Victorinox-CEO Carl Elsener
Mit Einsatz und Glauben für das internationale Unternehmen
Nur wenige Schweizer Produkte haben einen so patriotischen Charakter wie das Taschenmesser von Victorinox mit dem Kreuz als Markenzeichen. Im Interview erzählt CEO Carl Elsener (63) von seinen persönlichen Erfahrungen mit dem Familienunternehmen.
Wie alt waren Sie, als
Sie Ihr erstes Taschenmesser bekamen?
Ich habe mein
erstes Taschenmesser mit etwa fünf Jahren erhalten. Das war ein prägender
Moment. Mein Vater schenkte mir das Messer – und damit auch Vertrauen und
Verantwortung. Auch heute beginnen die Augen von Jungen und Mädchen zu
leuchten, wenn sie ihr erstes Taschenmesser bekommen.
Welche Messer
verkaufen sich heute besonders gut?
Von den
mittlerweile über 400 verschiedenen Taschenmessermodellen gibt es diverse, die
sich gut verkaufen. Da ist zum Beispiel das kleine «Classic Modell». Von den Stückzahlen
her ist das unser gängigstes Messer. Im Blick auf Beliebtheit und Wert ist
sicher das grössere Modell «Swiss Champ» zu nennen. Ich selbst bin grosser Fan
vom Modell «Traveller», das ich immer bei mir trage.
Seit wann sind Sie CEO
von Victorinox?
Ich bin 1978
in der Firma eingestiegen und habe 34 Jahre mit meinem Vater, der damals CEO
war, zusammengearbeitet. Seit 2007 bin ich Geschäftsführer der Firma
Victorinox.
Hatten Sie sich schon früh
mit dem Gedanken angefreundet, in die Verantwortung für die Firma hineinzuwachsen?
Für mich war dies ein natürlicher Prozess. Schon als Kind hat mich das
Taschenmesser und alles darum herum sehr interessiert. Mein Vater hat mir und
meinen Geschwistern früh den Kontakt mit Mitarbeitern und Kunden ermöglicht.
Bis ich die Hauptverantwortung der Firma übernahm, vergingen aber viele Jahre,
in welchen ich mich immer wieder neuen Herausforderungen stellen und
Erfahrungen sammeln musste. Es galt, Durchhaltewillen und vor allem auch
Bereitschaft für die ständige Weiterentwicklung zu beweisen.
Es hat also seinen
Preis, an der Spitze eines internationalen Betriebs wie Victorinox zu stehen...
Ja, um ein
solches weltweites Unternehmen zu führen, braucht es einen sehr grossen Einsatz.
Jeder muss bereit sein, überdurchschnittlichen Einsatz zu leisten.
Was ist Ihnen im Umgang mit Mitarbeitenden wichtig?
Der Grund für den Erfolg einer Firma sind immer die Menschen. Menschliche und
fachliche Eigenschaften unserer Mitarbeiter, aber auch deren Zufriedenheit prägen
unsere Produkte und das Image unserer Marke. Entsprechend fordern wir unsere
Mitarbeiter, damit sie ihre Stärken entfalten und ihre Arbeit mit Herzblut
verrichten können. Ich denke, dass ich für unsere Mitarbeitenden nahbar bin.
Meine Türe steht allen offen und es ist mir wichtig, die Mitarbeitenden spüren
und erleben zu lassen, dass ich ihre Arbeit und ihren Beitrag zum Erfolg von
Victorinox sehe und schätze.
Welche Werte zählen
bei Ihnen, wenn Sie neues Personal einstellen?
Die
Zusammenarbeit und Unternehmenskultur in der grossen Victorinox-Familie ist geprägt
von folgenden sieben Werten: Offenheit, gegenseitiges Vertrauen und Respekt,
Dankbarkeit, Bescheidenheit, Mut und Verantwortung. Diese Werte sind uns sehr
wichtig und wir bemühen uns, sie unseren Mitarbeitenden immer wieder bewusst zu
machen und in der täglichen Arbeit vorzuleben. Neben den fachlichen Qualifikationen
spielen diese Werte beim Rekrutieren eine wichtige Rolle.
In einem Interview mit
dem evangelischen Nachrichtenmagazin IDEA sagten Sie, Gottes Segen sei wie ein
Bonus. Wie meinen Sie das?
Bei dieser Aussage ging es ums Thema Bonus. Beim Lesen der Bibel stossen wir
darauf, wie Jesus sagte: «Suchet zuerst das Reich Gottes und alles andere wird
euch hinzugegeben werden.» So gesehen kann man bezüglich Gottes Segen von einer
Art Bonus reden. Ich denke, wenn wir uns bemühen, Gott durch uns wirken zu
lassen, kann viel Positives in uns und um uns herum geschehen. Irgendwo las ich
die Aussage: «Gott hat keine Hände, er hat nur unsere Hände.»
