Brauche ich ein Feindbild?
Der hartnäckigste Feind steckt in mir
Auch christliche Kreise sind nicht frei von Feindbildern und Verschwörungstheorien. Wer aber Feindbilder pflegt, sagt damit viel über sich selbst aus, stellt der Therapeut und Coach Ernst Gassmann fest.
Feindbilder und Verschwörungstheorien können eine Art der Lebensbewältigung sein. Denn: «Wenn ich Feindbilder klar bezeichnen kann, brauche ich mich nicht mit mir selbst zu beschäftigen», sagt der erfahrene Seelsorger, Coach und Berater Ernst Gassmann. «Ich muss dann den 'Feind' nicht mehr in mir selbst suchen, denn er ist ausserhalb von mir.» Jesus zeige uns aber: Der eigentliche Feind sitzt in mir: «In euren Herzen sitzen die bösen Gedanken...». Gassmann weiss aus Erfahrung: «Es gibt fromme Leute, die vehement gegen die Unmoral ankämpfen – und zuhause Porno konsumieren.» Sie schützen sich mit Feindbildern selbst: Der Kampf gegen den äusseren Feind erspare ihnen, sich mit dem «inneren Schweinehund» auseinanderzusetzen. Deshalb mahnten uns Jesus und die Apostel ständig, uns mit dem inneren Feind zu beschäftigen. Wer das tue, könne auch mit einem äusseren Feind anders umgehen.
Zentral sei, mit sich selbst ehrlich zu sein. David sei dabei ein Vorbild, wenn er in Psalm 139 betet: «Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich und erfahre, wie ich’s meine.» Der Psalmist wusste, dass er sich selbst zum Feind werden konnte und bat Gott um Einsicht, damit er nicht auf falsche Wege gerät. Gassmann: «Wer starke Feindbilder hat, bei dem klaffen Fremdbild und Selbstbild stark auseinander. Wenn er auf eine Schwachstelle hingewiesen wird, reagiert er massiv und fühlt sich völlig falsch eingeschätzt.» Die Bitte, dass Gott mir meine Feinde in meinem Inneren zeigt, sei der Anfang eines differenzierten Umgangs mit mir selbst. Die Bibel fordere uns auf, nicht zu hoch und nicht zu niedrig von uns zu denken. Diese Auseinandersetzung findet bei Menschen, die Feindbilder pflegen, kaum statt. Denn der Weg nach innen sei schwerer als die Auseinandersetzung mit dem äussern Feind.
Wenn Gassmann therapeutisch mit Menschen arbeitet, die stark an Feindbilder gebunden sind, versucht er erst einmal herauszufinden, wie das Feindbild entstanden ist, woran es sich nährt und welchen Nutzen es hat. «Solange das jemand nicht selbst versteht, kann er nicht davon Abstand nehmen.» Wichtig ist Gassmann dabei die biblische Aussage: «Ich bin dein Schild». Und er erklärt: «Gott selbst ist der Schild, er stellt sich vor mich. So lange mir das nicht bewusst ist, kann ich meinen Feind und meine Feindbilder nicht loslassen.» Das Feindbild sei mit Gefahr verbunden. Nur wer einen besseren Schutz finde, könne es loslassen.
Leute, die stark von Feindbildern geprägt sind, müssen laut Gassmann viele kleine Schritte tun, um davon loszukommen. Sie müssten immer wieder die Erfahrung machen, dass sich die Feinde anders verhalten, als sie sich das vorgestellt haben. «Sie müssen Schritt für Schritt Vertrauen aufbauen und lernen, die negativen Erfahrungen durch Vergeben zu bewältigen. Betroffene müssen neue Wege in ihrem Umgang mit den Mitmenschen finden. Und erkennen, wie oft sie selbst dem Andern zum Feind werden können.»
Webseite:
Das vollständige Interview im Magzin INSIST
Quelle: Livenet
Livenet Aktuell
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