Katholiken und Pfingstler
Langer Weg von der Ablehnung bis zur Versöhnung
Die jüngere Kirchengeschichte ist geprägt vom Aufkommen der Pfingstbewegung und «charistmatischen Bewegungen». Die katholische Kirche brauchte einige Zeit, sich daran zu gewöhnen und sie schliesslich wertzuschätzen.
Lange haben sich von Seiten der römisch-katholischen Kirche nur «Sektenbeauftragte» mit den Pfingstchristen beschäftigt. Der gewaltige und tiefgreifende Aufbruch, den die Pfingstbewegung in Lateinamerika, Afrika, Fernost und früher schon in Europa – bewegt vom Heiligen Geist – gebracht hat, führte die Kirche aber zu einer Neubesinnung: Während Kirchen und Klöster vereinsamen und das priesterliche Amt auszusterben droht, blühen Pfingstkirchen auf.
Phase der Vorurteile
Noch in den 1950er Jahren war das Pfingstchristentum im restaurativen Nachkriegskatholizismus so gut wie unbekannt. Veranstaltungen katholischer Bildungswerke unter dem Titel «Sektentum oder neues Heil?» befassten sich fast ausschliesslich mit den Zeugen Jehovas und Mormonen sowie «amerikanischen Sekten». Damit waren die evangelischen Freikirchen der Baptisten und Methodisten gemeint. Auch «Christliche» und «Freie Christliche Gemeinden», die sich in Privatwohnungen oder unter den Bögen von Eisenbahnviadukten versammelten.
Wenn die Vortragenden so nebenbei auf «Pfingstler» zu sprechen kamen, bei deren Gottesdiensten alle angeblich auf Eingebung des Heiligen Geistes durcheinanderredeten, löste das in der Zuhörerschaft Spott und Heiterkeit aus. Auch auf wissenschaftlichem Gebiet wurde der 1955 in der katholischen Theologenhochburg Innsbruck erschienene «Grundriss der Konfessionskunde» der Pfingstbewegung wenig gerecht: Er verwies sie zusammen mit den Adventisten ins Kapitel «Endzeitliche Sekten» und warf ihnen «hässliche Klassenbildungen», «Naivität» und «geschickte Propaganda» vor.
Dialog unter Kardinal Kasper
Umso erstaunter waren Schweizer Journalisten, die 2003 in Rom den damaligen katholischen «Einheitskardinal» Walter Kasper interviewten. Er sprach von einem «wichtigen und wertvollen» Dialog mit den Pfingstchristen. Zwar zeigte er sich besorgt über ihre galoppierende Ausbreitung in traditionell katholischen Ländern. Er führte das aber auf ihre «gelungene Erneuerung des Pfingstwunders von Jerusalem» zurück. Dessen Charisma sei im Katholizismus weitgehend verloren gegangen. Nun gelte es, ebenso von den Pfingstchristen zu lernen wie die katholische Spiritualität zu erneuern.
Kardinal Kasper verwies darauf, dass es sich bei der «Berufung» vieler katholischer Heiliger um eine «Wiedergeburt» ganz im Sinn der pfingstkirchlichen Geisttheologie gehandelt habe. Kaspers Nachfolger an der Spitze des «Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen», der Schweizer Kardinal Kurt Koch, führt diese neue vatikanische Taktik der Wertschätzung und des Gesprächs Richtung Pfingstchristen fort. In Italien werden jährlich «Charismatische Gespräche» katholischer und pentekostaler Bewegungen geführt. Ihre Bedeutung hat unter Papst Franziskus spürbar zugenommen, der schon zu Beginn seiner Amtszeit eine Pfingstkirche in Rom besuchte (Livenet berichtete).
Erinnerung an David du Plessis
Franziskus, der die Pfingstkirchen in Argentinien schätzen gelernt hat, würdigte Mitte Mai den Dialog katholischer Christen mit den Pfingstchristen, sprach von «gemeinsamen Diensten und Aufgaben». Die diesjährige Veranstaltung stand im Zeichen des Gedenkens an den südafrikanischen Pfingstprediger David du Plessis. Sein Anliegen war, der Pfingstbewegung auch in anderen Kirchen zum Durchbruch zu verhelfen. Sein italienischer Schüler Matteo Calisi freute sich, feststellen zu können: «Alle Kirchen – von Protestanten über Katholiken zu Orthodoxen – werden derzeit von einer Erneuerung erfasst, die von den Pfingstchristen ausgeht.»
Die Kontrolle behalten ...
Natürlich ist die katholische Amtskirche gleichzeitig bestrebt, die pfingstliche Erneuerung in die eigene Hand zu bekommen und fest am Zügel zu halten. Eben hat die Vatikan-Koordinierungsstelle «Charis» für die internationale Arbeit der katholischen charismatischen Bewegung einen neuen Moderator erhalten. Der Argentinier Pino Scafuro wird das Büro leiten, das von Rom aus versucht, die Bewegungen und Gruppen zusammenzuhalten, die weltweit unter «Charismatische Erneuerung» firmieren. Zu diesen «katholischen Pfingstlern» sollen schon 120 Millionen Frauen und Männer gehören.
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Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet
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