Kinder mit Traumata
Ein Leben lang gezeichnet?
Die Abendnachrichten am Fernseher und die Zeitungen sind auch nach drei Monaten noch voll mit Nachrichten aus der Ukraine. Was da passiert, ist schlimm und hat Auswirkungen, die noch lange nachwirken werden.
Durch den Krieg in der Ukraine ist uns wohl allen wieder bewusst geworden, was ein Krieg Menschen antun kann. Die Ukrainer sind in der Schweiz angekommen, sie sind unsere Nachbarn geworden und vielleicht machen wir uns Gedanken darüber, was sie wohl erlebt haben, bevor sie in der sicheren Schweiz ankamen. Aber nicht nur die Ukrainer, auch alle anderen Flüchtlinge, welche in früheren Jahren kamen, haben Schreckliches erlebt. Auch aus Syrien kamen Familien mit Kindern nach Europa. Viele dieser Menschen sind traumatisiert, und sie, aber vor allem auch ihre Kinder, brauchen Hilfe.
Wie wirkt sich ein Trauma aus?
Eine Ukrainerin erzählte, dass am Anfang des Krieges in ihrer Stadt Sirenen gefehlt hätten und darum bei jedem Raketenangriff die Glocken der Kirche geläutet wurden. Als sie in die Schweiz flüchtete lebte sie in der Nähe einer Kirche. Bei jedem Glockenläuten zuckte sie zusammen und wollte wegrennen. Sie musste sich dann ganz bewusst in Erinnerung rufen, dass sie nun an einem sicheren Ort sei. Solche Erinnerungen durch Geräusche, Gerüche oder spezielle Erlebnisse können noch viele Jahre nach einem traumatischen Erlebnis eine Person beeinflussen und zu oft ungewollten Handlungen führen. Die Forschung zeigt, dass Traumatisierung nicht nur in einer Kriegs- oder Katastrophen-Situation geschehen kann, auch Menschen die Missbrauch erlebt haben, können genau gleich reagieren.
Unser Hirn ist dafür gemacht, in Schreck- oder Stresssituationen sehr schnell zu handeln und löst dann eine von zwei Reaktionen aus: Flucht oder Kampf. Dazu gehört auch, dass unser Herz zu rasen beginnt, wir schnell atmen etc. Ist der Stress vorbei, beruhigen wir uns und funktionieren wieder normal. Ein Beispiel: Wenn wir merken, dass ein Auto auf der Strasse auf uns zurast, werden wir uns nicht zuerst überlegen, was nun zu tun wäre. Unser Hirn schreit nur noch: Renn! Wenn wir dann schwer atmend und mit Herzklopfen auf der anderen Seite ankommen, können wir wieder normal denken und uns überlegen, was da schief gelaufen ist.
Bei einem Trauma werden diese Reaktionen aber auch in ganz normalen Situationen ausgelöst, wie etwa derjenigen mit dem Glockengeläut, weil unser Hirn nicht mehr fähig ist, zwischen gefährlich und ungefährlich zu unterscheiden. Wir fühlen uns nirgends mehr sicher! Viele traumatisierte Menschen sind oft übertrieben wachsam und unkonzentriert. Eine weitere Reaktion ist Freeze (erstarren) und kann aus einer Situation der völligen Hilflosigkeit kommen. Kinder, die so erstarrt sind, hören dann manchmal auf zu sprechen oder entwickeln sich zurück.
Die neueste Forschung zeigt, dass Traumata auch vererbt werden können und dann nicht nur diejenigen, die das Trauma selbst erlebt haben, sondern auch noch ihre Kinder darunter leiden.
Hilfe für Kinder
Weil wir wissen, dass unser Körper die Erinnerung an eine traumatische Erfahrung behält und wir sie auch vererben können, müssen wir etwas dagegen tun. Kinder sollen nicht über Jahre ihre traumatischen Erlebnisse mit sich herumtragen und von ihnen beeinflusst werden. Wann immer möglich sollten sie sich gesund entwickeln können.
Gerade kleineren Kindern fehlen oft noch die Worte, um zu beschreiben, was ihnen geschehen ist. Sie erzählen ihre Geschichte beim Spielen oder zeichnen ihre Erlebnisse. Ich erinnere mich an die Zeichnung eines Jungen, der offensichtlich in seiner Familie sexuell missbraucht wurde, der aber nicht darüber sprechen konnte oder wollte und durch die Zeichnung mitteilte, was ihn beschäftigte. Was dieser Junge brauchte, war ein sicherer Ort, wo er nicht mehr missbraucht wurde.
Auch Flüchtlingskinder brauchen diesen sicheren Ort, wo sie entspannen können und wo ihr Hirn zur Ruhe kommt und sie sich sicher fühlen. Erwachsene können diesen sicheren Ort in ihren eigenen Gedanken finden, in Erinnerungen an ein schönes Erlebnis, zum Beispiel ein Waldspaziergang an einem sonnigen Tag oder eine Wanderung in den Bergen. Auch Kinder können sich solche sicheren Orte schaffen und wir können ihnen dabei helfen. Wir können fragen, wie so ein sicherer Ort aussehen könnte, wer dort sein müsste, welcher Mensch oder Tier, welche Farben der Ort haben müsste etc. Wir können den Kindern auch etwas mitgeben, das sie immer und überall an den sicheren Ort erinnert. Damit lernen die Kinder wieder, dass sie selber etwas bewirken können, aber auch, dass sie hilfreiche Menschen haben, an welche sie sich wenden können.
Crisis Care Training International hat ein Heft für Kinder produziert, dass in verschiedensten Sprachen von der Webseite heruntergeladen werden kann, unter anderem auch in deutsch, ukrainisch und arabisch. Das Heft heisst: There is Hope for me (Es gibt Hoffnung für mich) und Kinder können mit diesem Heft darüber sprechen, schreiben und zeichnen, wer sie sind, was ihnen lieb ist und auch, was sie verloren haben, und wie sie sich nun fühlen. Zum Heft gibt es auch ein Anleitungsheft für Leiter, wie sie Kindern helfen können. Das Heft wurde schon mit Kindern in den verschiedensten Katastrophen und Konflikten angewendet und kam überall gut an.
Zum Heft:
There is Hope for me (zum Download in diversen Sprachen)
Es gibt Hoffnung für mich (Arbeitsbuch für Kinder)
Es gibt Hoffnung (Handbuch zur Gesprächsbegleitung)
Sehen Sie hier ein Video mit praktischen Tipps von Pfarrer Peter Schulthess zum Thema Seelsorge für ukrainische Flüchtlinge:
Zum Thema:
Fortbildung des bcb: Was wir Trauma nennen...
«Wo bist du, Gott?»: Wenn die Weltlage bedrückt
Brief aus Kiew: «Stell dir vor: Alle gehen»
Autor: Barbara Rüegger
Quelle: Livenet
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