Wohin Glaubenswege führen
Über persönliche Grenzen, Respekt und Vielfalt
Anstatt sich von Doktrinen einengen zu lassen, entscheidet Deborah Finger, ihren Mitmenschen mit Interesse zu begegnen. In ihrem Vertrauen in Gott findet sie die nötige Ruhe, um auch kontroverse Meinungen zu respektieren.
Deborah Finger (44) aus Jaberg (BE) ist verheiratet, hat drei Kinder und ihr bisheriges Leben verlief alles andere als langweilig. Als Missionarskind lernte sie den christlichen Glauben schon früh kennen. Sehr früh begann sie sich aber auch schon tiefere Gedanken über den Glauben ihrer Eltern zu machen. Als Deborah älter wurde, stellte sie fest, dass Christen ganz unterschiedlichen Standpunkte von der Bibel her begründeten. Die Eindeutigkeit biblischer Auslegung schien dadurch in Frage gestellt. Deborahs Neugierde war geweckt und sie wollte neue Horizonte erkunden. Eine Reise begann.
Auf der Suche nach einem weiteren Horizont
In jenen Jahren engagierte sich Deborah intensiv in der Gemeindearbeit. «Irgendwann hatte ich das Gefühl, in einer zur Gesellschaft hin abgekapselten Welt zu leben.» In der Folge wechselte sie in eine andere Gemeinde, wo sie drei Jahre blieben. «Es zog mich dann in die Landeskirche, wo eine grössere Vielfalt möglich war.» Und wieder engagierte sie sich, unter anderem auch als Kirchgemeinderätin.
Schon damals und bis heute trifft sich Deborah mit ein paar Frauen, von denen einige keine langjährige christliche Prägung haben, zum gemeinsamen Lesen der Bibel. Deborah schätzt diesen Rahmen auch deshalb, weil keine festgefahrenen Theologien das Gespräch bestimmen. «Die Bibelworte bringen bei jeder Frau andere Saiten zum Klingen. Ich liebe diesen Mehrklang.»
Intellektuelle Auseinandersetzung gibt keinen inneren Frieden
Auf ihrer Erkundungsreise absolvierte Deborah im Fernstudium beim IGW einen Master of Arts in Theologie. In der Einleitung ihrer Diplomarbeit schrieb sie: «Im Laufe der Jahre machte ich auch die Erfahrung, dass intellektuelle Abenteuer keinen inneren Frieden herbeiführen können. Im Vertrauen kommt meine Seele zur Ruhe. Das Vertrauen zu Gott anerkennt die eigene Unwissenheit, die eigenen Begrenzungen, das eigene Unvermögen und ruht in der Gewissheit der göttlichen Liebe und Fürsorge. Vertrauen ist nicht auf Scheuklappen angewiesen. Ich darf, ja soll mich der Auseinandersetzung mit dem Leben stellen.»
Das Schreiben dieser Worte liegt inzwischen acht Jahre zurück, ihre Haltung ist aber dieselbe geblieben. Deborah liebt die Auseinandersetzung mit dem Leben, mit Menschen und deren Ansichten. So entschied sie sich für ein Theologiestudium an der Universität in Bern. «Ich liebe den Austausch mit anderen Studierenden und ihren verschiedenen Ansichten.»
Rahmenbedingungen für einen beziehungsstiftenden Glauben
Wozu lebe ich? Was ist im Leben wichtig? Solche Fragen stellt sich Deborah oft. Oft neigen wir dazu, uns von dem abzuwenden, was uns nicht zugänglich, was uns fremd ist. Deborah sieht aber eine Chance darin, sich gerade darauf einzulassen.
«Das Wahrnehmen dessen, wer oder was um mich ist und das Interagieren mit meinem Umfeld macht mein Leben aus. Ich glaube, dass ich es in allem immer auch mit Gott zu tun habe.» Letztlich gehe es immer darum, worauf wir vertrauen. «Vertrauen bedeutet für mich Hingabe, ohne Sicherheiten zu haben.» Es erfordere immer wieder Mut, sich auf Neues einzulassen. «Wenn die Kinder in die Pubertät kommen, gilt es loszulassen und einfach Gott zu vertrauen. Ich möchte meine Kinder in ihrer Persönlichkeit wahrnehmen, sie ernst nehmen, sie lieben. Wenn das gelingt, fühle ich mich lebendig und erfüllt.»
Respekt, Grenzen und die Ewigkeit
Die Frage, weshalb Deborah nicht im gewohnten Sinn einer Gemeinde angehört, ist für sie nicht einfach zu beantworten. «Es gab nie einen Bruch», sagt sie. Das Leben führte sie einfach so. «Wegweisend ist bis heute mein Streben nach einem weiten und offenen Blick. Mich nicht der Meinung einer Gruppe anzuschliessen, braucht immer wieder viel Energie.» Gerade auch ihr starkes Bedürfnis, Dingen auf den Grund zu gehen, lässt sie eigene Wege gehen. «Menschen und deren Ansichten zu respektieren, ist mir sehr wichtig», hält sie fest. Und dies gerade auch in der Zeit von Corona. «Es gilt, aufeinander zuzugehen, zuzuhören, im Gespräch zu bleiben und andere Ansichten stehen zu lassen.»
Deborah selbst müsse darauf achten, Menschen nicht in eine Schublade einzusperren. «Ich will mich für meine Mitmenschen und deren Ansichten interessieren, gleichzeitig aber auch meine eigenen Grenzen und die Grenzen anderer wahrnehmen und respektieren.» Genau in diesem Spannungsfeld scheinen heute viele zu stehen. «Ich glaube, dass viele Personen christliche Gemeinden verlassen, weil sie sich bedrängt fühlen. Doch erst ein guter Umgang mit unseren Grenzen ermöglicht es, Nähe zuzulassen.»
Deborah ist sich der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens bewusst. Gleichzeitig ist sie davon überzeugt, dass sie auch an dieser Grenze in Gott sicher aufgehoben ist. «Gott ist für mich!» Dieses Wissen ist das Wichtigste.
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Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet
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