Markus Bukhart
Warum unsere Zeit mehr «Tiefgänger» braucht
Viele wünschen sich in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft mehr Weitblick. «Die zunehmende Polarisierung und die Erosion der Gesprächskultur machen eine egoistische und eindimensionale Sicht spürbar», sagt Chrischona-Pastor Markus Burkhart.
Was fasziniert Sie an Menschen mit Tiefgang?
Markus
Burkhart: Eine Begegnung mit Tiefgängern
ist inspirierend und ermutigend. Mich beeindruckt zudem die Reife dieser
Personen. Wenn sie erzählen, wie sie mit Erfahrungen von Leid und Schmerz
umgehen, spüren wir, wie Gott in ihnen und mit ihnen am Werk ist. Für mich ist
es etwas vom Grössten, wenn ich miterleben darf, wie Menschen in die Tiefe und
in die Weite wachsen!
Was sind eigentlich die Kennzeichen
eines «Tiefgängers»?
Tiefgänger sind Personen, die
sich zu innerer Freiheit und zur Weisheit hin entfalten. Tiefgänger und
Tiefgängerinnen haben eine schöne Seele und ein weites Herz. Sie bleiben in den
Stürmen des Lebens gelassen und standhaft, fallen nicht um. Sie sind tief
verankert in Gott und haben mehr und mehr gelernt, aus der Beziehung mit Gott
und aus der Liebe Gottes zu leben.
Wie würden Sie das Gegenteil eines
Tiefgängers beschreiben? Oberflächlich, unverbindlich, unstet …?
Nicht-Tiefgänger sind
Schön-Wetter-Menschen. Solange alles einfach ist und gut geht, sind sie mit
dabei. Wird es schwierig oder schmerzhaft, sind sie weg. Wenn Menschen der Tiefgang (in Gott) fehlt, haben sie es schwer,
mit komplexen Situationen umzugehen. Wer an der Oberfläche bleibt, neigt zu
vorschnellen Urteilen und zu fehlender Differenzierung im Glauben und im
Denken. Der Umgang mit Menschen ohne Tiefgang kann sehr schwierig und
konfliktträchtig sein.
Nebenbei: Auch Tiefgänger und Tiefgängerinnen sind nicht perfekt! Doch sie sind am Lernen.
Sie schrieben zum Thema eine
beeindruckende Predigt. Warum scheint es nötig, praktizierende Christen mit dem
Begriff «Tiefgänger»
bekanntzumachen?
Auch als praktizierende Christen
erleben wir den Einfluss unserer Zeit und unsere Kultur auf uns als Kirchen und
als Einzelpersonen. Wir spüren das z.B. an einem ausufernden Individualismus
und an einer Art «Konsum-Christentum». Tiefgänger sehen weiter als bis zur
Nasenspitze und sind bereit, Opfer zu bringen. Tiefgänger haben das «grosse
Bild» im Blick: Gottes Gedanken mit der Kirche und der Welt – jetzt und bis in
Ewigkeit. Das hilft, in anspruchsvollen Situationen dabei zu bleiben, Gott
weiter zu vertrauen und auch andere zu ermutigen.
Viele Menschen sehen sich nach mehr
(Anerkennung, Bedeutung, Liebe, Verlässlichkeit, Zuwendung). Warum bleiben wir
oft an der Oberfläche, statt in die Tiefe zu wachsen?
Wir haben auf verschiedene Arten
«gelernt», dass alles schnell geht – und ohne grossen Aufwand. Handy und
Computer erleichtern unser Leben. Doch Menschen sind nicht Computer, die auf
Tastendruck funktionieren. Herausforderungen, Konflikte und schmerzhafte Situationen
lassen sich nicht mit der Delete-Taste löschen. Beziehungen sind entschieden
komplexer und aufwändiger als eine Handy-Bedienung.
Anerkennung, Bedeutung und Liebe beruhen auf Gegenseitigkeit und wachsen erst nach und nach. Anerkennung braucht Nahrung. Um Bedeutung zu bekommen, braucht es Zeit. Liebe braucht uns als Person und braucht unsere Hingabe. Das geht nicht schnell und ist nicht billig. Wenn wir jedoch diesen Weg der Hingabe beschreiten, werden wir nach und nach Liebe, Verlässlichkeit und Zuwendung erleben. Es braucht von mir die Bereitschaft, mich darauf einzulassen und mich hineinzugeben. Es kann schwierig sein. Es kann schmerzhaft werden. Es kann zu Enttäuschungen kommen. Doch nicht selten werden wir die Frucht dieses Weges erleben. Es lohnt sich! Tiefgänger haben das erkannt.
Gehen «Tiefgänger» anders um
mit Lebensstürmen oder den Herausforderungen ganz allgemein?
Ich denke schon. Sie fliehen
nicht und weichen nicht aus. Sie bleiben im Lebenssturm stehen und gehen
Herausforderungen an.
Wie wird man «Tiefgänger»?
Das kann ganz unterschiedlich
sein. Mir scheint, es hat damit zu tun, dass ich zu einem Ja finde, auch im
Leid. Es hat mit der vorherigen Frage zu tun: Sich den Herausforderungen
stellen und daran wachsen und reifen. Mit Gottes Hilfe und in einer wachsenden
Verwurzelung in Jesus Christus. Und nicht selten auch mit Unterstützung unserer
Nächsten. Es braucht da und dort so etwas wie einen Glaubens-Schritt aus dem
sicheren Boot hinaus auf Jesus zu, der im Sturm auf uns zu kommt.
Hand aufs Herz: Wo wünschen Sie sich persönlich mehr Tiefgang (bei
sich wie bei anderen)?
Ich bin am Lernen, zuerst in die
Welt meines Gegenübers einzutauchen, bevor ich den Menschen, seine Ansichten
oder sein Leben bewerte.
Allgemein wünsche ich mir mehr Tiefgang und Weitblick auch in der Gesellschaft, der Politik und der Wirtschaft. Die zunehmende Polarisierung in unserem Land und die Erosion der Gesprächskultur zeigen, dass wir uns zu sehr an der Oberfläche bewegen und zu sehr unsere egoistische und eindimensionale Sicht behalten wollen. Wir sind daran zu verlernen, mit unterschiedlichen Ansichten und Positionen wertschätzend umzugehen. Wir sind daran, den Blick zu verlieren für komplexe Zusammenhänge und für das, was Substanz hat und was wirklich trägt im Leben.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Das Wort von Jesus Christus: «Die Wahrheit macht frei.» Und: «Das
Grösste ist die Liebe» (nach 1. Korinther Kapitel 13).
Zur Person:
Markus Burkhart (59), verheiratet, zwei erwachsene Kinder; Ausbildung zum
Primarlehrer, Theologiestudium an der STH Basel, zurzeit Pfarrer einer
Chrischona-Gemeinde in der Schweiz.
Zum Buch:
Gordon MacDonald: «Tiefgänger. Wie Jesusnachfolger entstehen, die die Welt auf den Kopf stellen»; ein geistliches Buch, verpackt in Romanform, das inspiriert, bewegt und die Sehnsucht nach Neuem weckt. SCM Brockhaus, 336 Seiten, 978-3-417-26647-4, Fr. 17.90
Dieser Artikel erschien zuerst im EDU Standpunkt.
Zum Thema:
Kirstine Fratz: Der Zeitgeist ist kein Feind
Neuer Gnadauer-Leiter: «Es braucht ein eindeutiges Christuszeugnis»
Zeitzeichen: Werden Christen zur Parallelgesellschaft?
Autor: Thomas Feuz
Quelle: EDU Standpunkt
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