Zwischen dankbar und gleichgültig
Warum Zufriedenheit kein Wert ist
«Der unzufriedene Mensch findet keinen bequemen Stuhl», soll Benjamin Franklin gesagt haben. Doch ist alles gut im Leben, wenn wir nur recht zufrieden sind? Das ist nicht falsch, aber es ist nur ein Teil der Wahrheit.
In Wilhelm Buschs Klassiker «Max und Moritz» tritt auch der Dorflehrer Lämpel auf. Nachdem er sein Orgelspiel in der Kirche beendet hat, macht sich der «brave Mann» auf den Heimweg. Er macht es sich im Ohrensessel bequem, «Und voll Dankbarkeit sodann / Zündet er sein Pfeifchen an. / 'Ach!' spricht er, 'die grösste Freud / Ist doch die Zufriedenheit!'». Im selben Augenblick explodiert der Pfeifenkopf, den Max und Moritz mit Schiesspulver gestopft haben.
Natürlich übertreibt Busch im ersten Comic der Geschichte masslos; gleichzeitig trifft er den Nagel auf den Kopf: Zufriedenheit ist eine wunderbare Einstellung – und sie ist manchmal von sehr kurzer Dauer.
Zufriedenheitsindex
Zufriedenheit ist ein grosses Ziel. Im Marketing wird die Zufriedenheit von Kundinnen und Kunden mit dem Kundenzufriedenheitsindex (Customer Satisfaction Index) gemessen. Denn Unternehmen wollen wissen, wie ihre Dienstleistung oder ihr Produkt ankommt – sonst können sie es nicht mehr verkaufen. Käuferinnen und Käufer wiederum orientieren sich an solch einem Index, bevor sie etwas bestellen: Wie viele andere haben fünf Sterne vergeben, um zu zeigen, wie zufrieden sie waren? Wie viele nur einen, um ihre Unzufriedenheit zu unterstreichen?
Längst ist es allerdings klar, dass Zufriedenheit sich nicht nur beim Konsum einstellt. Seit Jahren existiert ein internationales Ranking, das die Lebenszufriedenheit von Menschen in verschiedenen Ländern misst. Dieser «World Happiness Report» berücksichtigt das Einkommen sowie soziale Unterstützung, gesunde Lebenserwartung, Entscheidungsfreiheit und zum Beispiel Vertrauen, um zu errechnen, wie gross die Zufriedenheit im Land ist. 2020 waren Finnland, Dänemark und die Schweiz auf den ersten Plätzen weltweit – Deutschland folgte auf Platz 17.
«Zufrieden zu sein, ist ein wichtiger Teil des biologischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens, der im Allgemeinen die Gesundheit und Lebensqualität entscheidend mitbestimmt.» Diese Aussage aus Wikipedia unterstreicht, was wir intuitiv wissen: Zufriedenheit tut uns gut.
Paulus und die Zufriedenheit
Zufriedenheit hängt eng mit Dankbarkeit für die eigene Situation zusammen oder auch mit dem realistischen Blick dafür, dass es immer andere geben wird, denen es besser oder schlechter geht als einem selbst. Das ist allerdings keine neue Entwicklung. Schon der Apostel Paulus schrieb an seinen Schüler Timotheus: «Es ist allerdings die Gottesfurcht eine grosse Bereicherung, wenn sie mit Genügsamkeit verbunden wird. Denn wir haben nichts in die Welt hineingebracht, und es ist klar, dass wir auch nichts hinausbringen können. Wenn wir aber Nahrung und Kleidung haben, soll uns das genügen!» (1. Timotheus, Kapitel 6, Vers 6-8).
Diese Haltung erwartete der Apostel aber nicht nur von seinem Mitarbeiter, er praktizierte sie auch selbst: «Ich habe nämlich gelernt, mit der Lage zufrieden zu sein, in der ich mich befinde» (Philipper, Kapitel 4, Vers 11). Ist also Zufriedenheit eine biblische Tugend? Ja, einerseits schon. Wenn sie dazu beiträgt, dass wir nicht neidisch auf andere sind, denen es scheinbar besser geht. Doch Zufriedenheit an sich ist kein biblischer Wert.
Zufrieden ja, gleichgültig nein
Derselbe Paulus, der eben noch zufrieden war, egal ob er gerade Geld zur Verfügung hatte oder nicht, wurde plötzlich unzufrieden, wenn er darüber nachdachte, dass es am damaligen Ende der Welt, in Spanien, noch keine Gemeinden gab. Dort wollte er unbedingt hin.
Tatsächlich ist die Grenze zwischen einer gesunden Zufriedenheit und einer Haltung der Gleichgültigkeit fliessend. Und der Gedanke, dass Seelenruhe bzw. das Loslassen von Wünschen glücklich macht, stammt nicht aus der Bibel, sondern von den Stoikern unter den griechischen Philosophen.
Können Christen damit zufrieden sein, dass immer noch Krieg und Hunger auf der Welt herrschen? Dass es immer noch Menschen gibt, denen niemand von Gott und seiner Liebe erzählt hat? Dass Christen selbst für Schwierigkeiten anderer Menschen verantwortlich sind? Wohl kaum.
Offensichtlich ist sowohl eine heilige Zufriedenheit als auch eine heilige Unzufriedenheit nötig.
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet
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