Konzerninitiative

Wie viel Verantwortung muss sein?

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Seit Jahren mobilisieren kirchliche Organisationen für die Konzerninitiative. Der Endspurt bis zur Abstimmung am 29. November ist im Gang. Gottesdienste zur Initiative werden abgehalten. Worum geht es den Kirchen? Welches sind die zentralen Fragen rund um die Initiative? Was geschieht, wenn die Initiative abgelehnt wird?

Schützen internationale Konzerne und die nationalen Rechtssysteme die Bevölkerung in der Zweidrittelwelt genügend? Spielen Konzerne, die ihren Sitz in der Schweiz haben, im Ausland von sich aus eine bessere Rolle als Konzerne anderer Länder? Sollen Mutterkonzerne für ihre Tochterfirmen haften? Wie stark kann und soll eine Firma die Einhaltung von Menschenrechten ihrer Lieferanten kontrollieren? Sollen Schweizer Gerichte über Handlungen von Firmen im Ausland urteilen? An diesen zentralen Fragen rund um die Konzernverantwortungsinitiative (KVI) scheiden sich die Geister. Selbst Wirtschaftskreise sind sich uneins.

Einig sind sich die beiden nationalen Parteien EVP und EDU: Beide haben die Ja-Parole beschlossen. Ein anderes heisses Eisen ist die Frage, welche Rollen Kirchen, Kirchenvorstände und ihre Mitarbeitenden im Abstimmungskampf spielen sollen und dürfen.

Grosse Mobilisierung in den Kirchen

56 «kirchliche Organisationen» unterstützen die Initiative laut der Homepage der Kampagne «Kirche für Konzernverantwortung». In der Liste findet man nebst den explizit landeskirchlich ausgerichteten Hilfswerken unter anderem die Heilsarmee, die Hilfswerke World Vision Schweiz, SAM global, Compassion, weiter auch die Schweizerische Bibelgesellschaft, das Blaue Kreuz und die Ausbildungsstätte TDS Aarau. In der Rubrik «kirchliche Gremien» stehen als Unterstützer: die Schweizer Bischofskonferenz (SBK), die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS), die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA), der Verband Freikirchen.ch sowie die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Schweiz (AGCK).

«Über 650 Kirchgemeinden und Pfarreien unterstützen die Initiative», schreibt das Komitee «Kirche für Konzernverantwortung» weiter (Stand 19.10.2020). Kampagnen-Dossiers mit Liturgie- und Predigtentwürfen wurden an Kirchen versandt, je nach Adressaten ausgerichtet auf Landes- oder Freikirchen, mit einem Vorwort von Verantwortlichen aus den Zielgruppen. Zwischen dem 18. Oktober und dem 15. November finden in vielen Kirchen, Gemeinden und Pfarreien Gottesdienste zum Thema Konzernverantwortung, Nächstenliebe und Bewahrung der Schöpfung statt. So steht es im Dossier.

Gegenstimmen aus den Kirchen

Bedenken aus kirchlichen Kreisen gegenüber der Initiative wurden in der Öffentlichkeit erst wahrgenommen, als ein EKS-Ratsmitglied, der Glarner Kirchenratspräsident Ulrich Knoepfel, von verschiedenen Medien als Exponent eines im August entstandenen Ethik-Komitees gegen die KVI interviewt wurde. Zu diesem Komitee gehören über 50 Personen, zum Beispiel auch der Publizist Giuseppe Gracia. Die meisten geben sich als aktuelle oder ehemalige Träger eines Amtes in einer Landeskirche zu erkennen. «Gut gemeint, aber einen schlechten Weg gewählt», so könnte man ihre Statements zusammenfassen. Komitee-Mitglied Daniel Schwab aus Zürich-Schwamendingen, zum Beispiel, hält die Initiative für juristisch nicht umsetzbar. Die reformierte Zürcher Synodale Ruth Derrer Balladore äussert sich wie Bundesrätin Karin Keller-Sutter überzeugt, dass Schweizer Gerichte nicht in der Lage sind, die Arbeits- und Lebensbedingungen und damit Verstösse gegen Menschenrechte zu beurteilen. Eine gemeinsame europäische Regelung bringe uns weiter.

