Egoshooter oder Teamplayer?
Im Bann der Traumfabriken
Seit Kindesbeinen fasziniert mich die Welt der Technik. Ich hockte einen Grossteil meiner Jugend vor der Flimmerkiste, daddelte mit Spielkonsolen aller Art und orientierte mich an den Superhelden aus dem Kino. Doch die Flucht ins künstliche Wunderland kostete beinahe mein Leben.
Alles begann mit Pong. 1972 veröffentlichte die Firma Atari den gleichnamigen Automaten in amerikanischen Spielhallen. Die simple Variante von Tischtennis gab zwei Personen die Möglichkeit, einen viereckigen Ball am Bildschirm hin und her zu schleudern. Heute gilt das Machwerk als Urvater der Videospiele.Zwei Jahre später erblickte ich das Licht der Welt. Ich wurde in eine Zeit hineingeboren, in der sich die interaktive Unterhaltungsindustrie im Aufbau befand. Die Schulzeit war für mich eine grosse Herausforderung. Ich stotterte, hatte X-Beine und eine Art Pferdegebiss. Aufgrund meiner «Defizite» wurde ich ausgelacht, verspottet und nicht ernst genommen. Obwohl sich meine Eltern für mich einsetzten und wertvolle Dinge wie eine Zahnspange finanzierten, plagten mich Ängste und Schamgefühle. Manchmal konnte ich nicht einmal mein Spiegelbild ertragen, weil ich mir so minderwertig vorkam. Fotos aus dem Familienalbum, auf denen ich zu sehen war, belasteten mich.
Aufgrund meiner sprachlichen Behinderung schickte mich meine Mutter in eine Therapie. Ohne Erfolg. In der Oberstufe schloss ich mich an speziellen Tagen im WC ein und wartete, bis der Unterricht begann, während die Klassenkameraden auf dem Pausenplatz herumtobten. Zudem fürchtete ich mich, wenn ich ein Gedicht aufsagen oder einen Vortrag halten musste. In meiner Freizeit floh ich in bunte Cyber-Welten und vergnügte mich mit Super Mario, Donkey Kong sowie anderen virtuellen Figuren. Abgekapselt von der Umwelt, versunken in elektronischen Märchen, durchlebte ich meine Jugend.
Illusionen aus Bits und Bytes
Rückblickend gesehen bin ich schockiert, wie viel kostbare Lebenszeit ich für digitale Spielereien verschwendete. Ich habe nächtelang durchgezockt, Tage und Monate mit Rollen-, Krieg-, Hüpf-, Strategie- oder Rennspielen verbracht. Je nach Spiel benötigte ich sechs bis fünfzehn Stunden, um die Prinzessin zu retten, einen Diktator zu töten oder ein Land zu erobern. Ich flog mit Kampfjets über Häuserschluchten, zerstückelte Feuer speiende Drachen und nahm hinter dem Lenkrad eines hochgezüchteten Boliden an der Formel 1 teil. Als Belohnung winkten Pokale, Schwerter, Goldstücke, Felgen, Kleider oder Ruhm.
Theoretisch jedenfalls. Denn alle Dinge, die man im virtuellen Raum erreicht oder gewinnt, sind nicht real. Es gab eine Zeit, da spielte ich via Internet in einem Multiplayer-Clan und killte in «sportlichen» Wettkämpfen Heerscharen von Soldaten. Der Lohn der Mühe: Regelmässig aktualisierte Statistiken auf irgendwelchen Servern im World Wide Web.
Fragwürdige Vorbilder
Schrecklich waren Tage, an denen meine Etappenziele über den Haufen geworfen wurden, also wenn ich nicht so viel trainieren oder essen konnte, wie geplant. Um die Aufbaudiät zu beschleunigen, griff ich zu teuren Präparaten, die mit Eiweiss, Kohlenhydraten und Vitaminen angereichert waren. Gefangen im Muskelwahn investierte ich viel Geld für Pulver, Ampullen und Tabletten. Nebenwirkungen wie Hautausschläge oder Verdauungsprobleme nahm ich in Kauf.
Anabolika oder andere Wachstumshormone rührte ich nicht an. Stattdessen ging ich kühnen Werbeslogans auf den Leim und konsumierte jahrelang (überflüssige) Nahrungsergänzungsmittel. Schliesslich wollte ich schön sein und etwas gelten in der Gesellschaft, genauso wie meine Vorbilder aus dem Kino.
Früchte des Körperkults
Weil ich es versäumte, an meinem Inneren zu arbeiten und nur die äusserliche Fassade pflegte, litten viele Bereiche meines Lebens. So zwangen mich akute Menschenfurcht und die Versuchungen der Welt oft in die Knie. Eine Katastrophe war unter anderem der Umgang mit Frauen. Ich konsumierte exzessiv Pornografie und reduzierte das weibliche Pendant auf die primären Geschlechtsteile. Obwohl ich bis zum Alter von 24 Jahren keine Intimitäten austauschte, stolperte ich über meine Begierden.
Weil ich mich nach weltlichen Massstäben ausrichtete, wollte ich unbedingt eine sexuelle Beziehung und suchte krampfhaft nach Gelegenheiten. Motiviert von meinen damaligen Kollegen stürzte ich mich in eine Handvoll Abenteuer, die meine Gefühle und Empfindungen nachhaltig beschädigten. Weil ich mein Herz an eine dieser Frauen verschenkte, verschwand mein Lebensmut, als das Ganze in die Brüche ging. Destruktive Gedanken wie Selbstmord kreisten in meinem Kopf. Dennoch hat Gott mich nicht aufgegeben.
Autor: Guido Haus
Quelle: Livenet
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