Über Probleme reden
Oft haben wir Schwierigkeiten im Umgang mit Leidenden
In ihren Jahren des Einsatzes in der arabischen Welt wurde Silvia mit Leid konfrontiert. Ohne es geplant zu haben, wurde der Umgang damit für sie zum zentralen Thema und heute hilft sie anderen, mit Krisen und Not umzugehen.
Silvia (43, Nachname der Redaktion bekannt) hat sich nicht nur theologisches Fachwissen zum Thema Leiden angeeignet, sondern auch selbst schon Erfahrungen mit Leid gemacht. Inzwischen konnte sie schon manchen Menschen beratend und begleitend zur Seite stehen. Sie arbeitet in einem Missions- und Hilfswerk und betreut Personen während deren langjährigen Einsätzen. Aufgrund ihres Engagements in der arabischen Welt hält sie ihre Identität in der Öffentlichkeit bedeckt, was auch bei diesem Artikel berücksichtigt wird.
Menschen in leidvollen Situationen helfen
Aufgrund ihrer Erfahrungen und Beobachtungen in Bezug auf Traumata und erfahrene Gewalt, wurde Silvia einmal angefragt, an einer Konferenz zum Thema Leiden zu unterrichten. In diesem Zusammenhang wurde ihr der Wert schwieriger Erfahrungen bewusst, durch welche unser Glaube gestärkt und glaubwürdig wird. So packte sie die Gelegenheit, den Zuhörern zu sagen: «Ja, es tut weh, aber es kann überwunden werden.»
Unter anderem war es diese Unterrichtseinheit, welche Silvia bewog, sich der Theologie des Leidens noch vertiefter anzunehmen und so schrieb sie ihre Masterarbeit bei IGW übers Leiden. Es war eine empirische Studie, in welcher Menschen über ihre leidvollen Erfahrungen befragt wurden (Leiden im Einsatz mit Jesus – ein Privileg?, Silvia Frei, 2018 – IGW). Silvia wollte wissen, wie Menschen Leid und dabei Gott erlebt haben. Sie interessierte sich auch dafür, was den Einzelnen geholfen und wie sie die Unterstützung durch Mitmenschen erlebt haben. Die Ergebnisse dieser Arbeit waren für ihre weitere Beratungstätigkeit hilfreich.
Oft ist es schwierig, dem Leid zu begegnen
Parallel zu ihrem Theologiestudium unterrichtete Silvia vermehrt zum Thema Leid. «Oft war es meine persönliche Geschichte, die das Vertrauen der Zuhörer stärkte, um ihre eigene leidvolle Geschichte zu erzählen.» Je mehr wir uns öffneten, desto freier würde auch das Gegenüber, dasselbe zu tun. Die Wichtigkeit, übers eigene Leiden zu sprechen, wurde ihr zunehmend bewusst. Das sei ein wichtiger Schritt zu einem guten Umgang mit Leid. «Wenn wir jemanden sehen, der leidet, wissen wir oft nicht, wie wir damit umgehen müssen», bedauert Silvia. Wenn aus Unsicherheit geschwiegen oder sogar weggeschaut wird, bleiben Leidende alleine. Es sei normal, dass der Mensch versucht, Leid zu vermeiden. Das dürfe aber nicht dazu führen, dass es verdrängt oder sogar zum Tabu wird.
Eine Kultur schaffen
Schon als junge Erwachsene fühlte sich Silvia von Bibeltexten und Liedern, welche das Leiden behandeln, angesprochen. «Damals habe ich jedoch nie damit gerechnet, jemals mit Verfolgung oder grossem Leid in direkte Berührung zu kommen.» In ihren Einsatzländern geschieht dies aber immer wieder. «Doch auch bei Einsätzen in der arabischen Welt sind nicht Verfolgung oder Unterdrückung der grösste Stress, sondern Schwierigkeiten im Team.» Damit holt sie auch Menschen in der Schweiz ab. Obwohl hier Christen nicht verfolgt werden, kennen wir doch sehr viel Leid und es gilt, diesem zu begegnen.
Die Bibelverse und Lieder übers Leid, welche Silvia in späteren Jahren eine Hilfe waren, hatte sie sich in ruhigen Zeiten angeeignet. Aber nicht nur eine Theologie des Leidens, sondern auch eine Kultur der Offenheit gilt es in ruhigen Zeiten zu schaffen. Hierzu ruft Silvia besonders Pastoren und Gemeindeleiter auf, andere an ihren Schwierigkeiten teilhaben zu lassen. «Ein Gemeindeglied soll spüren können, dass es für seine Probleme Hilfe empfangen kann.» Der häufige Hinweis, dass es zu diesem Zweck Kleingruppen gibt, überzeugt Silvia nicht. Leider herrsche nämlich selbst in kleinen Gruppen längst nicht immer die nötige Offenheit, um tiefere Ebenen des persönlichen Leidens anzusprechen.
Vorbereitung auf Krisen
Im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit führt Silvia regelmässig Schulungen durch, um auf leidvolle Situationen und Krisen vorzubereiten. «Eine gute Vorbereitung geschieht auf drei Ebenen.» Die erste Ebene umfasst die persönliche und theologische Vorbereitung, sowie die Auseinandersetzung mit Gefahren, mit welchen in einem Land gerechnet werden muss. Die zweite Ebene der Vorbereitung betrifft Informationen über die Organisation und deren Abläufe. Die dritte Ebene der Krisenvorbereitung ist Silvia besonders wichtig. Es geht um die Rolle der Gemeinde.
Wie bereitet uns die Gemeinde auf Krisen und Leid vor?
Eine offene und anteilnehmende Gemeinde, in der Menschen eine tragfähige Theologie des Leidens vermittelt erhalten, erachtet Silvia als zentral wichtig. «In manchen Gemeinden wird über Problemen geschwiegen. Ohne gelernt zu haben, übers eigene Leid zu reden, werden wir anderen auch nicht beistehen können.» Man neige dann oft dazu, das Leid zu vergeistlichen und Anteilnahme durch «fromme Sprüche» zu ersetzen. «In leidvollen Momenten nützt das dann aber wenig – auch wenn die Aussagen wahr sind.» Gute Ratschläge kommen oft aus einem Gefühl der Überforderung heraus. «Billiger Rat» kann aber verletzend sein.
«Es ist oft hilfreich, die helfende Tat ins Zentrum zu stellen und nicht das helfende Wort.» Oft genügt die ehrliche Frage nach dem Ergehen des anderen oder das Anbieten von Hilfe. «Wenn ich selbst erlebt habe, von Gott und Menschen getröstet zu werden, kann ich es auch aushalten, mit jemandem unterwegs zu sein, ohne das Problem lösen zu können.» In diesem Sinn sind leidgeprüfte Menschen in der Gemeinde eine grosse Bereicherung.
Zum Thema:
Unterwegs für die Kinderspitex: Betreuung von Familien in Leid und Schmerz
Die Warum-Frage: Gott und das Leiden auf der Welt
Im Leid nicht allein: Von Hoffnung und vom Himmel
Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Livenet
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