mann vor fünf Jahren gegründet, und heute zählen sich bereits 500 Menschen zu ihr. «Mutter Favor», wie sie genannt wird, weiss, dass es massive Vorsichtsmassnahmen braucht, um die Verbreitung der Seuche zu stoppen, und sie tut, was sie kann, um die Gläubigen davon zu überzeugen.
«Strafe Gottes»
Das war nicht immer und überall so in den Gemeinden im Lande. Vor allem in der Frühphase der Seuche hätten einige Pastoren zur Verbreitung der Seuche beigetragen, indem sie Ebola als eine Strafe für Sünden bezeichneten, gegen die ein Leben nach biblischen Prinzipien der beste Schutz sei. Wenn es eigentlich keine Krankheit geben darf, muss sie mit Sünde oder zumindest mit Unglauben in Verbindung gebracht werden.
Mittlerweile hat die Interreligiöse Vereinigung Liberias, in der zwei Drittel der Kirchen und Moscheen des Landes vertreten sind, kräftig Aufklärungsarbeit betrieben, und die meisten Gemeinden folgten inzwischen den Empfehlungen für die Gottesdienste. «Zehn Prozent behaupten allerdings immer noch, dass sie den Körper der Verstorbenen berühren könnten, weil sie als Männer Gottes geschützt seien», sagt St. John Yorks, der Vorsitzende der Vereinigung. «Aber unsere Position ist eindeutig. Ebola ist eine Krankheit und kein Fluch.» Mittlerweile besuchen Geistliche die Gottesdienste anderer Gemeinden, um zu berichten, wenn weiter gefährliche Botschaften gepredigt werden.
Problem Beerdigungen
Die Behörden haben ein Beerdigungsverbot erlassen, weil das Waschen von Ebola-Opfern eine der Hauptursachen für die Übertragung der Seuche darstellt. Noch ausgeprägter als in der christlichen Bevölkerung seien Beerdigungsrituale unter der muslimischen Bevölkerung ein Problem, berichtet die NZZ. Lediglich 10-15% der Bevölkerung in Liberia sind Muslime, in einigen Ebola-Isolationsstationen betrage ihr Anteil aber über die Hälfte. «Ich arbeite hart daran, die Menschen aufzuklären und das Bewusstsein zu schärfen», sagt der Imam Kamara, ebenfalls Mitglied der Interreligiösen Vereinigung. In Benjo, in der Nähe von Monrovia, habe er verzweifelt versucht, einen anderen Imam davon abzuhalten, die Leiche eines Ebola-Patienten zu waschen. «Er hat nicht auf mich gehört. Er ist schwer krank geworden und starb.» Und mit ihm acht seiner Studenten.
Gottesdienste bleiben erlaubt
Bei allen Vorsichtsmassnahmen: ein Verbot der Gottesdienste lehnen die Gläubigen in Liberia konsequent ab. Dabei sind Gottesdienste mittlerweile die einzigen grösseren Menschenansammlungen im Lande. Es gibt seit Monaten keine Fussballspiele mehr, auch die vielen Kleinkinos an den Hauptverkehrsstrassen sind geschlossen. Als die Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf, selbst Christin, auf Rat von Medizinern Gottesdienste verbieten wollte, lehnte der Interreligiöse Rat – zusammen mit zahlreichen Parlamentariern – das Verbot entschieden ab. Auch Mutter Favor glaubt, dass ihre Gemeinde ein solches Verbot rundweg missachten würde: «Wenn die Menschen nicht mehr zusammen beten können, welche Hoffnung bleibt denn da noch?»
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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / NZZ
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