Wie erleben Sie Gott
konkret im Business, persönlich und in ihren Teams?
Das klingt
nach einer schwierigen Frage, aber eigentlich ist es ganz einfach. Wenn ich
bewusst und mit offenen Augen durchs Leben gehe, erfahre ich Gottes Gegenwart täglich.
Gott ist immer da. Auch wenn wir mit offenen Augen in der Natur unterwegs sind,
sehen wir überall kleinere und grössere Wunder. Das ist der Ausdruck unseres Schöpfers.
Der Hauptsitz von
Victorinox ist immer in Ibach geblieben. Fühlen Sie sich in der Innerschweiz
verwurzelt?
Unsere Familie
wohnt hier, hier schlägt unser Herz, hier sind unsere Wurzeln. Unser Urgrossvater
hat die Firma 1884 an diesem Standort gegründet und wir beschäftigen heute im
Talkessel von Schwyz 950 Mitarbeitende. Erst kürzlich haben wir unser
Bekenntnis zum Standort Schwyz erneut kräftig unterstrichen, indem wir 50
Millionen Schweizer Franken in den Bau eines neuen Distributionszentrums
investiert haben.
Wie gehen Sie mit der
Konkurrenz um?
Jeder
Mitarbeiter weltweit erhält eine Broschüre mit unserem «Code of Conduct», dem
Verhaltenskodex. Hier geht es darum, wie sich die Firma gegenüber der
Gesellschaft und den verschiedenen Stakeholdern verhält. In unserem
Verhaltenskodex bekennen wir uns gegenüber Konkurrenz, Kunden und Lieferanten
zu einem fairen Wettbewerb. Wir respektieren unsere Konkurrenz, sie ist für uns
Ansporn, uns weiterzuentwickeln.
Welche
Herausforderungen brachte die Coronakrise für Ihre Branche mit sich?
Aufgrund
unserer weltweiten Präsenz wurden wir schon früh mit der Coronakrise konfrontiert.
In Hongkong und China haben wir Vertriebsbüros sowie verschiedene
Verkaufspunkte, die mit Beginn der Krise wochenlang geschlossen blieben. Je
mehr sich das Virus weltweit ausbreitete, spürten wir, zeitlich versetzt, die
negativen Auswirkungen. So waren bald auch unsere Stores und Verkaufspunkte in
Europa vom Lockdown betroffen, und später ging es auch in Nord- und Südamerika
so. Wir mussten uns auf einen starken Umsatzeinbruch einstellen, sind aber dankbar,
dass es uns gelungen ist, an unseren beiden Produktionsstandorten Delémont und
Ibach Entlassungen zu vermeiden. Hierzu gab es zwei Hauptgründe: Der eine war
die Möglichkeit der Kurzarbeit, der andere unsere Reserven. Unsere Familie hatte
stets die Philosophie: «Spare in der Zeit, dann hast du in der Not.»
Entsprechend dieses Leitsatzes haben wir in guten Zeiten Reserven gebildet,
welche uns schon oft geholfen haben, schwierige Zeiten besser zu überstehen.
An anderer Stelle
sprachen Sie auch von den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 («9/11»)...
Wenn Sie die Geschichte
von Victorinox anschauen, sehen Sie, dass wir den Ersten Weltkrieg erlebt
haben, dann die extreme Rezession der 30er-Jahre. Wir erlebten den Zweiten Weltkrieg,
die Ölkrise und auch 9/11. Damals brach der der Umsatz der Taschenmesser über
Nacht um fast 30 Prozent ein. Wir erlebten die Finanzkrise und aktuell erleben
wir Covid. Dabei haben wir immer gesehen, wie wichtig Reserven sind, um
derartige Krisen einigermassen überstehen zu können.
Wo erkennen Sie in der
aktuellen Zeit auch Chancen?
Wir leben
heute in einer Welt mit ständigen und immer schnelleren Veränderungen. Unternehmen
und Einzelpersonen müssen lernen, mit solchen Veränderungen, Herausforderungen
und Krisen umzugehen und dabei auch die Chancen zu sehen, die jede Krise mit
sich bringt. Ein chinesisches Sprichwort umschreibt es schön: «Wenn der Wind
der Veränderung weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen.» Für uns
ist wichtig, dass unsere Mitarbeitenden sehen, wie sie Krisen nutzen und daraus
etwas Gutes gewinnen – also im übertragenen Sinn Windmühlen bauen – können.
In dieser Zeitung beschäftigen
wir uns auch mit der Frage, was Menschen Hoffnung und Halt gibt. Wie stehen Sie
persönlich dazu?
Hier muss ich klar sagen: Halt und Unterstützung erhalte ich von meiner
Familie; meiner Frau, meinen Kindern und auch meinen Geschwistern. Ich habe ja
sieben Schwestern und drei Brüder. Kraft und Halt finde ich auch im
christlichen Glauben. Für mich ist der Herrgott ein Leuchtturm und gleichzeitig
ein Kompass. Ich denke, dass der Glaube allein nicht reicht, aber er hilft.
