Neue Freunde, neue Hoffnung

Mohammads Flucht aus dem Iran

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Mohammad aus dem Iran (Bild: zVg)
Es ist eine Geschichte, wie sie hundertfach geschieht, die Hans Ueli Beereuter im Meos-Magazin «meinNächster» erzählt. Sie handelt von Mohammad, dessen Leben durch die Teilnahme an einer politischen Demo auf den Kopf gestellt wurde.

Mohammad ist ein junger Kurde. Er lebt mit seiner Familie im Iran. Dort sind die Kurden eine Minderheit, die sich immer wieder gegen die Benachteiligung durch die Regierung zu wehren versucht. Doch dies ist gefährlich. Immer wieder werden rebellierende Kurden bestraft, oft öffentlich zur Abschreckung. Heute gibt es in der Stadt eine Demonstration. Die vorwiegend jungen Männer denken, gemeinsam seien sie stark. Sie rufen laut. Sie schwenken kurdische Fahnen. Sie geben ihren gedemütigten Gefühlen freien Lauf. Die Regierung in Teheran ist weit weg. Heute muss es gesagt sein! Irgendwie tut es gut. Man will sich doch nicht alles gefallen lassen!

Im Gefängnis, ohne zu wissen, wohin sie ihn gebracht haben

In den darauffolgenden Tagen klopft es an vielen Türen. Die iranische Geheimpolizei sucht gezielt nach den jungen Demonstranten. Sie hatten Spitzel eingeschleust. Diese haben wie alle laut geschrien, dabei aber noch gefilmt, so viel sie nur konnten. Mohammad wird identifiziert und bekommt wenige Tage später «Besuch» und wird mitgenommen. Die Fahrt dauert lange, wohin weiss er nicht. Zielort ist ein Gefängnis, von dem niemand erfahren soll, wo es liegt. Mohammad weiss es nicht. Seine Familie weiss es nicht. Sechs Monate lang sind sie ohne jegliche Information voneinander getrennt. Die Familie tut alles, aber sie findet ihn nicht. Sein Bruder wird erschossen. Er ist Vater eines elfmonatigen Sohnes. Die junge Mutter wird von ihrer Familie zurück in die Heimat geholt. Ohne das Kind, das überlassen sie Mohammads Eltern. Diese sind durch das Leid am Verzweifeln. In Mohammad's Zelle gibt es einen Koran. Er liest viel, betet, hofft, ist am Ende seiner Kraft. Details erzählt er nicht. Nur, dass nach langen sechs Monaten ein freigelassener Kurde seine Familie kontaktierte und ihr sagte, wo ihr Sohn sei. Er lebt! Wenigstens das. Doch der Weg in die Freiheit dauert lange. Ein Anwalt verhandelt. Es wird Geld verlangt. Verhöre, Verhandlungen, Hoffnung, Enttäuschungen. Am Ende sind es zwei volle Jahre, bis Mohammad freikommt. Die Not der Familie ist gross. Während Mohammad's Zeit im Gefängnis stirbt auch noch sein Vater. Mohammad möchte helfen, Geld verdienen, sich um seine Mutter mit dem kleinen Enkelkind kümmern. Nach der Entlassung findet er Arbeit in einer Bibliothek. Er liebt Bücher, ist sehr froh, dass er nun seiner Mutter helfen kann.

Doch schon nach wenigen Monaten ist das Glück wieder vorbei. Die Polizei findet in der Bibliothek nicht genehme Bücher, kurdische Bücher, politische Bücher. Sie beschuldigen Mohammad. Weil er bereits vorbestraft sei, müsse doch er die Bücher illegal ins Regal gestellt haben. Mohammad weiss nicht, was er tun soll. Er plant die Flucht in eine weit entfernte Gegend. Sein Anwalt rät ab: «Die finden dich überall. Dein Handy wird dich verraten oder jemand, der mit der Polizei unter einer Decke steckt. Du musst weg, ganz weg. Nach Europa!»

