Machtkampf am Nil
Islamische Verheissungen für Ägypten
Falls die Islamisten Ägypten ihren Stempel aufdrücken können, werden Millionen Muslime und Christen leiden. Eine Schweizerin erlebte die bewegten Wochen in Kairo aus der Sicht einer Frau. Peter Schmid hat ihre Eindrücke zusammengefasst.
Am 14. Juli empfing er Hillary Clinton, die ihn und seine politischen Gegner zu demokratischem Vorgehen mahnte. Mit der Fortführung der Milliardenhilfe an die ägyptische Armee verbindet Washington die Hoffnung, den Friedensvertrag Sadats mit Israel zu erhalten, der Kriegstreiberei der Hamas in Gaza entgegenzuwirken und iranischen Einfluss am Suezkanal zu begrenzen.Christen boykottieren Clinton
Prominente Vertreter der christlichen Minderheit, unter ihnen ein koptischer Bischof und der Bruder des in Andermatt investierenden Samih Sawiris, schlugen die Einladung zum Treffen mit Hillary Clinton aus. Sie protestierten damit dagegen, dass die US-Aussenministerin die mächtigen autoritären Gesprächspartner (Generäle und Islamisten) bevorzugte.
Was für Frauen auf dem Spiel steht
Am Nil steht viel auf dem Spiel. Die Weichenstellungen im bevölkerungsreichsten arabischen Land werden auf die gesamte islamische Welt ausstrahlen. Bei der Islamisierung des Rechts geht es um die Stellung der Frau im öffentlichen Leben. Islamisten haben unter anderem gefordert, das neue Scheidungsgesetz zu anullieren oder die Scheidung für Frauen zu erschweren. Für freiheitlich gesinnte Ägypter wäre dies ein Rückfall ins Mittelalter.
Eine Abgeordnete der Muslimbrüder schlug vor, das neue Gesetz, das sexuelle Belästigung von Frauen unter Strafe stellt, aufzuheben. Denn die Frauen provozierten selbst die Belästigung, indem sie sich unanständig und aufreizend kleideten. Laut der in Kairo lebenden Schweizerin haben dies viele Ägypterinnen, die immer noch für ihre Rechte kämpfen, als Schlag ins Gesicht empfunden.
Wortbrüche der Sieger
Mohammed Mursi versuchte nach der Wahl, die Befürchtungen von Christen zu zerstreuen. Doch die grosse christliche Minderheit, etwa 10 Prozent der Bevölkerung von 83 Millionen, hat wie viele Ägypter die Wortbrüche der Muslimbrüder im Wahlkampf nicht vergessen (unter anderem kündigten sie 2011 an, keinen eigenen Präsidentschaftskandidaten zu stellen). Christen bleibt im Ohr, wie sich Islamisten in TV-Debatten äusserten. Salafisten hatten die Wiedereinführung der Kopfsteuer für Christen gefordert, die aus der islamischen Frühzeit stammt.
Tiefreligiöse Muslime
Wirtschaftsfragen spielten im Wahlkampf kaum eine Rolle, vielmehr erhitzten gesellschaftliche Themen die Gemüter. Als ob sich die Lage des Landes automatisch bessern würde, wenn die Menschen gute Muslime wären und islamische Gebote in allem befolgten. Die in Kairo lebende Schweizerin: «Ein Grossteil des ägyptischen Volkes ist sehr religiös und möchte Allahs Willen und Gesetz in dieser Welt durchgesetzt sehen – sogar wenn das eigenes Leiden miteinschliesst.» Immer mehr Frauen verhüllen sich auch an den heissesten Tagen komplett mit Polyesterkleidung. «Einige kollabieren in der Metro. Aber es ist Allahs Wille – man nimmt es auf sich, um dem Höllenfeuer zu entgehen. Die Angst vor dem ewigen Feuer treibt viele Ägypter um und wird in der Politik manipulativ eingesetzt. Die Religiosität des Volkes kann man sich im Westen kaum vorstellen.»
Desillusionierte Christen
Der im März 2012 verstorbene Papst Shenouda III. hatte die Kopten aufgefordert, sich still zu halten und zu beten. Nach Mubaraks Sturz litt die Autorität des Kirchenoberhaupts. Sein Appell stiess bei Angehörigen der christlichen Minderheit, die mit Demos etwas erreichten, zunehmend auf taube Ohren. «Sie haben genug von heiligen Worten und wollen Taten sehen. Viele denken ans Auswandern, falls die Muslimbrüder die Macht ergreifen.» Die Anschläge auf Kirchen dienen Kopten als Grund, Asylanträge zu stellen. Einzelne Kopten sehen die Machtübernahme durch die Islamisten als Phase, die ihrem Land von Gott bestimmt ist, damit die Masken fallen und das wahre Gesicht des Islam erkennbar wird.
Räumt Mursi auf?
Mit Mursi an der Macht werden Traditionalisten und Islamisten sich gegenüber liberalen Muslimen oder Christen anders verhalten. «So wird die Aufforderung an unverschleierte Frauen, sich zu verschleiern, lauter werden. Während der Feierlichkeiten zur Wahl Mursis kam es auf den Strassen diesbezüglich bereits zu unrühmlichen Szenen. 'Mursi wird mit euch aufräumen', mussten wir uns anhören.» An einem Treffen mit prominenten Ägypterinnen unterstrich Hillary Clinton am 15. Juli, die USA ständen für die Rechte aller Menschen ein. «Demokratie umfasst mehr als Wahlen. Sie muss bedeuten, dass die Mehrheit die Rechte der Minderheit schützt.»
Davon werden sich die Salafisten nicht beeindrucken lassen, die die politische Szene 2011 neu aufgemischt haben. Sie sind vom Vorbild Saudi-Arabiens bestimmt, das keinen anderen Glauben und Lebensstil zulässt.
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet
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