Mennoniten
„Es ist unsere Aufgabe, uns einzumischen in die Politik“
Im Täuferjahr stehen die Mennoniten im Rampenlicht. Wie gehen sie damit um, was bewirkt es in ihren Gemeinden? Am Rand der internationalen Begegnungstage sprach Livenet mit Paul Gerber, dem Präsident der Schweizer Mennoniten.
Livenet: Die Täuferverfolgung des 16.-18. Jahrhunderts sehen wir heute als grosses Unrecht an. Wie stehen die Mennoniten zur Forderung an den Berner Staat, einen Gedenkstein zu setzen?
Paul Gerber: Die Meinungen unter den Mennoniten gehen auseinander. Die EVP hat im Berner Grossrat in einer Interpellation* das begangene Unrecht zur Sprache gebracht. Eine Täufer-Gedenkstätte und Info-Tafeln an geschichtsträchtigen Orten wurden angeregt. Ich bin dem nicht abgeneigt, aber eine Entschuldigung hat für mich nicht Priorität. Wir leben heute in einem anderen geschichtlichen Zusammenhang. Die staatlichen Autoritäten von heute können nicht Verantwortung übernehmen für das, was damals geschah. Andererseits hätte ich mir, als Regierungsrat Luginbühl an der Eröffnungsfeier des Täuferjahrs sprach, eine pointiertere Sprache gewünscht. Er sprach bloss von einem Unrecht, das nie mehr passieren darf.
Vergessen wir nicht, dass Unrecht nicht nur Täufern angetan wurde, sondern vielen Menschen. Heute noch, bei uns, in der Schweiz, werden Minderheiten schikaniert und diskriminiert. Zu diesen gehören die Mennoniten ganz klar nicht. So meine ich, wir sollten miteinander im Gespräch sein, Kirchen und Politik, und die Aufgabe der Kirche ist es, der Politik zu sagen, was nicht geht. Denn für uns steht der Mensch im Zentrum.
Der Politik gegenüber auftreten könnten die Kirchen besser gemeinsam, Landes- und Freikirchen miteinander. Doch dies geschieht nicht, wie jüngst das reformierte Schweigen zum Antrag von Freikirchen auf staatliche Anerkennung zeigte.
Die Mennoniten im Kanton Bern haben den Antrag, vom Staat eine öffentlich-rechtliche Anerkennung zu erlangen, nicht mitgetragen, im Gegensatz etwa zu den Neutäufern (ETG). Denn wir fühlen uns als Freikirche anerkannt. Wir wollen eine vom Staat unabhängige Kirche sein. So brauchen wir die öffentlich-rechtliche Anerkennung nicht.
Darin sind Sie sich einig?
Ja, wir wollen staatsunabhängig bleiben.
Was auch Distanz zum Staat bedeutet.
Nicht unbedingt. Ich glaube, es ist unsere Aufgabe, uns einzumischen in die Politik. Wir wollen Stellung beziehen zu aktuellen Fragen. In der Minarettdebatte, die vor der Hintergrund der Globalisierung zu sehen ist, sagen wir: Muslime sind als Menschen zu respektieren. Wenn wir sie bei uns aufnehmen, ist ihnen auch Raum zu geben. In den einzelnen Fragen (Baubewilligungen) sind Mennoniten allerdings verschiedener Meinung.
Die Unabhängigkeit vom Staat ist uns wichtig. Sobald sie nicht mehr gewährleistet ist, kann ein Filz entstehen und die nötige Distanz besteht nicht mehr. Dann wird man vielleicht blind und sieht nicht mehr, wie das Evangelium heute zu leben ist. Den Glauben kann man nicht verstaatlichen, auch die Kirche nicht.
Was hat das Täuferjahr ausgelöst, was kann noch geschehen? Was hören Sie in Ihren Gemeinden?
