Ihre Familie musste selbst fliehen
Schweizer Muslima dreht Film über Christenverfolgung im Irak
Der Kurzfilm «Noun» zeigt das Schicksal von Christen, die im Irak von der Terrormiliz Islamischer Staat verfolgt werden. Die Regisseurin Aida Schläpfer Al Hassani ist eine schiitische Muslima. Mit ihrem Film will sie einen weiteren Völkermord an den Menschen verhindern.
Familien auf der Flucht, Kinder ohne Eltern, nervlich belastete Menschen in Flüchtlingslagern: Die muslimische Regisseurin Aida Schläpfer Al Hassani zeigt in ihrem Kurzfilm «Noun», welche Folgen der Terror des Islamischen Staats (IS) für Christen im Irak hat.
Die Kunstschaffende erklärte gegenüber dem pro Medienmagazin: «Das ganze Grauen hat System. Ich will mit meinem Film einen weiteren drohenden Völkermord an diesen Menschen verhindern.» Gegenüber Radio Vatikan sagte sie: «Die [Christen] werden immer vertrieben, in einem Ort versammelt, es gibt Massaker. Die Christen haben null Sicherheit, keine Waffen, um sich zu schützen.» Die 1970 in Bagdad geborene Regisseurin musste mit ihrer Familie selbst vor dem Saddam-Regime aus dem Irak in den Libanon fliehen. Seit circa 20 Jahren lebt sie in der Schweiz.
Der Regisseurin legt in ihrem 24-minütigen Kurzfilm, von dem es auch eine Langversion gibt, nicht den Fokus darauf, Kunst zu machen. «Mir geht es darum, das Leiden der Menschen zu zeigen.» Eine religiöse Agenda verfolge sie nicht. «Ich hätte genauso gut auch einen Film machen können über Juden im Irak, wenn die Situation vergleichbar wäre», zitiert die Religions- und Gesellschaftsplattform «reformiert.info» Schläpfer.
2003 gab es eine Million Christen in Bagdad, heute noch 40.000
Im Frühjahr 2014 fragte die Menschenrechtsorganisation «Minority Rights Group International» die Regisseurin an, ob sie einen Film über eine der Minderheiten im Irak drehen wolle. Welche, dufte sie selbst entscheiden. Gegenüber pro sagte sie: «Meine Wahl fiel auf die Christen, weil ich gesehen habe, dass sie in diesen Konflikten immer wieder vor grossen Problemen stehen. Das hat mich dazu bewogen, noch tiefer zu recherchieren.»
Dass Christen im Irak systematisch vertrieben, gefoltert, versklavt und ermordet würden, sei ein Fakt. «Denn seit der Staatgründung 1921 waren die Lebensbedingungen für die Christen bereits enorm schwierig. Durch den Einmarsch der USA in den Irak im Jahre 2003 wurde der Druck auf die Christen nochmals massiv erhöht. Die Lebensbedingungen wurden immer unerträglicher.» Durch das Fehlen eines funktionierenden Staates sei es zunehmend zu gezielten Entführungen, Lösegeldforderungen und Bombenanschlägen auf volle Kirchen gekommen. «Die Folge davon war eine massive Fluchtbewegung. In Bagdad lebten im Jahre 2003 mehr als eine Million Christen, heute sind es gerade noch 40'000», erklärte die Regisseurin.
In «Noun» lässt Schläpfer Menschen zu Wort kommen, die tragische Schicksale erlebt haben, unter anderem eine Mutter namens Aida, der ihre dreijährige Tochter entrissen wurde, Yasi, deren Ehemann getötet wurde, oder Pater Joseph, dessen Kollege geköpft wurde.
Im Film wird Arabisch gesprochen, die Untertitel sind Englisch. Der Titel «Noun» ist das arabische Wort für N, was für Nazarener steht. Mit diesem Buchstaben kennzeichnet die Terrororganisation Islamischer Staat die Häuser von Christen.
Ob der Nachbar Sunnit, Schiit oder Christ ist, war egal
In ihrer Kindheit besuchte Schläpfer im Irak eine katholische Schule und den katholischen Religionsunterricht. Ob der Nachbar Sunnit, Schiit, Kurde oder Christ war, darüber hätten sich die Iraker früher keine Gedanken gemacht. Das habe sich durch den Einmarsch der Amerikaner in den Irak, den Bürgerkrieg und die IS-Gewalt geändert und in Misstrauen verwandelt. Das habe die Regisseurin während ihrer Dreharbeiten gespürt. Sie hat sich als muslimische Schiitin vorgestellt, sagte sie gegenüber Radio Vatikan. Christen wüssten, dass auch die Schiiten unter dem Terror des IS zu leiden haben. «Wir sind Leidensgenossen. Und deshalb haben sie mich akzeptiert»
Viele Christen wollen den Irak dringend verlassen. Ein Besuch des Papstes würde den Mensch Mut machen und Hoffnung geben, meint Schläpfer. «Sie würden sehen, dass die Welt sie nicht vergessen hat. [...] Das wäre eine grosse, auch seelische Unterstützung.»
Arabische Festivals zeigen grosses Interesse am Film
Auf ihren Film bekommt Schläpfer «sehr gute und positive Reaktionen». Sie sagte gegenüber pro: «Erstaunlicherweise stösst der Film bei arabischen Festivals auf grosses Interesse. Er wird aufgenommen und gezeigt, obwohl dort die Bevölkerung mehrheitlich muslimisch ist.» Demnächst werde «Noun» in Muskat im Oman, im ägyptischen Alexandria und in Algier, der Hauptstadt Algeriens, gezeigt.
Das Internationale Filmfestival von Locarno im Kanton Tessin gab dem Film «Noun» vorerst eine Absage, weil er ästhetischen und formalen Kriterien nicht genüge. Die katholische Kirchenzeitung Giornale del Popolo kritisierte in einer mehrteiligen Berichterstattung diese Entscheidung. Schliesslich wurde der Film im Rahmen eines Alternativprogramms doch im August in Locarno gezeigt.
Die Berlinale lehnte den Film ab. Das Arabische Filmfestival in Tübingen habe Interesse am Film bekundet, Anfragen bei den «Filmtagen Meschenrechte Luzern» und bei den Winterthurer Kurzfilmtagen laufen aktuell. Ende des Jahres soll ihn RSI, das Fernsehen der italienischsprachigen Schweiz, ausstrahlen.
Trailer von «Noun»:
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Quelle: PRO Medienmagazin
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