Ein anderes Pessach-Fest: Messianische Juden feiern Jeshua
Der kanadische Theologe David Boyd vom "Israel College of the Bible" in Jerusalem erläutert im Gespräch mit Livenet, wie sich der Glaube der messianischen Juden von dem ihrer Landsleute unterscheidet.
Livenet: Was meinen Juden, wenn sie Jesus als Messias ihres Volks bezeichnen?
David Boyd: Der messianische Gläubige hat ein natürliches, geschichtliches Band zum Messias, welches Christen im Westen nicht haben. Wenn Sie Juden von Jesus erzählen, dann geht es da um etwas, was in ihrer eigenen Kultur geschehen ist. Das Erste, was Juden auf dem Weg zum messianischen Glauben wieder entdecken, ist die Tatsache, dass Jesus - Jeshua im Hebräischen - ein Jude ist. Einer von ihnen, von ihrem Volk. Einer, der die Prophezeiungen erfüllt hat. Auf dieser Grundlage können sie sich persönlich mit ihm identifizieren.
Wie wird das für sie konkret, dass Jeshua ein Jude, einer von ihnen ist?
Den Juden fällt auf, dass Jesus die Überlieferungen der Vorfahren zitiert mit den Worten: "Ihr wisst, dass den Vätern gesagt ist…". Noch heute befassen sich die Juden mit diesen Traditionen. Wenn Jesus sagt, dass der Mensch nicht für den Sabbat, sondern der Sabbat für den Menschen gemacht wurde, sagt das Juden sehr viel. Religiöse Juden dürfen am Sabbat nicht einmal einen Liftknopf drücken, weil dies als Arbeit gewertet wird (sie dürfen zehn Treppen hochsteigen - das ist erlaubt). Wenn Juden zur Kenntnis nehmen, was Jesus sagt, fühlen sie sich in ihrer Kultur verstanden, wie es ein Mensch im Westen nicht tut. Sie empfinden darum oft ein starkes emotionales Band zu Jeshua, wenn sie die Evangelien lesen, und sind davon selbst überrascht.
Wie lesen messianische Juden die Berichte von den Wundern, die Jesus tat? Wie wirkt die Passion auf sie?
Die Wunder sehen Juden wohl nicht viel anders als Bibelleser im Westen. Aber sie nehmen deutlich wahr, dass er mit den Wundertaten seinen Anspruch, der Messias zu sein, unterstrich.
Das Andere: Jesus war ein Jude, der litt. Er fügt sich ein in die Geschichte des jüdischen Volks, die voller Leiden ist. In den jüdischen Festen kommt zudem heute noch der Opfergedanke zum Tragen.
Ist Jesus, der Sohn Gottes, ein Thema in den Gesprächen unter Juden?
Die meisten messianischen Juden bringen dieses Thema nicht auf, wenn sie ins Gespräch mit Landsleuten eintreten, die ihren Glauben nicht teilen. Denn man müsste zuvor sehr viel klären. Die israelische Gesellschaft gesteht ihren Gliedern zu, alles Mögliche über Jesus zu glauben und sich Juden zu nennen - ausser dies: dass Jesus göttlich ist. Wenn Sie sagen: Jesus ist der Messias, geht das bei vielen durch. Wenn Sie aber sagen: Er ist der Sohn Gottes, dann stossen Sie auf harten Widerspruch. Soviel zur israelischen Öffentlichkeit.
Unter messianischen Juden herrscht Einigkeit darüber, dass Jeshua Gottes Sohn ist - mit Ausnahme vielleicht einer einzigen Gemeinde, welche deswegen von den messianischen Leitern ausgeschlossen wurde. Die messianischen Juden formulieren ihren Glauben an Jeshua ähnlich wie die Christen weltweit, verwenden dazu allerdings nicht griechische theologische Begriffe, wie sie in den altkirchlichen Bekenntnissen vorkommen. Sie suchen für die Lehre des Messias biblische Begriffe aus ihrer eigenen Sprache. Die Dreifaltigkeit (Trinität) Gottes und die Göttlichkeit von Jesus gehören fest zu dem, was sie glauben.
Wie halten die messianischen Gemeinden den Sabbat?
Die meisten feiern Gottesdienst am Sabbat, der von Freitag- bis Samstagabend dauert. Ein Problem haben dabei alle, die auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen sind. Diese verkehren am Ruhetag nicht. Einige wenige Gemeinden haben Gottesdienste am Sonntag oder am Freitag Nachmittag.
Wie werden messianische Juden im Volk wahrgenommen?
