Unsichere Zukunft
Schwarzer Wahltag für die Christen in der Türkei
In der Türkei haben Regierungschef Tayip Erdogan und seine «Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung» (AKP) die Kommunalwahlen gewonnen. Erdogan präsentierte sich aber nicht als strahlender Sieger, sondern voll Rachedurst gegen seine abgeschlagenen Widersacher.
Darunter werden auch die Christen in der Türkei zu leiden haben. Evangelisch gewordene Muslime, orthodoxe Armenier, Griechen und Aramäer sowie Juden haben auf die Minderheitenpartei «Aussöhnung und Demokratie» (BDP) gesetzt. Der BDP ist es aber am 30. März nicht gelungen, ausserhalb vom kurdischen Südosten der Türkei Fuss zu fassen.
Am Wahlsonntag wurde in Istanbul die Ausstellung «Mit 20 Dollar und 20 Kilo» eröffnet. Sie erinnert nach 50 Jahren an die türkische Christenvertreibung von 1964. Damals gab es Massenausweisungen, der auch zwei Bischöfe und der berühmte Kirchenmusiker Stanitsas zum Opfer fielen. Nur 20 Dollar und einen Koffer mit 20 kg Habseligkeiten durften die Vertriebenen mitnehmen, ihr gesamter Besitz wurde beschlagnahmt, darunter viele Immobilien und Unternehmen.
Dieser Aderlass von 1964 hat sogar noch mehr als das Pogrom vom 8. September 1955 die Orthodoxen in der Stadt Istanbul, die bis nach dem Ersten Weltkrieg eine noch mehrheitlich christliche Stadt war, in ihrem Lebensnerv getroffen: Von damals noch über 60'000 blieben nur einige Tausend übrig. Vom Wahlsieger Erdogan, der nach über zehn Jahren ziemlich christenfreundlicher Politik 2013 plötzlich auf Kirchenfeindschaft geschaltet hat, wird jetzt noch Schlimmeres befürchtet.Diese Zukunft neuer Bedrängnis hat leider bereits begonnen. So haben sich am 23. März in Istanbul maskierte Unruhestifter unter friedliche Kurden gemischt, die vor den mittelalterlichen Stadtmauern ihr Frühlingsfest Nawroz feierten. Derartige Provokationen sind eine längst bekannte Taktik des türkischen Geheimdienstes MIT. Die Vermummten stürmten sogar die nahe gelegene Kirche der Hagia Paraskevi, schlugen alles kurz und klein, zerfetzten Bibeln und Kirchenbücher, urinierten in das Taufbecken und stahlen die Kirchenglocke samt dem Inhalt des Opferstocks. Der nur 40 Meter entfernte Polizeiposten verhielt sich völlig passiv. So ein Übergriff war in der Türkei seit dem Pogrom vom Herbst 1955 nicht mehr vorgekommen.
Von solch einzelnen Übergriffen abgesehen ist schon das ganze Verhältnis der Behörden zu den letzten türkischen Katholiken, Orthodoxen und Protestanten vergiftet, seit letzten Monat die Christenmörder von Malatya vom April 2007 trotz ihrer Geständnisse durch das Regime Erdogan aus der Haft entlassen wurden.
Zum Thema:
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Autor: Heinz Gstrein
Quelle: Livenet
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