Carmela Inauen

Auf der Suche nach den Eltern und nach Versöhnung

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Carmela Inauen in ihrem Kunstatelier (Bild: Livenet)
Carmela Inauen (59) aus Appenzell wächst in einer Pflegefamilie auf und wird später adoptiert. Als sie ihre leiblichen Eltern sucht, erlebt sie Überraschungen. Carmela lebt heute vom Verkauf ihrer Bilder und das ohne künstlerische Ausbildung.

Ihre künstlerische Ader spürte Carmela Inauen früh: «Im Geschäft meiner Eltern suchte ich immer Papier und Stifte», erinnert sie sich. Carmela ist fünf Jahre alt, als die Eltern ihr eröffnen, dass sie kein leibliches Kind sei. «Das hat mich erschüttert», gesteht Carmela. Als 15-Jährige beginnt sie, ihre leibliche Mutter zu suchen. Viele Fragen wurden beantwortet. Dennoch: «Ich wurde ein rebellischer Teenager», bekennt Carmela. Sie sucht nach Identität, nach dem Sinn ihres Lebens.

Gern hätte sie sich als Künstlerin ausgebildet, doch daraus sollte vorerst nichts werden. Mit 18 Jahren heiratet sie ihren Freund Hans und gründet eine Familie. Sechs Jahre arbeitet sie als Vollzeit-Mutter von drei eigenen Kindern und einem Pflegekind. Dann macht sich die Familie im Rheintal mit einer Schreinerei selbstständig. Carmela hilft mit in der Administration und beherbergt Lernende des Betriebs. «Daneben habe ich immer gemalt», erklärt sie und lächelt. Die talentierte junge Frau besucht Kurse und verkaufte ihre Bauernmalerei gut.

Klare Ansage

In dieser Zeit erzählt ihr eine Bekannte immer wieder von ihrem Glauben an Jesus Christus. Schliesslich besucht Carmela einen Gottesdienst in deren Freikirche. «Ich wollte Gott erleben oder mich nicht mehr um dieses Thema kümmern», erklärt sie. Schon beim ersten Besuch ist sie von der besonderen Atmosphäre, von der Musik und den Liedern berührt. Sie möchte wieder hingehen, doch Hans zeigt sich nicht begeistert davon.

Um die Ehe nicht zu gefährden, betet Carmela um eine gute Lösung. Bald kommen auch ihr Mann und die Kinder mit in den Gottesdienst. Die ganze Familie findet zu einer persönlichen Beziehung mit Jesus und lebt diese seit 1987. «Das ist ein grosses Geschenk!», freut sich die heute 59-Jährige und bemerkt: «Alles ist von Gott geschenkt, unsere Gesundheit, unsere Talente, unsere Ressourcen.»

Von der Schreinerei zur Galerie

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Carmela Inauen
Mit 40 hat sich Carmela als Künstlerin so weit entwickelt, dass ihre Werke in Galerien im In- und Ausland ausgestellt werden. Gemeinsam mit Hans entschliesst sie sich, die Schreinerei zu verkaufen und in Appenzell eine eigene Galerie zu eröffnen. Beide möchten damit auch wieder in die Nähe ihrer Familien ziehen. Seit 2000 führt Hans nun das Geschäft, Carmela malt in einer ehemaligen Mühle in Gais weiter Motive des bäuerlichen Alltags.

Sie findet ihren Stil, modernisiert ihn und benutzt als Malgrund auch alte Jutesäcke. «Sie haben für mich eine tiefe Bedeutung. Aus dem Korn, das darin gelagert wurde, entsteht das tägliche Brot», erklärt Carmela. Mit der Idee, die alten Jutesäcke aus der Mühle zu bemalen, sei sie eines Morgens aufgewacht. «Ich hatte Gott um Inspiration für etwas Neues gebeten.» Carmela experimentiert mit den Säcken und findet begeisterte Käufer.