Das orthodoxe Judentum kennt ein Gebet, das in den meisten Gottesdiensten rezitiert wird. Das Gebet der 18 Segenssprüche enthält einen Fluch über die Irrlehrer. In den Augen orthodoxer Juden haben jene, die an den Messias Jeshua glauben, den jüdischen Glauben verraten und die Religionsgemeinschaft verlassen. Interessanterweise fallen unter dieses Urteil jene nicht, die Buddhisten oder bekennende Atheisten geworden sind. Wer aber Jeshua als Gottes Sohn bekennt, ist zu weit gegangen.
Nun ist aber festzuhalten, dass alle Orthodoxen, Chassidim und Ultra-Orthodoxen kaum mehr als 15 Prozent der gesamten Bevölkerung darstellen. Der Rest ist viel offener. Diese Israelis sehen messianische Gläubige selbstverständlich als Juden an - Juden einer anderen Prägung. Vor zwei Jahren las ich in einem Zeitungsartikel, dass zehn Prozent der Israelis sagen, sie würden einen messianischen Gläubigen kennen. Wenn wir einbeziehen, dass nur einer von tausend Juden in Israel an den Messias glaubt, ist diese Bekanntheit sehr erstaunlich. So äussern sich wohl vor allem durchschnittliche Israelis, die nicht regelmässig zur Synagoge gehen, aber zum Beispiel die Essvorschriften (koscher = rein) einigermassen einzuhalten suchen.
Halten die messianischen Juden die Vorschriften für koscheres Essen ein?
Die meisten messianischen Gläubigen essen biblisch-koscher (damit meint man in Israel das Einhalten der grundlegenden Vorschriften des Alten Testaments). Dagegen werden die rabbinischen Koschervorschriften mit der getrennten Milch und Fleischküche von vielen nicht übernommen. Die einzige Versuchung sind Krebse und Crevetten… Das Meiste, was man im Supermarkt kauft, ist koscher; so ist es nicht schwer, die Grundvorschriften einzuhalten.
Die orthodoxen Juden sind eine Minderheit. Wie würden Sie den Rest der Israelis charakterisieren?
Gut die Hälfte aller israelischen Juden sehen sich als traditionelle Anhänger ihres Glaubens. Viele Leute gehen zweimal im Jahr in die Synagoge. Sie haben den Glauben an Gott nicht aufgegeben, aber in ihrem Alltag spielt er keine bedeutende Rolle. Atheisten, die den Glauben an Gott ablehnen, gibt es dagegen nur sehr wenige.
Im Westen wechseln viele Juden aus orthodoxen Gemeinden in sogenannte konservative oder in Reform-Synagogen, wo sie die Regeln selbst machen können und nicht mehr vom Diktat der orthodoxen Rabbiner abhängen. Die Konservativen suchen biblische Vorgaben anzupassen; die Reformjuden definieren jüdische Identität aufgrund von kulturellen Gegebenheiten neu. In Israel ist dies nicht so: Da stellen die konservativen und Reform-Juden zusammen eine winzige Minderheit dar - noch kleiner als die messianische Gemeinschaft.
Wenn nun messianische Juden ihren Glauben mitteilen möchten, können sie damit rechnen, dass die Hälfte ihrer Landsleute eine angebotene Broschüre über Jeshua annimmt?
Abgelehnt wird die Schrift vielleicht nicht. Aber Sie müssen Ihrem Gesprächspartner gute Gründe geben, warum er sie lesen sollte. Den messianischen Juden kommen an diesem Punkt manchmal die Ultra-Orthodoxen zu Hilfe: Ich habe selbst schon erlebt, dass der Empfänger gar nicht sonderlich interessiert war - bis ein Ultra-Orthodoxer auftauchte und ihm sagte, das Buch sei gefährlich, er dürfe es nicht lesen. Damit gewann es an Wert.
Was bewirkt in diesem Zusammenhang die Angst vor Terror-Anschlägen?
Die Gesellschaft wird in verschiedene Richtungen getrieben. Drogen werden vermehrt konsumiert. Die Bereitschaft zu Gewalttätigkeit im Alltag hat zugenommen. Es gibt mehr schwere Verkehrsunfälle, weil Menschen im Stress sich ereifern und wütend werden. Ich denke, dass junge Menschen in Israel sehr offen sind für Neues. An Grossveranstaltungen für Jugendliche können messianische Gläubige erstaunlich viele Kontakte knüpfen.
Messianische Juden und der Palästinenserkonflikt:
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/187/15859
Übersicht Christen in Israel:
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/180/15788/
Artikel über das Israel College of the Bible:
www.livenet.ch/www/index.php/D/article/187/13003/
Infos über die messianischen Juden in Israel bei:
www.amzi.org
Bilder: amzi, Reinach BL
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch
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