Gerechtigkeit und Friede
«Ich warte auf den Kuss!»
Viele biblische Aussagen unterstreichen, wie eng Gnade und Wahrheit, Gerechtigkeit und Friede zusammengehören. Das ist in unserer Wirklichkeit zwischen Gemeinde, Politik, Krieg und Sport gar nicht so einfach umzusetzen. – Ein Kommentar.
Jeder kennt sie: Liebespaare, die scheinbar nicht zusammenpassen. Sie ist sehr extrovertriert und er total verschlossen. Er ist deutlich älter als sie. Er ist sehr emotional und laut und sie eher sachlich und leise. Man schaut solch ein Paar an und denkt sich: «Wie Feuer und Wasser.»
Auch in der Bibel wird uns solch ein scheinbar unpassendes Paar vorgestellt, das aber durchs Alte und Neue Testament hindurch als unbedingt zusammengehörig beschrieben wird. Besonders schön klingt die Liebesbeziehung der beiden in Psalm 85, Vers 11: «Gnade und Wahrheit sind einander begegnet, Gerechtigkeit und Friede haben sich geküsst.»
Keine «Ja, aber …»-Beziehung
Viele Menschen tun sich schwer, die Begriffe bzw. das dahinterstehende Denken bei «Gnade» und «Wahrheit» nicht als widersprüchlich wahrzunehmen. Wenn jemand von Gottes unerschöpflicher Liebe spricht, dann dauert es meist nicht lange, bis jemand anderes ergänzt: «Aber nicht vergessen: Gott ist auch gerecht.» Stimmt. Das ist er. Aber seine Gerechtigkeit setzt seiner Liebe und seinem Frieden keine Grenzen. Das betont nicht nur der Psalmist, sondern dieser Gedanke zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel. Im Neuen Testament ergänzt Jakobus: «Die Frucht der Gerechtigkeit aber wird in Frieden denen gesät, die Frieden stiften.» Für ihn gehören die beiden im wahrsten Sinne organisch zusammen. Und Paulus stellt klar, dass Gottes Herrschaftsbereich durch beides gekennzeichnet wird (Römer, Kapitel 14, Vers 17): «Denn das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist.»
Und wenn es heute klemmt?
Offensichtlich bestimmen Friede und Gerechtigkeit noch nicht unsere Welt. Ausserdem ist es scheinbar so, dass wir Menschen uns schwertun, solch eine friedevolle Gerechtigkeit Gottes auf mehrere Bereiche gleichzeitig zu beziehen. Ein konkretes Beispiel dafür ist der Ukrainekrieg. So wie andere auch, fordern Christen vehement Gerechtigkeit und beten für Frieden. Und das ist gut so! Doch sobald ein Ball ins Bild rollt, gilt dieses Denken nicht mehr. Vor kurzem spielte die ukrainische Fussball-Nationalmannschaft um die Teilnahme an der nächsten Fussball-WM. Nach einem 3:1 gegen Schottland verpassten die Ukrainer ihre Qualifikation knapp durch ein 0:1 gegen Wales. Trotzdem sieht Oleksandr Sintschenko (Man City) laut «Promis glauben» darin eine Ermutigung: «Danke, Gott, dass dieses Spiel passiert ist.»
Die Ermutigung sei ihm gegönnt. Aber was wäre passiert, wenn sie gewonnen hätten? Dann wären die Ukrainer aus einem Land, in dem inzwischen über 10'000 Soldaten im Krieg umgekommen sind, zum Fussballspielen nach Katar geflogen, wo inzwischen 15'000 Gastarbeiter unter Sklavenbedingungen bei den Bauarbeiten der WM-Anlagen ums Leben gekommen sind (siehe ntv und andere).
Krieg und Fussball lassen sich nicht vergleichen, aber sehr wohl Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit. Und die eine Ungerechtigkeit erfüllt die Medien, während für andere aus den unterschiedlichsten Gründen kein Platz ist. Würde Gott diesen Unterschied auch machen?
Warten oder tun?
Natürlich sind dies nicht die einzigen strukturellen Ungerechtigkeiten auf der Welt. Schnell liesse sich hier eine lange Liste erstellen, die das tut, was Listen bewirken: lähmen. Tatsächlich ist es nicht einfach, die richtigen Schlüsse aus den Informationen zu ziehen, die Tag für Tag auf uns einströmen. Niemand kann alles gleichzeitig im Blick halten, doch wer versucht, die Welt durch Gottes Augen zu sehen, kann nicht beim Krieg in der Ukraine aufschreien und beim Krieg im Jemen die Achseln zucken.
Lässt sich Gerechtigkeit eigentlich herstellen? In unserem europäischen Kontext verstehen wir sie meist als juristischen Begriff, dabei meint das hebräische Wort dafür («zedeka») wesentlich mehr: fair geregeltes gemeinschaftliches Verhalten. Und genau dafür können und sollen Christen sich einsetzen. «So spricht der Herr: Übt Recht und Gerechtigkeit; errettet den Beraubten aus der Hand des Unterdrückers; bedrückt nicht den Fremdling, die Waise und die Witwe und tut ihnen keine Gewalt an, und vergiesst kein unschuldiges Blut an diesem Ort!» (Jeremia, Kapitel 22, Vers 3).
Viele Aussagen wie diese fordern uns auf, Gerechtigkeit in unserem Umfeld umzusetzen; zuzulassen, dass sie und der Friede sich küssen. All dies geschieht in dem Wissen, dass wir hier nichts Endgültiges schaffen werden. Unsere Bemühungen um eine gerechte und friedliche Welt wird erst Gottes Eingreifen möglich machen – was aber kein Grund ist, uns nicht heute schon dafür einzusetzen.
Zum Thema:
Andrea di Meglio: Wenn Liebe und Wahrheit sich wiederfinden
Lukas Amstutz: Frieden – eine Frage der Beziehung
«Das Buch vom Frieden»: Christen können Frieden stiften!
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet
Livenet Aktuell
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