Die Quarantäne-Bibel
Bibellesen in besonderen Zeiten
Es gibt jede Menge deutschsprachige Bibelübersetzungen. Die Deutsche Bibelgesellschaft verweist allein auf 35 verschiedene Übersetzungen. Die «Quarantäne-Bibel» gehört nicht dazu. Dabei hilft eine besondere Zeit wie die jetzige dazu, die Bibel ganz neu zu verstehen.
Natürlich gibt es aktuell keine «Quarantäne-Bibel». Aber es fühlt sich beinahe so an. Wer heute von Abendmahl, Gemeinschaft oder ähnlichen normalen Gemeindethemen redet, der ergänzt zwangsläufig: «Momentan findet all das nicht statt – jedenfalls nicht so, wie wir es gewohnt sind.» Als Christ hat man jetzt zwei Möglichkeiten: Man fordert lautstark, dass der «Normal»-Zustand so schnell wie möglich wiederhergestellt wird. Oder man liest seine Bibel neu. Was könnten denn diese Begriffe in einer besonderen Zeit wie jetzt gerade noch bedeuten? Wie lassen sie sich trotzdem leben?
Willkommen in der Apostelgeschichte
Dabei beginnt die Geschichte der Kirche ganz ähnlich wie heute: in einer angespannten Situation mit Versammlungsverboten. Voller Angst in unsicheren Zeiten. Damals gab es zwar keine gesundheitlichen – und nachvollziehbaren! – Gründe für die Beschränkungen, aber erstaunlicherweise haben die ersten Christen nicht gejammert, weil sie so wenige Möglichkeiten hatte, sondern haben diese einfach genutzt. Das Resultat ist bekannt: «Der Herr aber tat täglich die zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden» (Apostelgeschichte, Kapitel 2, Vers 47). Genau das ist es, was wir heute als Quarantäne-Bibel lesen können:
«Und sie blieben beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und in den Gebeten. Es kam aber Furcht über alle Seelen, und viele Wunder und Zeichen geschahen durch die Apostel. Alle Gläubigen waren aber beisammen und hatten alle Dinge gemeinsam; sie verkauften die Güter und Besitztümer und verteilten sie unter alle, je nachdem einer bedürftig war. Und jeden Tag waren sie beständig und einmütig im Tempel und brachen das Brot in den Häusern, nahmen die Speise mit Frohlocken und in Einfalt des Herzens; sie lobten Gott und waren angesehen bei dem ganzen Volk» (Apostelgeschichte, Kapitel 2, Vers 42–47).
Lehre und Gemeinschaft
Wer diese Bibelverse liest, sieht normalerweise eine Gemeinde vor sich, wie sie im Gottesdienst sitzt. Lehre, Gemeinschaft und Brotbrechen finden eben hinter verschlossenen Türen in der Kirche oder Gemeinde statt. Das heisst, so war es bis vor kurzem. Und jetzt? Da nutzen Gemeinden das Internet und posten ihre Gottesdienste – selbst solche, die das noch nie getan haben. Da rufen sich Gemeindeglieder an oder schreiben sich E-Mails. Und selbst das Abendmahl findet virtuell statt, indem man zu Hause bleibt und Brot und Wein vor sich auf dem Tisch hat, während man per Skype oder anderer Onlinedienste miteinander verbunden ist.
Sicher ist all dies nicht das Mass der Dinge. Aber es hilft Christen, ihre Bibel neu zu lesen:, denn auch so ist Gemeinschaft möglich.
Gebet
Bis vor wenigen Wochen war Gebetsgemeinschaft eine definierte Angelegenheit: Man sass zusammen und jeder konnte beten. In Wirklichkeit waren es immer die gleichen, die gebetet haben – oft sogar in der immer gleichen Reihenfolge. Und jetzt? Jetzt verabreden sich Christen zum Beten am Telefon – und es funktioniert. Jetzt beten Christen jeden Abend um 18 Uhr, wenn die Glocken klingen – und zwar alle. Manchmal beten sogar die Nachbarn mit, die sonst nie in den Gottesdienst kommen.
Furcht
Dass alle gemeinsam mit grossen Fragezeichen in die Zukunft schauen, gab es bisher kaum. Natürlich waren da ungeklärte Fragen, doch die waren entweder weit entfernt oder ziemlich theoretisch. Doch plötzlich sind sie sehr greifbar: Wie wird es mit der Arbeit weitergehen? Wann wird die Schule, die Kita oder die Universität wieder öffnen? Wer wird in den nächsten Wochen noch erkranken?
Gütergemeinschaft
Das Spannende bei den ersten Christen war, dass all diese Unsicherheiten sie dazu brachten, ihre Habe zu teilen. Sie haben also nicht zuerst Toilettenpapier gehamstert, sondern sich gefragt, was der Nachbarin fehlen könnte, was der Nachbar vielleicht braucht.
Ein neuer Blickwinkel
Damals, zu den Zeiten der Apostelgeschichte, war Christsein noch keine Routine. Es gab noch keine christliche Tradition. Und die ersten Nachfolger von Jesus fragten sich jeden Tag neu, wie sie ihren Glauben am besten leben könnten. Sicher haben sie dabei Fehler gemacht, aber sie haben auch erreicht, dass sie «angesehen bei dem ganzen Volk» waren.
Heute leben wir als Christen mit einer 2000-jährigen Geschichte und Tradition. Doch Ereignisse wie die aktuelle Corona-Krise helfen uns dabei, scheinbar altbekannte Überzeugungen auf den Prüfstand zu stellen. Die Bibel mit ihren Aussagen bleibt dieselbe wie früher. Doch wir müssen sie neu in unseren Gemeindealltag einsortieren. Wir müssen sie neu lesen und dadurch bekommt sie eine ganz neue Chance, zu uns zu sprechen. Tatsächlich könnte die Quarantäne-Bibel eine fantastische Übersetzung sein …
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Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet
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