Vater, wo bist du?

Die Frage nach ihrem leiblichen Vater lässt sie nicht los. Carmela erfährt nur Negatives über ihn. Er habe sie und ihre Mutter damals verlassen. Sie möchte ihn kennenlernen, fürchtet aber gleichzeitig, erneut abgelehnt zu werden. Eine Seelsorgerin begleitet sie im Prozess der Aufarbeitung. In der Bibel, in Predigten und Büchern sucht Carmela nach Vaterbildern, nach den väterlichen Eigenschaften Gottes. Dabei fällt ihr die Bedeutung von Vergebung auf. Jesus hat seinen Feinden vergeben, stellt sie fest. Auch sie wolle ihrer Familie vergeben. Carmela erinnert sich: «Eine tiefe Liebe breitete sich in meinem Herzen aus.» Sie spricht bewusst Segensworte über ihrer Familie aus – und langsam heilen die Beziehungen.

Suchen …

Carmela ist über 50, als sie nach jahrelanger Suche herausfindet, dass ihr Vater heute in Italien lebt. Die Gesetze sind inzwischen gelockert worden, sodass sie Einblick in die Adoptionsunterlagen nehmen darf. In Begleitung ihres Mannes und eines Schweizer Pfarrers mit dessen Frau wagt sie schliesslich die Reise und Begegnung. Sie trägt keinen Zorn mehr in sich, sondern möchte ihrem Vater etwas von der selbst erfahrenen Liebe Gottes weitergeben. Carmela erzählt: «Als ich vor dem Tor seines Hauses stand, war ich wie in Watte gehüllt. Mein Vater kam auf mich zu. Ich speicherte jede seiner Bewegungen. Er öffnete das Tor und bat uns ins Haus, wo wir auch seiner Frau begegneten.»

… und Finden

Die ersten Sätze, die ihr Vater an sie richtet, bleiben unvergessen: «Carmela, du bist die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Du hast alles richtig gemacht. Schade, dass du nicht schon früher gekommen bist. Ich spüre dein Herz und weiss, wie du es meinst.» Nach zwei Stunden ist Carmela so erschöpft, dass sie ins Hotel zurückkehrt – nicht ohne Einladung zum Essen am nächsten Tag.

«Mein Vater und seine Frau haben uns verwöhnt, es war eine wunderschöne Begegnung», sagt Carmela und strahlt. Sie erfährt, dass sie Halbgeschwister hat, pflegt bis heute Kontakt mit ihnen. «Mit Gottes Hilfe konnte ich mich mit meiner ganzen Familie versöhnen», sagt Carmela. Sowohl mit der leiblichen wie mit der Adoptivmutter hat sie heute eine sehr gute Beziehung. Ihr Adoptivvater lebt nicht mehr.

Heilsame Worte

Wieder zuhause wird Carmela bewusst, dass ihr Vater unbewusst Worte ausgesprochen hat, die für jeden Menschen gelten. Sie ist überzeugt: «Gott sagt zu dir: 'Du bist schön! Gut, dass du mich gesucht hast. Schade, dass es nicht schon früher geschah. Ich sehe dein Herz und weiss, wie du es meinst'.»

Carmela ist von Dankbarkeit erfüllt und mit ihrer Geschichte versöhnt. «Gott drängt seine Liebe niemandem auf, man muss sie annehmen wollen», schlussfolgert die achtfache Grossmutter. «Jesus liebt uns so, wie wir sind. Auch ich möchte andere Menschen so lieben, wie sie sind.»

Dieser Artikel erschien zuerst in der Jesus.ch-Print Nr. 54 Appenzellerland.

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Datum: 07.12.2021
Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: Jesus.ch-Print

Kommentare

Sehr ermutigend. So gut wenn ein Mensch sagt, was der himmlische Vater sagt: "Gut, dass du mich gesucht hast. Schade, dass es nicht schon früher geschah."

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