Fussball-WM
Schauen oder nicht schauen, das ist die Frage
In wenigen Wochen beginnt die erste Winter-Fussballweltmeisterschaft in Katar. Das bereits im Vorfeld heftig kritisierte Turnier wird für viele zur Gewissensentscheidung. Schauen oder nicht schauen? Argumente gibt es für beide Optionen.
Winter-Fussballweltmeisterschaft in Katar – damit sind für Fans des gepflegten Rasensports und für Kirchenvertreter schon alle Probleme für das aller vier Jahre stattfindende Turnier formuliert: die Jahreszeit und der Austragungsort. Mit Katar hat sich die FIFA wohl für das exotischste Austragungsland in der WM-Geschichte entschieden, beziehungsweise sich an das fragwürdigste verkauft.
In diesem Jahr findet das wichtigste Fussballturnier in einem Land statt, dass bisher kaum etwas mit Fussball zu tun hatte. Möglich machte die Vergabe im Jahr 2010 laut US-Strafverfolgungsbehörden die Zahlung von Bestechungsgeldern an FIFA-Funktionäre. Die gewichtigste Kritik an Katar ist jedoch die katastrophale Menschenrechtslage und die Situation der Gastarbeiter im arabischen Land: Für den Bau der Stadien sind laut der britischen Zeitung The Guardian mindestens 6'500 Gastarbeiter ums Leben gekommen.
Unwürdige Arbeitsbedingungen und Diskriminierung
Dabei wird häufig vergessen, dass es neben den WM-Baustellen unzählige weitere im Land gibt. Die überwiegende Mehrheit der schätzungsweise 200'000 Arbeitsmigranten lebt und arbeitet unter ausbeuterischen und unwürdigen Bedingungen. Auch wenn Katar nicht müde wird zu betonten, dass sich die Situation in den vergangenen Jahren stetig gebessert habe, schätzen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International die Situation anders ein. Die Arbeitsbedingungen hätten sich nur auf dem Papier verbessert, manche Besserungen seien sogar wieder zurückgenommen worden.
Darüber hinaus würden Frauen und Homosexuelle weiterhin diskriminiert. Human Rights Watch warnt homosexuelle Fussballfans vor einer Reise nach Katar. Auch das Thema der Religionsfreiheit ist ein heikles. Open Doors listet den Staat auf Platz 18 der Länder mit der stärksten Christenverfolgung. Als kleinere Kritikpunkte erscheinen da das Alkohol-Verbot im Stadion (es gibt nur alkoholfreies Bier) und eine zu erwartende schlechte Stimmung in den Stadien. Katar gilt nicht gerade als Fussballnation. Ausserhalb der Stadien gibt es übrigens dank Lobbyarbeit eines FIFA-Sponsors die Möglichkeit, alkoholische Getränke zu erwerben.
Was sagt die Kirche?
Für einige Firmen oder Fangruppen sind das Fakten, die einen Boykott rechtfertigen. So lehnte es die niederländische Gärtnerei Hendriks Graszoden ab, den Rasen für die Stadien zu liefern. Zum Boykott rufen ebenfalls verschiedene Fussballvereine und Fanvereinigungen wie die christliche «Totale Offensive» in Dortmund auf.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verfolgt da eine andere Strategie. In einer Arbeitshilfe heisst es im gemeinsamen Vorwort vom EKD-Sportbeauftragten Thorsten Latzel und dessen Vorgänger Volker Jung, dass es gut sei, «sich aktiv mit der Situation zu beschäftigen». In der Broschüre finden sich Ideen für Gemeindearbeit, verschiedene Liedvorschläge und Gebete. So wird etwa empfohlen, die Übertragungen gemeinsam zu schauen und in der Halbzeit eine Minute für die beim Bau der Stadien verstorbenen Arbeiter zu schweigen. Zum Boykott ruft die EKD jedoch nicht auf.
Vor Fernseher statt in der Kirche?
In der Vergangenheit kritisierte die EKD vor allem den Termin des Turniers. So erklärte 2021 der damalige Sportbeauftragte Jung gegenüber PRO, dass er sich «Fussball-WM mit Adventskranz neben dem Fernseher» noch immer nicht richtig vorstellen könne. Es gibt die Befürchtung, dass es die Menschen zum Fernseher zieht statt in die Kirchen. Bereits 2015 sagte der damalige EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm, dass er als «einer der vielen christlichen Fussballfreunde» sich «nicht zwischen Advent und WM entscheiden» wollen müsse.
Der Spielplan wird allerdings viele Gemeinden vor genau diese Herausforderung stellen. Etwa wenn sich die Anstosszeit mit einer adventlichen Veranstaltung im Gemeindehaus oder einem Konzert in der Kirche überschneidet. Vor allem Menschen, die nur in der Weihnachtszeit Kirchen besuchen, entscheiden sich in diesem Jahr möglicherweise für Fussball und gegen parallel stattfindende christliche Veranstaltungen.
Herausforderung auch für Medienschaffende
Die WM wird eine besondere sein, so viel steht fest. Herausfordernd wird sie auch für Medienschaffende. Ein Business as usual, also eine fröhlich heitere Berichterstattung über kulturelle Besonderheiten des Gastgeberlandes und ausgelassene Partyszenen, wird es nicht geben – jedenfalls nicht ausschliesslich. Bereits im Vorfeld strahlt die ARD beispielsweise die Serie «Das Netz – Spiel am Abgrund» aus. Darin werden die Schattenseiten der Weltmeisterschaft in Katar thematisiert. Es wird hoffentlich nicht die einzige kritische Auseinandersetzung mit der WM bleiben.
Wie man das Blatt auch dreht und wendet: Die WM in Katar bleibt für den Fussballfan ein Dilemma, denn bei allen genannten Argumenten darf das der Liebe zum Sport nicht vergessen werden. Es liegt schlussendlich an jedem selbst, zu entscheiden, verantwortungsvoll mit der WM in Katar umzugehen.
Dieser Artikel erschien zuerst auf PRO Medienmagazin
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Autor: Johannes Blöcher-Weil / Martin Schlorke
Quelle: PRO Medienmagazin
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