Ihr Vater soff sich zu Tode
Jeanettes Weg aus der Alkoholsucht
Früher soff sie, heute hilft Jeanette* ihren Mitmenschen. Auf dem langen Weg zur Freiheit musste sie von bösen Mächten losgesprochen werden. Und ihrem verstorbenen Vater vergeben. Ihr Seelsorger begleitete sie. Sein Motto: «Du bist hingefallen – jetzt stehst du wieder auf!»
Seit ich denken kann, habe ich bei meinem Vater Gewalt erlebt. Der Alkohol war sein täglicher Begleiter. Von Jahr zu Jahr wurde es schlimmer. Er verprügelte meine Mutter, er schlug uns. Ich war erfüllt von Hass gegen ihn und hasste meine Mutter dafür, dass sie es zuliess. Als ich 13 war, soff er sich zu Tode. An dem Tag ging ich auf mein Zimmer und öffnete eine Flasche Bier. Ich sass da mit dem Bier im Kopf und dem Gefühl: Jetzt bist du frei! So begann ich zu trinken.«Ich hasste mich»
Alkohol am Wochenende wurde bald zur Gewohnheit. Mit 15 lernte ich Michael kennen und heiratete ihn mit 17. Ein Jahr später wurde unser erstes Kind Danny geboren. Mein Alkoholkonsum stieg. Mit 26 Jahren wurde ich nach dem ersten Suizidversuch in die psychiatrische Klinik eingewiesen. Ich wollte nicht mehr trinken, holte mir Hilfe, wollte nicht mehr leben, weil ich den Ausstieg nicht schaffte. Ich war eine Quartalstrinkerin: Im Abstand von drei Monaten liess ich mich tagelang volllaufen.
Ich hasste mich dafür, dass ich die Familie so belastete. Dass ich zu nichts zu gebrauchen war, weil ich regelmässig abstürzte und sich der Verfall meines Vaters bei mir wiederholte – dieses Gefühl erdrückte mich fast. Denn als Kind hatte ich mir geschworen, niemals Alkohol zu trinken. Langzeittherapien halfen nicht. Michael, der selbst trank, konnte mir nicht helfen. Nach zwölf Jahren – Selina war sechsjährig – liessen wir uns scheiden. Auf Entzug betrachtete ich mein Leben. In der Klinik lernte ich Otmar kennen und verliebte mich in ihn. Wir zogen zusammen und heirateten darauf. Später wurde unsere Tochter Mandy geboren.
Freundlich aufgenommen
Von klein auf habe ich an Gott geglaubt. 2007 bin ich zum Glauben an Jesus Christus gekommen. In einer Kosmetikausbildung lernte ich Linda kennen. Was sie mir von ihrem Glauben erzählte, wies ich zuerst von mir. Sie lud uns in eine Freikirche ein. An dem Abend passierte Erstaunliches: Da war etwas, was ich brauchte. Es zog uns in die Gemeinde, obwohl mir die Leute zu fromm, zu heilig vorkamen. Beni, der Pastor, nahm sich unser an, als ich ihm vom Alkohol erzählte. Ich soff weiter, alle drei Monate. Gleichzeitig war ich entschlossen, es zu schaffen – irgendwann. Kurioserweise gingen wir mit in eine Gemeindefreizeit. Und da sagte Beni: «Jetzt taufen wir euch!» Neues Leben – ja, das wollte ich. Otmar und Selina liessen sich mit mir im Thunersee taufen. Damit begann der erstaunliche Weg zur Genesung.
Als wir heimkamen, hörte ich morgens nicht mehr Radio. Ich hatte die Bibel auf dem Tisch und wollte diesen Jesus kennen lernen. Ich sagte zu ihm: «Jetzt tust du etwas in mir.» Ich stellte mich auf den Standpunkt, dass er mir raushilft. Es ging aber nicht lange, da kehrten Zweifel und Selbstanklage zurück. Ich trennte Gott, Vater und Jesus. Gott ja, Jesus ja, aber der Vater – der war wie weg. Denn ich fand, mein Vater sei an mir so schuldig geworden, dass er noch etwas gutzumachen habe. Ich hasste ihn. Der Druck war da, die Flasche wieder zu öffnen, so dass ich zu Gott schrie: «Wo bist du denn jetzt?» Das alte Muster – alle paar Monate eine Woche saufen – kam zurück. Die Abstände wurden nach der Taufe sogar kürzer. Das war schlimm.
Vergebung löst Hass auf
Zwei Jahre nach der Taufe predigte Jo Scharwächter in unserer Gemeinde. Nach dem Gottesdienst kam er auf mich zu und bot mir an, mir zu helfen. Bei einem ersten Besuch betete er mit mir, bis ich mich beruhigt hatte. Monate später kam er mit einer Seelsorgerin wieder, weil meine Tochter ihn angerufen hatte, und betete stundenlang für mich, bis mich die bösen Mächte, die mich aggressiv machten, verliessen. Er brachte uns mit anderen zusammen. In der Gruppe lernten wir uns auszusprechen.Jo machte mir klar, dass ich meinem Vater zu vergeben habe. Er sagte, ich hätte nicht ein verändertes, sondern ein neues Leben. Das schlug ein. Nach Gesprächen merkte ich, dass ich mit Jesus vergeben kann – und dies mit meinen Gefühlen. So begann sich das Vater-Jesus-Bild zu einem zu formen; ich kriegte Gott und Vater und Jesus zusammen. Jesus hat mich fähig gemacht, meinem 33 Jahre zuvor verstorbenen Vater zu vergeben.
Selbstvertrauen gewonnen
In der Folge habe ich noch manchmal getrunken – aber nur noch einen Tag. Und jedes Mal teilte ich es Jo mit. Ich rechnete mit Prügeln und stellte mir vor, Jesus müsse eine wie mich in die Tonne hauen. Doch Jo sagte: «Du bist hingefallen – jetzt stehst du wieder auf!» So machte ich es, und wenn es wieder vorkam, sagte er mir dasselbe. So ist die Angst geschwunden und ich habe Selbstvertrauen gewonnen. Wenn ich heute merke, dass ich emotional in ein altes Muster zurückfalle, bin ich auf der Hut und blicke zu Jesus auf. Jeden Tag ist mir der Kampf bewusst. Doch heute kann ich entscheiden, ob ich ein Glas trinke. Ich habe es in der Hand. Das macht mich froh. Und ich lasse das Trinken.
*Zum Schutz der Person wird nur der Vorname genannt
Dies ist die gekürzte Fassung des Lebensberichtes von Jeanette aus «wort + wärch». Die ausführliche Version finden Sie auf der Internetseite des Evangelischen Gemeinschaftswerks.
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Autor: Peter Schmid
Quelle: wort + wärch
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