Israel und die Araber
Zwischen Misstrauen und Hoffnung
In Israel versucht man aus dem Umbruch in der Region klug zu werden. Vorsicht und Misstrauen herrschen vor, da Todfeinde des Judenstaats in offeneren arabischen Gesellschaften ungehemmter agitieren können. Die Entwicklung Irans nach der Revolution von 1979 sitzt den Israeli in den Knochen.
Das Ergebnis der Revolten in der arabischen Welt ist offen. Werden sie zu rechtsstaatlichen und demokratischen Verhältnissen führen? Israel, die einzige Demokratie der Region, müsste davon profitieren können. Aber sind bei drückender Armut und Arbeitslosigkeit Verhältnisse absehbar, die dem Fanatismus weniger Nahrung bieten? Wird der Judenstaat endlich als Realität anerkannt? Oder schwächen die Aufstände die politischen Kräfte, die sich bisher islamistischer Agitation und dem iranischen Vormachtstreben entgegenstellten?
Islamisten mit am Tisch
Die Islamisten in Nordafrika wurden von den Aufständen überrascht. Die meisten Araber, denen es gelungen ist, das Joch der Tyrannei abschütteln, dürften keinerlei Sympathie für die brutale Unterdrückung der Opposition im Iran empfinden. Doch die Islamisten, welche den Islam im öffentlichen und staatlichen Leben noch stärker zur Geltung bringen wollen, sitzen mit am Tisch, wenn am Nil und anderswo die Karten neu gemischt werden.
«Gewaltiges Erdbeben»
Die Israeli, die sich mit den Diktaturen in der Nachbarschaft notgedrungen eingerichtet haben, reiben sich die Augen über das «gewaltige Erdbeben, das unsere Region erschüttert» (Reserve-General Michael Herzog). Die Politiker und Analytiker des bedrohten Kleinstaats eint es nicht. Premier Netanjahu sagte vor der Knesset, die Israeli sollten allein auf ihre «Macht, Einigkeit und Entschlossenheit zur Selbstverteidigung» setzen. Das ist für manche Landsleute dumm und gefährlich – oder jedenfalls ungenügend. In der liberalen Tageszeitung «Haaretz» fordert der erfahrene Politjournalist Akiva Eldar Premier Netanjahu auf, aus dem Bunker herauszukommen. Er nutze die Angst in der aktuellen Unsicherheit, um untätig zu bleiben. Der Regierungschef solle aufhören, gemässigte Araber vor den Kopf zu stossen, und eine Verhandlungslösung mit der Palästinensischen Autonomiebehörde suchen.
Mehr Sprengstoff für Gaza?
In der «Jerusalem Post» malt Barry Rubin dagegen die Folgen von Mubaraks Sturz an die Wand: Der Waffenschmuggel in den Gazastreifen sei leichter geworden und seine Abriegelung werde nicht aufrechterhalten. Zudem versuchten die Muslimbrüder, führende Stellungen in der islamischen Geistlichkeit mit ihren Leuten zu besetzen, was ihnen mittelfristig die Kontrolle über Moscheen und religiöse Erziehung in Ägypten geben würde.
Nicht ohne Grund befürchtet man in Israel, dass eine neue ägyptische Führung den von Sadat und Begin geschlossenen Friedensvertrag neu verhandeln will. Kairo müsse dem Unmut der Ägypter über die Gaza-Politik Mubaraks Rechnung tragen, schreibt Rami G. Khouri von der American University in Beirut in einem Beitrag. «In dieser Atmosphäre der Freiheit“ könnten arabische Regierungen die Okkupation palästinensischer Gebiete durch Israel kaum hinnehmen», sekundiert ihm Marwan Muasher, erster jordanischer Botschafter in Israel.
Barry Rubin kritisiert seinerseits den Druck westlicher Staaten auf Israel, den Palästinensern entgegenzukommen. Viel eher müsse der Westen die relative Stärkung des Iran (geschwächte Araber) zum Anlass nehmen, Israel angesichts der radikalen Achse Hamas-Hisbollah-Syrien-Iran den Rücken zu stärken. Dass die ägyptische Armee zwei iranischen Kriegsschiffen die Passage durch den Suezkanal erlaubte, alarmiert viele Juden.
Syrien verhandlungsbereit?
Im Nahen Osten folgen Enttäuschungen regelmässig den Hoffnungen auf dem Fuss. Der innenpolitisch angeschlagene Verteidigungsminister Ehud Barak sagte am Montag im Radio, der syrische Präsident Assad erwäge Friedensverhandlungen mit Israel. Der Judenstaat werde sich darauf einlassen. Am Freitag war bekannt geworden, dass US-Senator John Kerry mit Assad über Monate Gespräche geführt hatte, um die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen. Barak unterstrich auch, dass Jerusalem mit den Palästinensern weiter kommen müsse – neue Schritte konnte er keine ankündigen. Der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel soll Premier Netanjahu für März einen neuen Vorschlag zugesagt haben.
Genauer hinsehen
Michael Herzog, Brigadegeneral der Reserve, will in den arabischen Aufständen das konstruktive Potenzial eruieren und rät zur Einzelanalyse. «Oberflächliche Folgerungen könnten für Israel gefährlich sein, angesichts der strategischen Herausforderungen, welche sich durch die neue Situation ergeben.» Allerdings glaubt er, dass die Energie in den Volksschichten, die rebellierten, sich irgendwann auch nach aussen, gegen Israel wenden könnte. «Auf der arabischen Strasse gibt es ein tiefes Mitgefühl für die Palästinenser.» Diese Gefühlslage werde Regimes künftig stärker beeinflussen und sie könnten versucht sein, mit dem Anheizen von Emotionen von ihren eigenen Schwierigkeiten abzulenken.
Die mit Arabern vertraute Haaretz-Journalistin Amira Hass nimmt in Kairo kleine Wunder wahr: dass nach fünf Jahren von einem Tag auf den andern in einem Neubaukomplex der Strom angeschlossen ist, dass die Stände von Strassenverkäufern nicht mehr ruiniert werden. Zugleich machten Gefolgsleute des alten Regimes ihren Einfluss wieder geltend.
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch
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