Wenn ich überlastet bin und Sorgen mich drücken, dann lege ich diese dem
Herrgott in die Hände. Er hilft mir, die Last zu tragen.
Jeder Mensch kennt
auch persönliche Krisen und Momente des Scheiterns. Was half Ihnen, in diesen
Momenten aufzustehen und weiterzumachen?
Mir hilft das
Wissen, dass Krisen und Scheitern genauso zum Leben gehören wie Erfolge. Krisen
bieten die Chance, resilienter zu werden und sich weiterzuentwickeln. Ein
bekanntes Sprichwort sagt: «Es kommt nicht darauf an, wie oft man hinfällt,
sondern dass man wieder aufsteht.» In schwierigen Zeiten und Herausforderungen
suche ich das Gespräch und die Reflexion mit meiner Familie, aber auch mit
Freunden. Bewusst richte ich den Blick auch auf positive Dinge. Das hilft, um
Schwieriges leichter tragen zu können.
Auf allen Ihren
Taschenmessern findet sich das Schweizerkreuz. Kürzlich wurde über die Präambel
der Bundesverfassung diskutiert. Stimmen forderten, sich von den christlichen
Wurzeln unseres Landes zu lösen. Wie sehen Sie das?
Da muss ich ganz klar sagen: In unserer Familie sind christliche Werte enorm
wichtig und der christliche Glaube gibt mir viel Kraft. In etlichen Räumen unseres
Betriebs hängt ein Kreuz an der Wand, weil wir von dessen Kraft und
Ausstrahlung überzeugt sind. Ich persönlich würde es sehr bedauern, wenn in
Schulen das Kreuz entfernt würde.
Wie wichtig ist Ihnen
eine kirchliche Tradition?
In unserer
Familie sind wir sehr offen. Wir selbst leben unseren katholischen Glauben,
haben jedoch gar keine Berührungsängste. Uns ist der christliche Glaube sehr
wichtig, letztlich muss jeder Mensch selbst einen Ort für Halt und Orientierung
finden. Ich respektiere unterschiedliche Überzeugungen.
Wie sieht bei Ihnen
ein typischer Tagesablauf aus?
In gewissen
Berufen mag es einen typischen Tagesablauf geben. Beim Verantwortlichen einer
Firma verläuft der Tag immer wieder unterschiedlich. Die meisten Tage beginnen früh
und enden spät.
Wie entspannen Sie
sich nach einem anstrengenden Tag am liebsten?
Bei einem
Abendspaziergang mit meiner Familie; wenn ich mit meiner Frau, meinen beiden Töchtern
und meinem Sohn über unsere Erlebnisse des Tages austausche.
Was ist Ihre Lieblingsbeschäftigung
an verregneten Sonntagnachmittagen?
Wir sind gern
an der frischen Luft und lieben das Wandern. Wenn es regnet, ist das etwas
schwieriger. Dann verbringe ich die Stunden gerne mit kreativem Gestalten von Fotobüchern.
Seit 15 Jahren haben wir als Familie von jedem Jahr ein Fotobuch. So können wir
das Jahr noch einmal nacherleben.
Welche Musik hören Sie
gerne, wenn Sie unterwegs sind?
Mich begleiten
eher Hörbücher als Musik. Momentan ist es das Hörbuch von Ken Follett mit dem
Titel «Kingsbridge». Das ist eine Geschichte aus dem Mittelalter, die meine
Frau und mich sehr fasziniert.
Welches Buch hat Sie
in letzter Zeit inspiriert?
Letztens habe
ich meiner Frau ein Buch gekauft. Es heisst «Sag immer die Wahrheit» und wurde
von Benjamin Ferencz geschrieben. Ich habe das Buch vergangenes Wochenende
gelesen und es hat mich sehr inspiriert. Benjamin Ferencz ist Jude und heute über
100 Jahre alt. Er hat den zweiten Weltkrieg erlebt und alle wichtigen Einsätze
der NATO- Kräfte in Frankreich. Später wurde er von einem amerikanischen
General eingesetzt, um zu erforschen, wie in Deutschland derart schlimme Dinge
geschehen konnten.
Zum Schluss: Nennen
Sie uns bitte eine Ihrer mutigsten Taten.
Körperlich
gesehen war dies die Besteigung des Piz Bernina gemeinsam mit meinen zwei Töchtern.
Wenn ich die beiden heute frage, ob sie noch einmal mitkommen würden, sagen
beide «Nein». Wir haben es einmal gewagt und es war die Grenze dessen, was wir
uns trauten.
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Autor: Florian Wüthrich / Markus Richner-Mai
Quelle: jesus.ch-Print
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