Reserveoffizier

«Gott ist kein Pazifist»

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Fabian Neumann (Bild: Pro Medienmagazin)
Fabian Neumann ist Christ und engagiert sich als Reserveoffizier bei der Bundeswehr. Warum ausgerechnet dort, wo er im Notfall töten müsste? Und wie passt das mit seinem Glauben zusammen?

Fabian Neumann, Sie sind Reserveoffizier. Was haben Sie gedacht, als Sie vom Angriff Russlands auf die Ukraine hörten?
Fabian Neumann: Mein erster Impuls war: Ich muss etwas tun. Deswegen habe ich bei der Bundeswehr nachgefragt, ob wegen des Ukraine-Krieges mehr Personal gebraucht wird. Das war aber nicht der Fall. Wenn jetzt wirklich der dritte Weltkrieg ausbrechen würde, will ich daran teilhaben, dass wir zu einem friedlichen Zustand zurückkehren können und zu unserem Leben, das ich als sehr gesegnet empfinde: dass wir als Christen unseren Glauben frei leben können, dass es uns wirtschaftlich gut geht und vieles mehr.

Sie haben sich bewusst für ein Engagement entschieden, wo Sie im Zweifel mit dem Leben bezahlen könnten und auch das Leben eines anderen auslöschen müssten. Warum nehmen Sie dieses Risiko in Kauf?
Als ich zur Bundeswehr gegangen bin, hat mich die Frage weniger beschäftigt. Es war für mich einfach klar, dass das dann zum Beruf gehört. Ich sehe es kritisch, dass die Bundeswehr als Arbeitgeber immer ziviler dargestellt wird. Aber der Beruf des Soldaten ist kein Beruf wie jeder andere. Mir war klar, dass die Waffenausbildung im Zweifelsfall dazu dient, mich oder meine Kameraden zu schützen, indem ich auf denjenigen, der auf uns schiesst, ebenfalls schiesse. Als ich mit 25 Jahren zum christlichen Glauben gekommen bin, habe ich mich gefragt, ob damit eine neue ethische Dimension für mich verbunden ist.

Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Ich habe festgestellt: Gott hat nichts gegen Soldaten. Viele Soldaten oder Hauptleute in der Bibel sind positiv dargestellt. Den römischen Hauptmann Kornelius bezeichnet die Bibel sogar als Glaubensvorbild. Soldaten haben neben verschiedenen anderen Berufsgruppen Johannes den Täufer gefragt, was sie tun sollen. Und er hat nicht gesagt: Hört mit eurem Beruf auf. Sondern er hat nur gesagt: Misshandelt niemand, erhebet keine falsche Anklage und seid zufrieden mit eurem Sold.

Wie sieht es mit dem Töten aus?
Das fünfte Gebot lautet genau genommen: «Du sollst nicht morden» – sprich: gesetzlos töten. Wenn ich mir das Alte Testament anschaue, würde ich sagen, Gott ist kein Pazifist. Im Gegenteil, er hat Soldaten immer wieder als Werkzeuge benutzt. Das war für mich ebenfalls ein Signal: Sofern es nach bestimmten Regeln abläuft, ist das Töten mit dem christlichen Glauben vereinbar.

Und diese Regeln gibt es?
Wegen des Zweiten Weltkriegs ist das Kriegshandwerk in Deutschland relativ reglementiert. Wenn ich zum Beispiel als Soldat weiss, dass Befehle meines Vorgesetzten gegen das Völkerrecht verstossen oder anderweitig rechtswidrig sind, kann ich sie verweigern. Ich kann vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt werden, wenn ich den Befehl ausführen würde, Kriegsgefangene zu misshandeln oder zu töten. Der Soldat trägt also die Verantwortung für sein eigenes Handeln. Dazu kommt: Wir sind eine Parlamentsarmee. Der Deutsche Bundestag entscheidet mit einem Mandat, wo es hingehen soll. Das Grundgesetz verbietet es ausserdem, einen Angriffskrieg vorzubereiten.

Trotzdem: Ein Menschenleben auszulöschen, überschreitet eine innere Hemmschwelle, von der man auch sagen kann, dass Gott sie in uns hineingelegt hat.
Das stimmt. Im Rahmen der Ausbildung zum Panzergrenadier hatten wir eine sogenannte Drill-Ausbildung. Da wird komplett ausgerüstet mit Helm, Gewehr, Rucksack und dergleichen eine Kampfsituation nachgestellt mit dem Ziel, die Soldaten zu konditionieren. Damit du in einer kritischen Situation nicht nachdenken musst, sondern funktionierst. In dem Moment, wo es wirklich zur Konfrontation kommt, denkst du nicht primär an die Verteidigung des Grundgesetzes oder die militärische Tradition der Napoleonischen Befreiungskriege, sondern du siehst gerade nur: Der Typ vor dir hält ebenfalls ein Gewehr hoch. Deswegen kann ich mir gut vorstellen, dass sich in dieser konkreten Situation gar nicht so viele Gewissenskonflikte einstellen. Es gehört zum professionellen soldatischen Handwerk, im Zweifelsfall die zivilisatorischen Hemmungen in dem Moment hinten an zustellen.

