Kommentar aus den USA
Trump und die Evangelikalen auf Schmusekurs
Etwas Interessantes passierte auf dem Weg nach Cleveland. Im Vorfeld des nationalen Parteitages der Republikaner hatte Donald Trump jeden republikanischen Konkurrenten aus dem Rennen geworfen und Empfehlungen von vielen früheren Kritikern bekommen. Vor allem fallen ihm nun viele prominente evangelikale Leiter, die anfänglich gegen ihn gewesen waren, zu. Wir bringen einen leicht gekürzten Kommentar von Jonathan Merritt aus «The Atlantic».
Das war nicht immer so. Als Donald Trump vor über einem Jahr seine Kandidatur für das Präsidentenamt erklärte, gingen evangelikale Leiter fast geschlossen in Opposition. An einem geheimen Treffen konservativer religiöser Führer im Dezember stimmten 75 Prozent der Teilnehmer für Ted Cruz. Marco Rubio war zweiter Kandidat. Unterstützung für Trump stand gar nicht zur Debatte.Eine Untersuchung der nationalen Vereinigung der Evangelikalen zeigte Marco Rubio als Lieblingskandidaten, begleitet von einigen «Jeder andere als Trump»-Bemerkungen. Im Januar zeigten in einer Untersuchung des World Magazins die meisten konservativen christlichen Leiter eine Anti-Trump-Haltung – 59 Prozent sagten, sie würden Trump «absolut nicht» wählen. Diese weitgehende Ablehnung deutete auf eine klare Spaltung zwischen evangelischen Leitern und dem normalen Fussvolk hin, das damals schon in grossen Zahlen Trump unterstützte.
Neues Beraterteam mit alten Gegnern
Aber in dieser Woche stellte Trump ein neues evangelikales Beraterteam vor. Die Liste war voll von Leitern, die sich ehemals vehement gegen ihn eingesetzt hatten.
James Dobson, früherer Präsident von «Focus on the Family» wurde ins Team berufen, obwohl er noch kürzlich beteuert hatte, er sei in Bezug auf Trump «sehr argwöhnisch».
Dobson, der früher Ted Cruz unterstützt hatte, bemerkte: «Trumps Tendenz, aus der Hüfte zu schiessen und die anzugreifen, die nicht gleicher Meinung wie er sind, wäre eine Peinlichkeit für unser Land, wenn er unser oberster Chef würde.» Jetzt scheint er seine Meinung geändert zu haben, indem er sich dem Beraterteam anschloss.
Auch Tony Suarez, Vizepräsident der nationalen Konferenz der Spanischsprechenden Christen, wurde zum Trump-Berater ernannt. Er hatte bisher Prediger, die Trump unterstützten, eine «Peinlichkeit» genannt. Tweets und Facebook-Posts, die Trump kritisierten, hat er jetzt gelöscht.
Diese Leiter trafen sich Mitte Juni an einem Treffen mit 1'000 anderen Evangelikalen und Donald Trump, um zu diskutieren, warum sie ihn unterstützen sollten. Das Treffen war für die Presse geschlossen, aber eine Reihe konservativer Journalisten war eingeladen. Leiter wie Franklin Graham und Ralph Reed lobten das Treffen und boten Gebet an.
Trump: «Ungemein gläubig»
Während des Treffens bezeichnete sich Trump als «enorm gläubig» («tremendous believer») – das, obwohl er Mühe hatte, einen Lieblingsbibelvers zu zitieren und behauptet hatte, Gott nie um Vergebung gebeten zu haben.
Trump hätte sich nicht deutlicher von den christlichen Pastoren, Autoren und Aktivisten in diesem Treffen unterscheiden können. Der Reality-Star und Immobilien-Mogul ist die lebendige Verkörperung dessen, wogegen viele Evangelikale ihre ganze Karriere lang gekämpft haben.
Viele Evangelikale haben sich gegen vor- und ausserehelichen Sex eingesetzt. Trump hat sich mehrmals seiner sexuellen Eskapaden und verschiedener Beziehungen zu verheirateten Frauen gerühmt. Während viele Evangelikale für die «Heiligkeit der Ehe» eintreten, ist Trump dreimal geschieden. Viele Evangelikale beklagen die zunehmende Säkularisierung Amerikas. Trump geht nicht regelmässig in die Kirche. Und während viele Evangelikale gegen das Glücksspiel sind, hat Trump einen grossen Teil seines Reichtums mit Casinos gewonnen.
Nach dem Treffen schrieb der Megachurch-Pastor Jack Graham einen Artikel auf Fox News «Warum Christen Trump unterstützen sollten».
Eric Metaxas aus Manhatten schliesslich, Autor der Bestseller-Biographie über Dietrich Bonhoeffer, nannte Hillary Clinton «Hitlery» und erklärte in «National Review»: «Wir müssen für Trump stimmen».
Macht und Einfluss
Warum unterstützen Evangelikale einen Kandidaten, der für vieles steht, was sie abzulehnen behaupten? Weil Trump ihnen das verspricht, was sie am meisten wollten. Er versprach den 1'000 christlichen Leitern in New York:
«Diese Wahl ist so wichtig. Und ich sage das euch, weil ihr solche Macht und solchen Einfluss habt. Die gegenwärtige Regierung hat das ziemlich von euch weggenommen. Aber ihr werdet es zurückbekommen. Merkt euch: wenn ihr zusammenhaltet, sind die Männer und Frauen hier die wichtigsten, mächtigsten Lobbyisten. Ihr habt mehr Macht. Ihr habt Männer und Frauen hinter euch und irgendwo zwischen 75 und 80 Prozent des Landes glauben. Aber ihr nutzt eure Macht nicht. Ihr nutzt eure Macht nicht!»
Kein Dummkopf
Donald Trump ist kein Dummkopf. Er kennt seine Zuhörer besser als sie selber sich kennen. Evangelikale sind sich im Moment bewusst, dass ihr kultureller Einfluss schwindet und ihr Anteil an der Bevölkerung abnimmt. Für diese religiösen Leiter sind ihre Prinzipen wichtig, klar. Aber etwas ist ihnen noch wichtiger: Macht. Nicht jeder evangelikale Leiter ist ein Fan von Trump. Aber sie beginnen, warme Gefühle für den Kandidaten zu entwickeln. Und diese Entwicklung wird weitergehen. Ihre liebedienerischen Bemühungen, Trump ins Weisse Haus zu bringen, beweisen, dass viele von ihnen alles dransetzen, die kulturelle und politische Kontrolle wiederzugewinnen – selbst wenn das bedeutet, dass sie ihre eigenen Überzeugungen verleugnen.
Zum Thema:
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Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet / The Atlantic
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