Der Fall Räsänen

Der Trick mit der Meinungsfreiheit

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Päivi Räsänen (Bild: ADF International)
Stellen Sie sich vor, eine ehemalige Bundesinnenministerin und langjährige Vorsitzende der CDU stünde vor Gericht, weil Sie über ihren Glauben gesprochen hat. Das war über das letzte Jahr in Finnland der Fall. Für wen gilt Meinungsfreiheit? Ein Kommentar von Ludwig Brühl.

Päivi Räsänen, ihres Zeichens ehemalige Innenministerin und mehrere Jahre lang Vorsitzende der finnischen Christdemokraten wurde letztes Jahr angeklagt, weil sie aus der Bibel zitiert hat.

Nach einem Prozess, der weltweit Aufsehen erregt hatte, wurde sie am 30. März freigesprochen (Livenet berichtete). Ein gutes Zeichen. Denn Meinungsfreiheit zu verteidigen, heisst nicht eine bestimmte Meinung, sondern die Freiheit zu verteidigen.

Der Hintergrund

Räsänen hatte 2019 in einem Tweet hinterfragt, warum die Leitung der Finnisch-Lutherischen Kirche das LGBT Pride Event offiziell unterstützt hatte. Ihrem Tweet hängte sie ein Bild aus ihrer Bibel an. Der Textausschnitt, der zu sehen war, stammt aus dem neutestamentlichen Römerbrief, wo der Apostel Paulus in zwei kontroversen Sätzen über Sexualität und ausgelebte Homosexualität spricht.

Daraufhin vernimmt sie die Polizei mehrmals über ihr religiöses Verständnis der Bibel. Nach Abschluss der Ermittlungen empfiehlt die Polizei, Räsänen nicht anzuklagen. Dennoch erhebt die Generalstaatsanwältin eine Anklage mit drei separaten Punkten gegen Räsänen. Darunter ist besagter Tweet, ein Ausschnitt aus einer Radiodebatte und eine Broschüre, die Räsänen vor fast 20 Jahren geschrieben hatte. Die Radiosendung und die Broschüre drehten sich ebenfalls um das christliche Verständnis von Ehe und Sexualität.

Generalstaatsanwaltschaft kündigt Berufung an

Der Prozess hatte noch nicht begonnen, da gab die Generalstaatsanwältin (!) von Finnland der wichtigsten Zeitung in Helsinki ein Interview. Darin sagte sie sinngemäss, dass man zwar aus der Bibel, dem Koran und aus Mein Kampf zitieren, nicht jedoch die Inhalte dieser Bücher als Meinung vertreten dürfe.

Tatsächlich scheint die Staatsanwaltschaft den Prozess zur persönlichen Mission zu machen. Nach dem einstimmigen Freispruch durch das Bezirksgericht hatte sie wenige Tage danach die Chuzpe, ihre Berufung gegen das Urteil anzukündigen. Damit geht der Prozess weiter, der Schaden für die Meinungsfreiheit ist noch nicht absehbar.

Grundpfeiler einer liberalen Gesellschaft

Von Anfang an wirft der Fall grosse Fragen auf: Für wen gilt Meinungsfreiheit? Wer darf seine Überzeugung ungestraft vertreten? Und: Nimmt der Staat eine Haltung zu religiösen Inhalten ein?

In der Nachkriegszeit fand das Recht auf freie Meinungsäusserung in fast jede Verfassung in Westeuropa Eingang. Immer noch ist Meinungsfreiheit ein beliebtes Thema für politische Sonntagsreden. Vielleicht haben wir dabei eine Sache vergessen: Meinungsfreiheit ist oft nervig und stört. Irgendjemand wird sich immer über die Meinung eines anderen ärgern. Und doch ist dieses Recht der Garant für einen freien Diskurs, für den Kampf um das beste Argument und letztlich der Grundpfeiler einer liberalen Gesellschaft.

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Ludwig Brühl
Deswegen muss man Päivi Räsänen nicht im Entferntesten beipflichten oder gar ihrer Meinung sein, um sich um den Zustand der Meinungsfreiheit in Europa zu sorgen. Räsänen selber sagte: «Ich habe viele Unterstützer, die meine Meinung nicht teilen. Aber sie sagen mir auch, dass sie mein Recht verteidigen, zu sagen, was ich glaube und denke.»

Der kleine Trick der «Hassrede»

Cancel Culture und ihre Auswüchse sind das eine, doch in dem finnischen Prozess war eine andere Dimension zu sehen: Eine anerkannte Abgeordnete und aktive Oppositionspolitikerin wurde wegen ihrer Überzeugungen strafrechtlich angeklagt. Selbst nach dem Freispruch lässt die Staatsanwaltschaft nicht locker und versucht Päivi Räsänen zu kriminalisieren.

Eigentlich ist die Meinungs- und Religionsfreiheit in Verfassung, Völkerrecht, und den EU-Verträgen garantiert. Doch mit einem kleinen Trick kann man diese Grundrechte umgehen. Unliebsame Meinungen werden einfach als «Hassrede» betitelt. Das praktische an «Hassrede» ist, dass sie keine rechtliche Definition hat. Der Begriff ist ein politisches Totschlagargument und bezieht sich auf alle Meinungen, die von ihren Gegnern gehasst werden.

Darum sollten wir «Hassrede» als juristischen Anklagegrund so schnell wie möglich hinter uns lassen. In Europa gibt es sehr gute Gesetze, die Aufruf zu Gewalt und Störungen des öffentlichen Friedens verbieten. Aber – und das ist im Strafrecht wichtig – dafür gibt es streng bestimmte Kriterien. Der Vorwurf der «Hassrede» aber ist einfach nur eine Rechtfertigung für Zensur und Verfolgung von Minderheitenmeinungen.

Nicht zuletzt deswegen ist es so wichtig, dass das Bezirksgericht Helsinki in seinem Urteil Meinungsfreiheit und Religionsfreiheit als fundamentale Rechte anerkennt und verteidigt. Das Gericht urteilte, dass auch eine umstrittene Aussage klar von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Das ist eine gute Nachricht für uns alle.

Trotzdem müssen wir uns immer wieder fragen: Was ist uns Freiheit wert? Wie tolerant sind wir gegenüber religiösen Ansichten, auch wenn sie für einige aus der Zeit gefallen scheinen? Christen, Juden, Muslime und Menschen, die hier und dort mal von einer Mehrheitsmeinung abweichen (also im Endeffekt jeder) erwarten eine faire Antwort auf diese Frage. Denn eines ist sicher: Nichts ist so aus der Zeit gefallen, als jemanden wegen einer persönlichen Überzeugung vor Gericht zu zerren.

Zum Autor:

Ludwig Brühl arbeitet als Journalist für die weltweit tätige Menschenrechtsorganisation ADF International. Die Organisation setzt sich für die Freiheit und unveräusserliche Würde aller Menschen ein und arbeitet mit einem weltweiten Netzwerk von Anwälten und Experten zusammen, um u.a. kostenlosen Rechtsbeistand bei Glaubensverfolgung, zum Schutz und zur Förderung des Rechtes auf Leben, der Familienrechte sowie der Meinungs- und Redefreiheit anzubieten.
Mehr zu ADF International online.

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Datum: 10.04.2022
Autor: Ludwig Brühl
Quelle: ADF International

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