Warum nehmen Sie mit Ihrer Entscheidung für die Bundeswehr aber dieses Risiko in Kauf, in eine solche Situation zu kommen? Sie könnten unserem Land auch zivil dienen.
Es gibt gewisse Rechte und Werte, die man notfalls auch bereit sein muss, mit der Waffe zu verteidigen. Menschenrechte zum Beispiel. Und es kann auch notwendig sein, im Rahmen einer Friedensmission eine Konfliktsituation militärisch zu befrieden. Gutes Beispiel ist das Kosovo, wo unter anderem die Bundeswehr im Rahmen der KFOR-Mission einen Beitrag geleistet hat, dass sich verschiedene Gruppen nicht mehr bekriegen. Dieser relative Frieden musste militärisch von internationalen Truppen erzwungen werden. Wenn ich weiss, der Einsatz dient dazu, ein schlimmeres Übel zu verhindern, kann ich das vertreten. Durch meine christliche Prägung bin ich davon überzeugt: Es wird keinen Weltfrieden geben, bevor Jesus Christus zurückkommt. Aber bis dahin sollten wir nach Möglichkeit miteinander so friedlich wie möglich leben. Als Soldat kann ich einen Beitrag dazu leisten. Übrigens auch dafür, dass Hilfsorganisationen oder Missionswerke tätig werden können. Denn die zivile Hilfe braucht stabile staatliche Strukturen, die das Gewaltmonopol innehaben, Sicherheitskräfte, Soldaten oder die Polizei.

Sie haben zwei Kinder im Alter von zwei Monaten und zwei Jahren. Wie ist der Gedanke für Sie zu wissen: Ich könnte im Krieg fallen und Frau und Kinder bleiben zu Hause zurück?
Ich weiss, dass mein Leben hier zeitlich begrenzt ist. Der Tod macht mir keine Angst, weil ich weiss, wir Christen haben eine Perspektive, die darüber hinaus geht. Ich glaube daran, dass Gott mich versorgt – sicherlich dann auch meine Familie. Natürlich wird mich im Ernstfall der Gedanke belasten und herausfordern, was mit ihr passiert. Andererseits würde es nur im Verteidigungsfall zu einem Einsatz kommen. Dann weiss ich, dass die Verteidigung Deutschlands auch eine Verteidigung der Demokratie und des Rechtsstaats ist und der Art und Weise, wie wir leben. Das tue ich auch für meine Kinder.

Wenn Sie von einem Angriffskrieg wie in der Ukraine hören und wissen: Unser Land könnte eventuell auch ein Ziel werden und ich könnte einberufen werden – macht es Ihnen Angst?
Nein.

Warum nicht?
Wir haben so einen grossen Gott, der die ganze Welt in seinen Händen hält. Und wenn unsere einzelnen Haare gezählt sind, wie Jesus einmal gesagt hat, dann wird nichts passieren, was er nicht hätte zulassen wollen. Deswegen bin ich relativ entspannt, weil ich weiss, wo ich hingehe und wer über mir wacht. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass ich Militärwissenschaft studiert und mich auch wissenschaftlich mit dem Phänomen Krieg auseinandergesetzt habe.

Dadurch und durch die Bundeswehr habe ich vielleicht einen nüchternen Blick drauf entwickelt. Es ist für mich nachvollziehbarer, was da gerade beispielsweise in der Ukraine passiert. Menschen haben oft vor Dingen Angst, die sie nicht kennen, wo sie nicht wissen, was das konkret bedeutet. Ich will aber nicht ausschliessen, dass es mich emotional mitnimmt, wenn ich in den Einsatz müsste und meine Kinder hängen mir schreiend am Bein und sagen: Papa, bleib hier!

Manche Menschen fordern: «Frieden schaffen ohne Waffen» oder kritisieren, dass Waffen an die Ukraine geliefert werden. Sind sie in Ihren Augen naiv?
Es wird immer notwendig sein, dass es Menschen gibt, die über bestimmte Fähigkeiten verfügen, um in einem kriegerischen Kontext die Oberhand gewinnen zu können – und dass das mit gewissem Material einhergehen muss. Ich verstehe den idealistischen Ansatz, aber er funktioniert nur, wenn es nicht jemanden gibt, der mir Böses will und bereit ist, militärische Gewalt einzusetzen. Putin wird sich nicht von einer Friedensdemonstration in Leipzig aufhalten lassen, sondern nur von Panzern an der ukrainischen Grenze.

Sprechen Sie mit Ihren Kameraden über Ihren Glauben?
Es ist mir ein grosses Anliegen, missionarisch innerhalb der Bundeswehr tätig zu sein. Gerade für viele Christen ist sie ein rotes Tuch. Was ich sehr schade finde, weil es ein unterschätztes und auch unbearbeitetes Missionsfeld ist. Denn die Soldaten müssen sich ja von Berufs wegen mit Leben und Tod auseinandersetzen. Wer in den Auslandseinsatz geht, muss vorher sein Testament machen. Da finde ich es sträflich, dass zumindest meiner Wahrnehmung nach die Militärseelsorge nicht stärker für die Bibel und die Botschaft wirbt, dass es eine Perspektive über den Tod hinaus gibt.

Wie können Sie Ihren Glauben bezeugen?
Meine Kameraden wissen, dass ich Christ bin und bei einem christlichen Unternehmen arbeite. Voriges Jahr hatten wir eine Weihnachtsfeier mit den Kameraden. Ihnen habe ich ein kleines Andachtsbuch geschenkt und gesagt: Wer wissen will, warum wir Advent feiern und worum es in der Weihnachtsgeschichte geht, kann das hier lesen. Ich weiss, Gott will mich dort gebrauchen.

Dieser Artikel erschien zuerst auf PRO Medienmagazin

Zu Beginn des Ukraine-Krieges hat Livenet einen Talk zum Thema «Gewaltverzicht in jedem Fall?» aufgezeichnet. Hier können Sie sich den Talk ansehen:

Livenet-Talk: Was können wir für den Frieden tun?
Interaktiver Livenet-Talk: «Gewaltverzicht um jeden Preis?»
Warum Beten etwas anderes ist: «Pray for Putin» – echt jetzt?

Datum: 09.09.2022
Autor: Jonathan Steinert
Quelle: PRO Medienmagazin

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