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Giuseppe Gracia
Manche Mitglieder dieses Ethik-Komitees gegen die KVI fordern jedoch in ihren Statements bei der Kampagne nicht einfach ein Nein zur KVI, sondern mehr Zurückhaltung der Kirchen. So auch Giuseppe Gracia: «Die Zeiten sind vorbei, in denen Kirchenobere uns von der Kanzel herab vorschreiben, wie wir abstimmen müssen.» Und der reformierte Pfarrer und EKS-Synodale Willi Honegger, Bauma ZH, sagt: «Das links-grüne Meinungsdiktat innerhalb der reformierten Kirche untergräbt unseren Ruf als differenziert argumentierende Kirche.» In diversen Medien kamen in den vergangenen Wochen Personen zu Wort, die Zurückhaltung der Kirchen wünschten oder fragliche Rollen von Kirchen speziell in der kolonialistischen Vergangenheit hervorhoben. Manche betonten, Volkskirchen sollten sich nicht auf eine bestimmte politische Seite schlagen.

Dem Kirchenrat der Reformierten Kirche des Kantons Zürich wurde die schon vor Jahren angelaufene Kampagne für die KVI wenige Monate vor der Abstimmung zu heiss: «Weder dürfen Steuergelder eingesetzt noch einseitig Werbematerialien aufgelegt, verteilt oder an kirchlichen Gebäuden angebracht werden», hielt er im Juli fest. Der Thurgauer Kirchenrat schrieb am 2. Oktober unter dem Titel «Geld, auf dem kein Segen liegt», er schliesse sich Verbänden an, welche die Initiative unterstützen. Und schob gleich eine Vorsichtsklausel nach: «Der Kirchenrat teilt das Anliegen der Initianten, will aber seine Haltung nicht als Abstimmungsparole verstanden wissen.»

«Parteinahme für die Armen»

Synodalrat der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn unterstützt die Anliegen der Initiative «aus theologischen und biblischen Gründen». In der Bibel begegne einem durchgehend eine klare Parteinahme Gottes für die Armen. Die reformierte Tradition habe diese biblische Linie aufgenommen. Die EKS und die SBK argumentieren in einer gemeinsamen Erklärung zugunsten der Initiative: «Verbindliche Menschenrechtsstandards dürfen nicht zur Verhandlungssache des globalen Marktes und mit ökonomischen Argumenten der Konkurrenzfähigkeit und Standortsicherheit aufgerechnet werden.» Im Visier dieses Arguments steht die Befürchtung, die Initiative schwäche die Schweizer Wirtschaft.

Gott und Firmennamen in der Liturgie

Der genannte Liturgievorschlag der Pro-Kampagne eröffnet im Namen des dreieinigen Gottes: «…im Namen Gottes des Schöpfers, der uns als Hörende und Handelnde geschaffen hat…, im Namen Jesu Christi, der Armen und Schwachen eine Stimme verlieh…, im Namen des Heiligen Geistes, der uns in unserem Bemühen um Gerechtigkeit verbindet.» Dann stellt sie Sprüche 31, Verse 8-9 ins Zentrum: «Deine Sache aber ist es, für Recht zu sorgen. Sprich für alle, die sich selbst nicht helfen können. Sprich für die Armen und Schwachen, nimm sie in Schutz und verhilf ihnen zu ihrem Recht!»

Später stellt die Liturgie drei Konzerne namentlich an den Pranger: «Glencore verschmutzt mit einer Mine in Peru den Boden und das Wasser einer ganzen Stadt. Der Basler Konzern Syngenta verkauft tödliche Pestizide, die bei uns schon lange verboten sind. Und Lafarge-Holcim verschmutzt mit einer Zementfabrik die Luft in einem Dorf in Nigeria.» Diese drei Firmen tauchen in der Kampagne immer wieder auf. Ob die Kirchen in einer Liturgie Firmennamen erwähnen werden, wird sich in diesen Wochen zeigen.

Vorgeschichte

Die Initiative fusst in der Fair-Trade-Bewegung mit ihren zahlreichen lokalen Aktionen, die oft auch von Kirchen und kirchlichen Hilfswerken durchgeführt werden. Der Initiative unmittelbar vorausgegangen war die mehrjährige Kampagne «Recht ohne Grenzen». 50 Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen, Umwelt- und Frauenverbände, Gewerkschaften, kirchliche Gruppen und kritische Aktionärsvereinigungen arbeiteten zusammen. Die Koalition setzte sich «für klare Regeln für international tätige Unternehmen» ein, damit diese weltweit die Menschenrechte und Umweltstandards respektieren müssen. Mit der Globalisierung und der weltweiten Öffnung der Märkte hätten die international tätigen Konzerne enorm an Macht und Einfluss gewonnen. Weil eine Petition mit 135'000 Unterschriften beim Parlament nicht das gewünschte Ziel erreichte, beschloss die Koalition 2015 die Lancierung der Volksinitiative. StopArmut, ein Arbeitsbereich von Interaction und damit der SEA, war von Beginn weg dabei.

Zum Thema:
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Datum: 25.10.2020
Autor: David Gysel
Quelle: Idea Spektrum Schweiz

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