Ohne zu wissen, wohin die Reise geht

Gerade noch rechtzeitig schafft er es in die Türkei. Schlepper nehmen Geld, versprechen ihn weiter Richtung Europa zu bringen. Es folgen schwierige Wochen, die Mohammad lieber nicht erlebt hätte. Zurück geht nicht. Vorwärts ist immer wieder alles unklar. Als er mitten auf dem Mittelmeer im Schlauchboot sitzt, steht der eh schon viel zu kleine Motor plötzlich still. Weinen, schreien, warten, verzweifeln. Ein Mann steht auf. Er hat ein Kreuz in der Hand und beginnt zu beten. Mohammad weiss nicht, wer dieser Mann ist. Vielleicht ein Pfarrer, vielleicht sonst ein Christ. Er erinnert sich jedenfalls noch sehr genau an den Moment, als der Motor wieder zu brummern beginnt. Eine unglaubliche Erleichterung und Hoffnung macht sich breit. Die Fahrt endet nach acht unendlich langen bangen Stunden. Griechenland! Europa! Hoffnung! Die Leute wissen nicht, wie lange und wie schwer der Weg noch werden soll. Irgendwann geht die Reise nach Europa weiter. Mohammad weiss nicht wohin. Mazedonien, Serbien, Kroatien, Ungarn, Österreich. Über Berge, durch riesige Wälder. Sie sind in Gruppen unterwegs. In Kroatien will sie ein Schlepperbus mitnehmen. Eine Gruppe steigt ein, seine hofft, ein billigeres Angebot zu finden. Später erfahren sie, dass diese Schlepper ihre «Beute» in ein Versteck fahren, sie einsperren und noch mehr Geld erpressen. Was mit seinen Kollegen am Ende geschehen ist, erfährt Mohammad nie. Er hat nichts mehr von ihnen gehört. Er selber landet nach sechs Wochen am Bodensee, auf der Schweizerseite. Die Schweiz wird seine neue Heimat. Er lebt nun schon fünfeinhalb Jahre hier. Mohammad ist hartnäckig, er kämpft, will vorwärtskommen, eine Zukunft finden. Denn zurück geht nicht, wohl nie mehr!

Ohne zu wissen, ob er bleiben darf

Er spricht sehr gut Deutsch und hat viele Kontakte. Besonders in der Kirche, die seine neue Heimat geworden ist. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Er darf nicht mehr als Coiffeur arbeiten, fühlt sich hier wie eingesperrt. Dennoch hofft er. Die Christen geben ihm Hoffnung, die Bibel, sein Glaube. Schon zweimal hat er das ganze Neue Testament gelesen und die persische mit der kurdischen Übersetzung verglichen. Er hat viele Fragen und ist unendlich dankbar, dass ihn Christen in den Gottesdienst eingeladen haben. Vier Mal hat er im Gefängnis den Koran gelesen, ohne verändert zu werden, ohne Hoffnung zu finden. Die Bibel jedoch berührt sein Herz, immer mehr, immer tiefer. Nicht ohne Zweifel, nicht ohne Ängste. Die freundlichen Menschen in der Kirche haben ihm den Weg geöffnet. Mohammad lässt sich nach drei Jahren taufen. Er schickt seiner Familie ein Video, weil sie es ihm sonst nicht glauben. Die Reaktionen sind heftig! Nur noch mit der Mutter hat er Kontakt. Ihr Mutterherz überwindet die grenzenlose Ablehnung der Familie wenigstens teilweise. Doch Mohammad geht seinen Weg. Er sieht den riesigen Unterschied zur Unfreiheit in der Heimat, wo der Staat und die Familie alles diktieren. «Hier kann ich frei entscheiden! Hier darf ich herausfinden, was echter Glaube ist. Ich kann vergleichen, fragen und darf mit unterschiedlich denkenden Menschen reden.»

Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin «meinNächster» von Meos.

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Datum: 03.01.2022
Autor: Hans Ueli Beereuter
Quelle: meinNächster

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