Ägyptens Minderheit
Gewalt bei Kopten-Demo
Bei einem friedlichen Protest von koptischen Christen gegen die Zerstörung einer Kirche ist es am Sonntag in Kairo zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen. Die Errungenschaften der Revolution sind in Frage gestellt.
Der Regierungschef Essam Scharaf rief am Sonntagabend im Fernsehen zur Ruhe auf und bezeichnete den Zwist zwischen «muslimischen und christlichen Söhnen Ägyptens» als Gefahr für die Sicherheit des Staates. Das Gesundheitsministerium meldete 24 Tote und über 200 Verletzte.
Die schlimmsten Unruhen seit dem Sturz von Präsident Mubarak wurden provoziert, nachdem Kopten zum Hauptsitz des staatlichen Fernsehens unweit des Tahrirplatzes gezogen waren. Sie wollten mit einem friedlichen Sitzstreik gegen die Zerstörung der Georgskirche in Elmarinab in der Süd-Provinz Assuan protestieren. Zudem forderten sie die Absetzung des Provinzgouverneurs und klagten das staatliche Fernsehen der antichristlichen Stimmungsmache an.
Bei Sitzstreik angegriffen
Da wurden sie laut eigenen Angaben von «Schlägertypen», Männern ohne Uniform, angegriffen – bevor Sicherheitskräfte eingriffen und Tränengas und Gummigeschosse abfeuerten. Ein Militärfahrzeug überfuhr mehrere Demonstranten.
Gemäss der BBC stiessen Tausende dazu und warfen Pflastersteine und Brandsätze. Autos wurden angezündet, angeblich auch vor dem koptischen Spital, in das man Verletzte brachte. Verletzt wurden laut einem amtlichen Sprecher über 100 Zivilpersonen und 86 Angehörige der Sicherheitskräfte.
Grund der Demo: Kirche angezündet
Die blutigen Unruhen wurden offenbar provoziert, als die Kopten im Machtzentrum Solidarität mit ihren Glaubensbrüdern im oberen Niltal zeigten. Nach dem Freitagsgebet am 30. September 2011 hatte sich in Elmarinab in der Provinz Assuan ein Mob von mehreren tausend Muslimen zur Kirche aufgemacht, die sich in Renovation befand. Die Fanatiker demolierten Kuppel, Säulen und Wände und zündeten dann das Holzdepot an.
Feuerwehr ferngehalten
Gemäss dem Bericht der Nachrichtenagentur AINA machte der Priester der Kirche einen örtlichen Imam verantwortlich; dieser habe die Muslime aufgerufen, die Sache selbst zu regeln. Die Fanatiker zündeten nebenbei zwei koptische Geschäfte und vier Wohnhäuser an. Die Feuerwehr hinderten sie an der Zufahrt zum Dorf. Ordnungskräfte sahen laut einem Sozialarbeiter der Kirche untätig zu.
Die Gewalt in Elmarinab empörte die Kopten und alarmierte die Ägypter, die für einen Rechtsstaat mit Minderheitenschutz eintreten. Dr. Nagib Gabriel, Leiter der Union der ägyptischen Menschenrechtsorganisationen, forderte den Chef des Militärrats, General Tantawi, zum entschlossenen Eingreifen auf: «Die Kopten, ihr Leben und ihre Kirchen sind in Gefahr!»
Lügen des Gouverneurs
Der Gouverneur der Provinz Assuan hatte im staatlichen Fernsehen geleugnet, dass eine Kirche angezündet worden sei. Es handle sich um ein «Gästehaus», keine Kirche. Er habe eine Baubewilligung für die Höhe von neun Metern gegeben, doch der Bauunternehmer habe 13 Meter hoch gebaut. «Der Unternehmer machte nicht vorwärts mit dem Rückbau; daher nahmen muslimische Jugendliche die Sache selbst in die Hand», sagte der Gouverneur.
Der Priester der Kirche betonte dagegen, dass die Georgskirche vor hundert Jahren errichtet worden sei. Die Diözese habe angesichts ihres Zerfalls 2010 die Erlaubnis zu einer Totalrenovation erhalten – vom Gouverneur. Islamisten hatten schon Anfang September gegen Kreuz, Glocke und Kuppel der Kirche protestiert und Kopten bedroht.
Die einen kämpfen…
Die Proteste in Kairo zeigen den Willen junger Kopten an, den Islamisten entgegenzutreten, die Ägypten gemäss der Scharia geordnet und regiert haben wollen. Auch der Strandtourismus müsse «die Werte und Normen unserer Gesellschaft berücksichtigen», sagte ein prominenter Vertreter der Muslimbrüder.
Liberale Ägypter fragen sich, ob an den Stränden Bikinis und Alkohol verboten werden sollen. Bereits haben die Islamisten erreicht, dass die Scharia zur Hauptquelle der Gesetzgebung erklärt wurde. So kann sich Ägypten nicht zu einem Rechtsstaat mit unabhängigen Gerichten entwickeln.
…andere wandern aus
Die anhaltende Schutzlosigkeit macht den Christen Angst. Aufgrund der Attacken und Drohungen sind nach einem Bericht seit Anfang Jahr gegen 100‘000 Kopten in westliche Länder emigriert. Im Mai waren 12 Gläubige bei Angriffen auf koptische Kirchen umgekommen, im März hatten 13 Personen bei Zusammenstössen mit Muslimen auf dem Tahrirplatz das Leben verloren.
Am 28. November 2011 wählen die Ägypter ein Parlament. Im Wahlkampf geht es um die Geltung der Scharia und damit um die Rechte der christlichen Minderheit, die rund zehn Prozent der 83 Millionen Ägypter stellt.
Zum Thema:
«Ägypten auf dem Weg zur Freiheit?» - Kommentar von Mark A. Gabriel vom 16.02.2011
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet / AINA,BBC,Kipa
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