Säuglingstaufe

„In Einzelfällen habe ich von der Taufe abgeraten“

Die Säuglingstaufe wird vom Traditionsabbruch getroffen, wenn Eltern ihr Baby zwar zur Kirche bringen, aber nicht christlich erziehen wollen oder können. Wie soll die reformierte Landeskirche damit umgehen? Und wie dem Verlangen von Menschen entsprechen, die als Erwachsene durch Jesus ein neues Leben geschenkt bekommen haben?

Martin Müller, der 37 Jahre als Pfarrer in Kirchberg bei Burgdorf wirkte, hat als Seelsorger Lösungen gesucht. Seine Erfahrungen und Einsichten:

Es geht darum, dass Leute, die zum Glauben kommen, ihren Schritt mit der Taufe bezeugen können. Wir hatten mehrere solche Anfragen in meiner Kirchgemeinde. Schliesslich mochte ich die Leute nicht mehr in eine Freikirche schicken, damit sie dort getauft würden.

Die historischen Zusammenhänge sind mir wichtig. Die Säuglingstaufe wurde allgemein erst eingeführt, als die christliche Kirche Staatskirche wurde. Vorher kam sie vor, aber war nicht allgemein üblich. Kaum war die Kirche Staatskirche, begann sie Bewegungen wie die Donatisten, welche die Säuglingstaufe ablehnten, zu verfolgen. Schon im Jahr 413 bedrohte der Kaiser Wiedertaufe mit der Todesstrafe. Erst vom 5. / 6. Jahrhundert an wurde die Säuglingstaufe das Normale, weil man als Staatsbürger Christ sein musste. Diese Verbindung von Glaubenszwang und Säuglingstaufe in der Staatskirche ist mir sehr fragwürdig geworden.

In der Reformationszeit nahm Zwingli zuerst auch gegen die Säuglingstaufe Stellung. Aber weil die Reformatoren ihr Werk nur mit dem Staat glaubten durchführen zu können, wurde die Erwachsenentaufe abgelehnt und jene verfolgt, die sie vertraten.

Wenn Taufe nur ein Ritual ist…

Ich bin nicht gegen die Säuglingstaufe. Ich habe selbst über 1000 Kinder getauft und das gern getan. Aber mit der Zeit sind mir Zweifel gekommen bei Eltern, die offensichtlich nicht willens sind, ihre Kinder im christlichen Glauben zu erziehen. Sie stehen ihm gleichgültig gegenüber und führen einfach eine Tradition weiter. Ich habe im Taufgespräch jeweils versucht, ihnen den Sinn der Taufe nahe zu bringen.

In einzelnen Fällen habe ich von der Taufe abgeraten - abgelehnt habe ich sie nie. Zweimal zogen sich die Eltern zurück. In einem Fall waren sie, beide Lehrer, mir wohl dankbar, dass auf die Taufe verzichtet wurde - sie hätte nur wegen ihrer Eltern stattgefunden. Im anderen Fall handelte es sich um Chinesen, die sich hier integrieren wollten, aber im Herzen noch Buddhisten waren. Auch sie waren keineswegs enttäuscht, als ich ihnen abriet.

Taufe als Schritt des Gehorsams

In den letzten Jahren sind vier Frauen an mich gelangt mit der Bitte, getauft zu werden. Sie hatten sich z.T. intensiv mit Esoterik beschäftigt. Die vier wünschten die Taufe, als Gehorsamsschritt: Nachdem sie zum lebendigen Glauben an Christus gekommen waren, wollten sie ihn auch mit der Taufe bekennen. Ich unterhielt mich mehrmals mit ihnen und stellte die Frage, wie sie zu ihrer Säuglingstaufe ständen. Sie meinten, sie seien ihren Eltern dankbar dafür; sie hätten es gut gemeint. Doch sahen sie jenes Ritual als Anfang und verlangten nun nach der Taufe im biblischen Sinn. Nach den Gesprächen zog sich eine der vier Frauen zurück - bezeichnenderweise jene, die von den Eltern bewusst christlich erzogen worden war.

Die anderen drei liessen sich in der Folge in der Emme taufen. Ich hatte die Kollegen und den Kirchgemeinderat informiert, aber klar gemacht, dass ich es auf eigene Verantwortung tat. Das wurde akzeptiert, wenn auch nicht gut geheissen.. Die Taufe der drei geschah im zweitletzten Jahr vor meiner Pensionierung. In der Folge wurden keine neuen Anfragen an mich herangetragen.

Visionen statt Besitzstandwahrung

Ich begrüsse das Täuferjahr. Dass die Kirchenleitung es mitträgt, freut mich. Einzelne Anlässe habe ich besucht. Am 29. Juli nehme ich am Gottesdienst in der Ilfishalle in Langnau teil und im Herbst mache ich am Trachselwald Open Air mit. Insgesamt habe ich den Eindruck, dass unserer Kirchenleitung die ökumenischen Beziehungen zu den Katholiken wichtiger sind als jene zu Freikirchen. Ob das Täuferjahr die innerevangelische Ökumene belebt?

Der Synodalrat, die Kirchenleitung, muss sich damit abfinden, dass wir Austritte haben und die Gesellschaft ‚gäng' pluralistischer wird. Kirchenzugehörigkeit ist je länger je mehr ein persönlicher, kein von der Tradition bestimmter Entscheid. Irgendwann werden wir wohl unfreiwillig eine Freikirche. Mit der Säuglingstaufe den Nachwuchs sichern zu wollen, scheint mir nicht verheissungsvoll. Ich wünsche mir für unsere Kirche Visionen für die Zukunft, nicht bloss Besitzstandwahrung .

Link zum Thema:
Openair Trachselwald: www.openair-trachselwald.ch/de/


Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch

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