Für ältere Mennoniten ist es ganz wichtig, dass Beziehungen entstehen zwischen ihnen und mit Menschen ausserhalb der Gemeinschaft. Jungen Mitgliedern fehlt oft das Bewusstsein dafür, dass sie Mennoniten sind; sie sehen diese Dinge als unwichtig an, mit dem Verweis, die Hauptsache sei der Glaube an Jesus Christus. Ich würde das unterschreiben. Aber wir sollten auch verstehen, wie wir geworden sind, was wir sind. Geschichte ist mehr als Folklore. So könnte das Täuferjahr dazu führen, dass wir unsere Herkunft wieder besser betrachten. Ich bin in einer Mennonitenfamilie aufgewachsen, doch wir sprachen nie viel darüber. Meine Kinder fragen nun neu nach der Bedeutung der Täufergedenkorte im Emmental.
Manchen Mitgliedern unserer Gemeinden dürften die Events des Täuferjahrs zu viel Raum einnehmen; zu hören ist, wir sollten eher dazu sehen, dass Beziehungen klappen, als dieses Theater aufzuführen. Wir müssen wohl eine Balance finden von persönlichem Ausleben des Glaubens und dem öffentlichen Auftreten als Gemeinden. Das Täuferjahr empfand ich von Beginn weg als Versuchung, zu zeigen, was wir sind. Ich würde sagen, wir sind eine gewöhnliche Freikirche mit einer besonderen Geschichte. Entscheidend ist, ob wir von dieser Geschichte etwas umsetzen können – heute, hier und jetzt. Nicht weil wir es besser wissen, aber ja: aufgrund unserer Vergangenheit. Und das Evangelium umsetzen als Christen, die zu einem weltweiten Netz gehören.
Es gibt immer Gemeinschaften, die sich gegen eine Öffnung wehren. Aber wir kommen nicht darum herum. Wir können für die so genannten Nicht-Christen nur dann ein Zeugnis sein, wenn wir mit Christen anderen Kirchen zeigen, dass wir denselben Gott haben und die gleiche Liebe. Wenn wir es nicht schaffen, das miteinander zu leben, haben wir der Welt schlicht nichts zu sagen. Dann wird Mission lächerlich. Darum beeindrucken mich die Täufer. Wir haben sehr verschiedene politische Ansichten, unsere Leute engagieren sich politisch im gesamten Parteienspektrum von der EDU bis zu den Grünen. Wenn wir es schaffen, miteinander unterwegs zu sein, sind wir ein Zeugnis.
Ist es eine Gefahr des Täuferjahrs, dass man das Täufertum stilisiert?
Ja. Mir bereiten zum Beispiel jene Bilder in den Zeitungen Mühe, die lachende Schweizer oder Amerikaner in einem Täuferloch zeigen. Mit derartigem Tourismus kann ich nicht viel anfangen. Es stört mich, wenn an gewissen Stätten der eigene Name eingeritzt wird. Gestern abend in Tramelan, als wir mit Gästen aus Übersee das Lied des Täufermärtyrers Haslibacher bewegten, bemerkten der reformierte Pfarrer und Täuferforscher Hans Rudolf Lavater, evangelische Christen hätten Mühe mit katholischen Heiligtümern. Und stellte die Frage, ob wir nicht auch solche heilige Stätten schaffen, gewisse Orte, Verstecke zum Beispiel. Wir müssen aufpassen, gerade mit den weither gereisten Amerikanern und ihren Kameras.
Im Rahmen des Täuferjahrs gibt es mehrere Treffen der Mennoniten mit dem Synodalrat, der Leitung der Berner Reformierten. Was erwarten Sie davon?
Mehr Verständnis füreinander. Ich freue mich darüber. Andererseits schätze ich, wenn wir ehrlich und in aller Liebe sagen, dass wir dies und das anders sehen. Man läuft manchmal Gefahr, es allen recht machen zu wollen.
Paul Gerber, Bauer in Le Bémont in den Freibergen, ist seit Herbst 2004 Präsident der Konferenz der Mennoniten der Schweiz, welche die 14 Gemeinden im Dreieck Basel – Emmental – Jura verbindet.
Website der Mennoniten in der Schweiz
Autor: Peter Schmid
Quelle: Livenet.ch
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