Christen trotzen ISIS mit Liebe
Syrien/Irak: Hände falten statt Finger am Abzug
Menschlich gesehen gibt es für die christliche Minderheit keine Hoffnung im neuen Kalifat. Dennoch gibt es Christen, die bleiben. Nicht um mit Waffen zu kämpfen. Sondern um «Salz und Licht» zu sein. Auch viele Muslime widert die Gewalt an – und sie finden im christlichen Glauben eine neue Heimat.«Jetzt stehen die Gläubigen auch in der Hochburg der assyrischen Christen unter enormem Druck», erklärt M. Schwab, Projektleiter Nahost beim Hilfswerk «HMK Hilfe für Mensch und Kirche» mit Sitz in Thun. Vielen bleibt nun auch in der Ninive-Ebene nur die Flucht. Es sei sehr schwierig geworden. ISIS-Kämpfer reissen Kreuze von Kirchen herunter und ziehen ihre schwarze Flagge hoch. Frauen dürfen in den von ihnen kontrollierten Gebieten nur noch schwarz verschleiert und in Begleitung von Männern auf die Strasse.
Aus Häusern von «Ungläubigen» – Christen aber auch schiitischen Muslimen – werden junge Frauen für den Dschihad eingefordert. «Sie werden als Kriegsbeute dargestellt und als Prostituierte missbraucht», sagt M. Schwab, der erst vor kurzem mehrere heikle Zonen in Nahost besuchte. ISIS (der Islamische Staat im Irak und Syrien, neu auch nur noch der Islamische Staat genannt) ist immer besser ausgerüstet. Seit der Militärflughafen nahe Mosul erobert wurde, verfügt die sunnitische Terror-Gruppe als erste ihrer Art über Kampfhubschrauber. «Schiiten und Christen in der ganzen Region haben grosse Bedenken, dass dieses Gerät bald eingesetzt wird. Nach neuesten Informationen wurde auch manch schweres Kriegsgerät von der ISIS nach Syrien verlagert.»
Verraten
Auch wenn hochrangige Politiker eines grossen, ölreichen Landes südlich des Iraks den Dschihad förderten, sei nun auch dort eine Furcht vor den gerufenen Geistern entstanden. M. Schwab: «Der Löwe gehört nicht ins Haus. Irgendwann kann er wild werden. Denn auch bei ISIS ist bekannt, dass die Herrscher gewisser Golfstaaten sich nicht an die islamische Lebensweise halten und zum Beispiel zum Alkohol greifen. Deshalb sieht er sie ebenfalls als mögliches Angriffsziel. Und so ist den eigenen Staatsbürgern die Teilnahme am subventionierten Dschihad verboten worden.»
Das Problem sei der schnelle Vormarsch des ISIS, vielen sei es kaum gelungen, rechtzeitig zu fliehen. Neben den Frauen werden auch die jungen Männer belästigt. «Die jungen nicht-sunnitischen Männer – und dazu gehören auch die Christen – werden einerseits von den Dschihadisten mit dem Leben bedroht und andererseits werden sie von der schiitischen Mehrheitsregierung im Irak für die Armee zwangsrekrutiert. Das forciert den Exodus; Christen und gemässigte Muslime fliehen.» Die Christenheit im Nahen Osten fühle sich von den westlichen, in ihren Augen christlichen Ländern, verraten, weil diese sich kaum für sie einsetzen.
Zuflucht bei Gott
Auch sind die Check-Points des ISIS nicht passierbar, weil auf den ID-Karten die Religionszugehörigkeit vermerkt ist. «Christen werden umgebracht oder es wird ein Lösegeld gefordert und später werden sie dennoch getötet. Gerade erst fragte ich bei unseren Partnern vor Ort nach, ob Fälle im Irak oder Syrien bekannt sind, wo die Geiseln freikamen. Das wurde bejaht, allerdings liegen diese Situationen schon länger zurück. Heute werden die Gekidnappten meist tot aufgefunden.» An manchen Orten können eingekesselte Orte über den Landweg nicht mehr verlassen werden. Für einmal seien Konvertiten in einer besseren Position, weil ihre Reisedokumente sie noch als Muslime kennzeichnen.
