«Neue Würde» im Talk
Das Leben an Menschen verschenken
In Bern investiert sich der Verein «Neue Würde» in Frauen, welche in Schwierigkeiten stecken. Neben Besuchen im Rotlichtmilieu, in Asylzentren und im Gefängnis bieten sie Kurse zur Berufsbildung an.
Die Kosmetikerin Rahel Währy ist Gründerin und Präsidentin des Vereins. «Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Frauen in schwierigen Situationen auszubilden und ihnen eine neue Perspektive und Hoffnung zu geben.» Durch eine Ausbildung zur Kosmetikerin sollen sie die Chance erhalten, im ersten Arbeitsmarkt Fuss zu fassen.
Ein breites Engagement
Mitarbeiter von «Neue Würde» suchen Frauen im Rotlichtmilieu auf. Sie pflegen aber auch Beziehungen zu anderen Frauen, die in unterschiedlichen Schwierigkeiten stecken. Manchen von ihnen konnte schon eine Ausbildung ermöglicht werden. «Wir nehmen auch Frauen aus dem Frauenhaus, Migrantinnen und aus dem Frauengefängnis bei uns auf.»
Doris Stettler, Vorstandsmitglied beim Verein «Neue Würde», ist ebenfalls leidenschaftlich dabei. «Ich verschenke mich gerne an Menschen», erklärt sie. «Ich habe mir immer überlegt, wo ich mich engagieren kann.» Rahel und Doris kennen sich schon länger. «Früher haben wir zusammen Frauen im Asylantenheim eine Schönheitsbehandlung angeboten.» Das gemeinsame Engagement für Frauen begleitet die beiden also schon länger. Dass sie sich gerade durch ihr gemeinsames Arbeiten unter Frauen in Asylzentren und im Rotlichtmilieu sehr gut kennengelernt haben, versteht sich von selbst.
Die eigene Verantwortung erkennen
Der Verein «Neue Würde» ist weniger politisch, als vielmehr in den Beziehungen zu den Frauen aktiv. Er vertritt auch keine klare politische Richtung. «Für uns ist es aber ein Anliegen, dass die Gesellschaft auf das aufmerksam wird, was in der Schweiz abgeht.» Um die ganze Thematik von Menschenhandel und Prostitution brauche es ein gesellschaftliches Umdenken und auch zielführende Gesetze. Als Vorbild erwähnt Rahel die skandinavischen Länder. «Der Kauf von Sex sollte nicht als Menschenrecht betrachtet, sondern die dahinterliegenden Probleme erkannt werden.»
Und auch in ihrem Engagement für die Frauen hat «Neue Würde» die eigene Verantwortung geklärt. «Wir übernehmen nicht die Verantwortung für das Leben der Frauen», erklärt Rahel. «Wir geben ihnen einfach Werkzeuge, damit sie die Verantwortung für ihr Leben besser wahrnehmen können.» Dadurch können oder müssen sie sich den Erfolg oder das Scheitern der Frauen auch nicht zuschreiben. Gleichzeitig werden die Frauen auch der Würde nicht (einmal mehr) beraubt, die Verantwortung für ihr Leben übernehmen zu können.
Highlights im vergangenen Jahr
Doris ist begeistert, wie Gott immer wieder Leute gerufen hat, welche ihre Arbeit jetzt unterstützen. «Wir sehen, dass Gott seine Hand über uns hält. Wir erfahren Gunst bei Stiftungen, die uns auch grössere Beträge spenden.» Das ist eine grosse Ermutigung. «Dann sind natürlich auch die Geschichten der Frauen. Zu sehen, wie sie vorwärtsgehen und Schritte vorwärts tun. Das ist cool.» Speziell erwähnt Doris das Sommerfest, wo mit den Frauen, welche den Abschluss machen konnten, gefeiert wurde. «Wir säen», sagt sie. «Und wir trauen Gott zu, dass er diesen Saat aufgehen lassen kann – auch wenn wir es vielleicht gar nicht mitkriegen.»
Rahel ist immer begeistert, wenn mit sechs Frauen ein Kurs durchgeführt werden kann. Das intensive Teilhaben am Leben und auch am Temperament dieser Frauen, könne zwar anstrengend sein, ist aber eine grosse Bereicherung. «Wir sind Christen und leben mit einer Hoffnung», hält sie fest. «Wir akzeptieren es aber auch, wenn Frauen eine andere Einstellung haben. Das hat absolut Platz.» Persönlich halte sie aber nichts davon, ihren Glauben bedeckt zu halten. «Ich bin ein authentischer Mensch und absolut transparent.»
Die Nachfrage ist gross
Für jeden Kurs gibt es inzwischen um die 20 Interessentinnen. Leider kann nicht allen eine Ausbildung ermöglicht werden. «Es ist unsere Zukunftsvision, dass wir nicht nur Kosmetik anbieten können, sondern breiter werden.» Rahel betont, dass es niederschwellige Möglichkeiten sein müssen. «Viele Frauen haben einen Migrationshintergrund und deshalb sollte es auch vom Deutsch her nicht allzu anspruchsvoll sein.» Wer einer dieser Frauen die Chance für Ausbildung schenken will, muss damit rechnen, dass der Anfang nicht reibungslos verläuft. «Es darf nicht erwartet werden, dass alles super funktioniert. Es sollte auch sein dürfen, dass jemand eine Zusatzrunde macht.» Rahel glaubt aber, dass noch etliche eine Möglichkeit haben, um einen Ausbildungsplatz anzubieten. «Es ist unser Wunsch, dass unser Anliegen über Bern und die Kosmetikbranche hinaus Kreise zieht.»
Doris spricht davon, als Verein an einem Punkt angekommen zu sein, wo das Wesentliche aufgebaut ist. Jetzt gehe es darum, sich mit anderen Vereinen zu vernetzen. «Das ist etwas von dem, was wir uns für dieses Jahr vorgenommen haben.» Als Verein wollen sie weiter wachsen und sie wünschen sich, dass Personen und Unternehmer ihr Anliegen teilen und tatkräftig anpacken. «Und für die Frauen wünschen wir uns, dass sie etwas aus dem Kurs mitnehmen und Gottes Herz spüren können.»
Sehen Sie sich hier den ganzen Livenet-Talk an:
Zum Thema:
Neue Zusammenarbeit: Hilfe für Frauen in Zwangsprostitution soll ausgebaut werden
Erfahrungen einer Nacht: Maskenpflicht im Rotlichtmilieu
Gefangen im Rotlichtmilieu: Die Gesichter hinter der Prostitution
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet
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