«Die Passion»
Wenn Jesus auf RTL «Halt dich an mir fest» singt
Am Mittwochabend lief auf RTL die Musical-Show «Die Passion» live aus Essen. Der Sender schaffte es, die biblische Geschichte in einer modernen Lebenswelt zu erzählen und zu zeigen, dass der Glaube Menschen verändern kann.
Jesus und seine Jünger reisen mit Bus und Bahn nach Jerusalem. In einem Einkaufszentrum besorgen sie sich ein paar Sachen für den hoffentlich gemütlichen Abend. Passanten erkennen den Influencer Jesus, wollen ein Foto mit ihm machen.
Dann ein denkwürdiger Restaurantbesuch, bei dem die jungen Leute ihre Freundschaft feiern, aber Jesus von Verrat spricht. Nach einem nächtlichen Abstecher in den Park kommt die Polizei mit Blaulicht und führt Jesus ab. Und sein Richter? Gibt dem Mob nach und lässt Jesus hinrichten.
So zeigte RTL die Passionsgeschichte in einer enorm aufwendigen Live-Show in Essen. An in der Stadt verteilten Schauplätzen spielten Alexander Klaws als Jesus, Mark Keller als Judas, Laith Al-Deen als Petrus und einige andere Prominente der deutschen Popszene Ausschnitte der Passionsgeschichte.
Pop und Passion passt erstaunlich gut
Auf der zentralen Bühne auf dem Burgplatz erzählte und kommentierte Thomas Gottschalk das Geschehen, das das Publikum dort auf einer Leinwand verfolgen konnte. Bevor es vor seinen Augen dann zum grossen Finale kam: Pilatus, gespielt von Henning Baum, lässt Barrabas frei und verurteilt Jesus zum Tod am Kreuz. Auch Maria (Ella Endlich) hat dort ihren Auftritt.
Derart anschaulich und zeitgemäss war die Passionsgeschichte noch nie live im deutschen Fernsehen zu sehen. Und vor allem: verknüpft mit bekannten Popsongs. Die hätten passender nicht sein können. Wer hätte gedacht, wie berührend es ist, wenn Jesus und die Jünger beim letzten Abendmahl «Hinterm Horizont geht's weiter» von Udo Lindenberg singen? «Das mit uns ging so tief rein, es kann nie zu Ende sein.»
Oder Judas voller innerer Zerrissenheit «Ich muss durch den Monsun … am Abgrund entlang». Ergreifend auch, wie Jesus im Garten Gethsemane mit den Worten Adel Tawils ins Dunkel ruft: «Ist da jemand, der mein Herz versteht … mir den Schatten von der Seele nimmt.» Ebenfalls bewegend das Duett von Maria und Jesus kurz vor seiner Hinrichtung – «Einmal sehen wir uns wieder».
Geschichte zum Anknüpfen
«Die Passion», das macht Gottschalk gleich am Anfang deutlich, ist kein Gottesdienst. Auch werde dabei niemand mit gefalteten Händen herumlaufen oder Weihrauchfässchen schwenken. Es wirkt wie eine Trigger-Warnung: Achtung, hier kommt religiöser Inhalt, aber es ist okay, wenn ihr mit Glaube und Kirche nichts am Hut habt.
Aber genau das war sicherlich auch angebracht. Denn so eine grosse Bühne mit Primetime-Ausstrahlung und Aufführung mitten in Essen hatte das Evangelium im deutschen säkularen Privatfernsehen noch nicht. Für das RTL-Publikum alles andere als das übliche Programm und in jeder Hinsicht aussergewöhnlich. Entscheidend, sagte Gottschalk, sei die Geschichte und ihre Botschaft: Nächstenliebe, Hingabe. Das gehe jeden Menschen etwas an.
Leiden Jesu als Hauptthema
Dass Jesus von Sünden befreit und die Menschen mit Gott versöhnt, ist bei der «Passion» nicht das zentrale Thema. Es geht um die Leidensgeschichte Jesu an sich. Sie wird als eine Erzählung präsentiert, an der jeder mit seiner Lebenswirklichkeit anknüpfen kann und die damit bis heute aktuell ist. Das mag aus einer christlichen Perspektive für manche zu wenig sein.
Allerdings ist diese Musical-Show eben kein Gottesdienst, keine Bibelstunde oder Evangelisation. Sondern hier hat RTL den biblischen Bericht – «die grösste Geschichte aller Zeiten» – für ein säkulares Publikum nahbar gemacht und in die moderne Lebenswelt, für viele womöglich überhaupt erst ins Bewusstsein geholt. Und damit mehr als deutlich gemacht: Die Geschichte von Jesus hat etwas mit uns heute zu tun. Allein das ist bemerkenswert in einer Zeit, wo kaum mehr die Hälfte der Deutschen einer Kirche angehört.
Persönliche Berichte machen die Geschichte konkret
Was der Glaube ihnen konkret bedeutet, berichteten einige Männer und Frauen ebenfalls: Parallel zur Show machte sich eine Prozession mit einem meterlangen LED-Lichtkreuz durch die Stadt auf den Weg zur Bühne. Mehrmals gab es Schalten vom Musical dorthin. Eine Studentin erzählte dabei, wie sie in der Corona-Zeit psychische Probleme bekam und durch christliche Podcasts wieder Lebensfreude fand.
Ein russisch-ukrainisches Paar sprach davon, dass Jesus die Menschen mit Gott versöhnte und sie sich auch Versöhnung der Menschen wünschten. Ein junger Mann, der sich das Leben nehmen wollte, hatte eine Gottesbegegnung und «konnte nicht mehr Atheist sein». Diese persönlichen Zeugnisse kamen so ungezwungen und natürlich rüber, dass es mehr Theologie in der Show gar nicht brauchte.
Der Text der Darsteller orientierte sich grösstenteils eng an der biblischen Vorlage. Dadurch wirkten manche Dialoge sprachlich etwas aus der Zeit gefallen – vor allem im Kontrast zur sonstigen modernen Inszenierung, den Liedern und der eher lockeren Erzählung Gottschalks. Entscheidend ist aber, dass «Die Passion» als Show insgesamt überzeugt hat. Das ist mit den verschiedenen inhaltlichen und darstellerischen Ebenen, den Schauplätzen, einer wirkungsvollen Beleuchtung und einer Kamera, die viele überraschende und kreative Perspektiven einfing, sehr beeindruckend gelungen.
Ganz am Ende spricht Gottschalk die Auferstehung Jesu an. Eine gewisse Skepsis schwingt mit, als er die biblische Überlieferung kurz zusammenfasst. Aber dann hat der auferstandene Jesus tatsächlich auch noch einen Auftritt: Auf dem Dach eines Gebäudes, hoch über dem Publikum auf dem Burgplatz steht Alexander Klaws als Jesus und singt von Revolverheld: «Halt dich an mir fest.»
Wenn das keine ernst zu nehmende Aufforderung ist! Danke, RTL – gerne wieder.
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Autor: Jonathan Steinert
Quelle: PRO Medienmagazin
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