Dennoch gibt es mutige Christen, die im Land bleiben. Ihnen steht die «HMK Schweiz» bei, damit sie für ihre Mitmenschen Segen sein können, ungeachtet der religiösen und ethnischen Herkunft der Hilfeempfangenden. «Unser Projektleiter ist 27 Jahre alt, frisch verheiratet und er lebt in Aleppo. Er hat einen Oxford-Abschluss und Stipendienangebote von mehreren Universitäten aus den USA. Doch er bleibt. Er will Salz und Licht in seiner Heimat sein und sagt: 'Ich erlebe hier Gott wie noch nie zuvor. Wieso soll ich jetzt das Land verlassen? Mit der Hilfe aus der Schweiz kann ich hier etwas Sinnvolles tun.' Viele Menschen suchen Hoffnung im christlichen Glauben. Sie wollen keine Scharia.» .
Keine Rente mehr
«Christen wollen ein Zeichen der Hoffnung setzen», hebt M. Schwab hervor. «Wenn sie von uns die Ressourcen erhalten, können sie einen Unterschied machen. Durch unsere Hilfe werden in Syrien und im Irak regelmässig 25'000 Menschen versorgt. Hunger ist im Moment das grösste Problem, die Versorgungslage ist angespannt.»
Zum Beispiel können in einem Gebiet ältere Menschen, darunter viele christliche Lehrer, ihre Rente nicht mehr abholen. Um an diese zu gelangen, müssten sie in eine grössere Stadt in der Nähe reisen. Doch wegen den Check-Points und der Frontlinie ist das für sie zu gefährlich. Nach rund einem Jahr ohne Geld liegt vieles im Argen und sie können sich kaum noch selbst ernähren. «Wir versuchen nun ein Schulsystem zu organisieren. Dadurch können sie ein Gehalt erarbeiten und Kinder und Jugendliche erhalten wieder Bildung.»
Sie leben Frieden vor
Trotz dem Exodus auf der syrischen Seite: «Die Zahl der Christen nimmt nicht so schnell ab, wie die Anzahl der Christen, die das Land verlässt. Denn die Kirchen sind immer wieder voll, weil zahlreiche Menschen zum Glauben an Jesus finden.» Deshalb sei es wichtig, den einheimischen Christen beizustehen, welche Hoffnungs- und Zukunftsgeber seien. Nicht einzig finanziell, sondern auch im Gebet. «Das Gebet ist das Wichtigste, damit der Konflikt zu einem Stillstand kommt und Christen aufstehen und die Not lindern können.»
Zudem erwähnt M. Schwab: Es sei wichtig, dass die Christen, die Frieden vorleben, auch auf das internationale Parkett kommen. «Anfang Jahr waren an den Friedensgesprächen in Genf und Montreux komischerweise nur jene Vertreter eingeladen, die Gewalt verbreiten. Für eine friedliche Zukunft des Landes wäre es aber gerade wichtig, dass auch diejenigen eingeladen werden, die Frieden vorleben.»
Die HMK ist innerhalb des Hilfswerkeverbands «Hoffnungsnetz» verantwortlich für die Flüchtlingshilfe in Syrien, die nun bereits das dritte Jahr in Folge andauert. Zudem unterhält die HMK ein Nothilfeprojekt für traumatisierte Flüchtlingsfamilien im Grossraum Bagdad. Regelmässig erhalten in den beiden Ländern 25'000 Inlandflüchtlinge Essenspakete, Kindernahrung, Medikamente, Hygieneartikel und Kleidung. In den kalten Wintermonaten erhalten sie auch Jacken, Socken, Decken und Heizmaterial. Dank der langjährigen HMK-Kontakte zu einheimischen Partnern ist eine rasche und wirkungsvolle Hilfe in Syrien und im Irak möglich.
Webseite:
HMK
HMK bei Facebook
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Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet
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