Der «Bibelcode»
Finden, wo es nichts zu finden gibt
Der «Bibelcode» verschlüsselt angeblich eine Reihe von Prophezeiungen, die im hebräischen Originaltext der Thora – in weiten Teilen identisch mit dem Alten Testaments – enthalten sein sollen. Gibt es in der Bibel tatsächlich codierte Botschaften?
Die Diskussion um verschlüsselte Botschaften und versteckte Bedeutungen in den heiligen Schriften hat in der jüdischen Mystik eine lange Tradition. Die Bibel enthalte nicht nur geheimnisvolle Zahlen, sondern auch verborgene Wörter mit Botschaften des Schöpfers. Davon jedenfalls sind die Anhänger der Kabbala-Lehre überzeugt.
Gegenargumente
Mit einer ähnlichen Methode suchte der Journalist Michael Drosnin nach geheimen Botschaften in der Thora und stiess «auf immer neue Botschaften». Der amerikanische Jude, der nach eigener Aussage nicht an Gott glaubt, suchte mittels Computer. Er durchkämmte damit die heiligen Texte und veröffentlichte seine Ergebnisse in zwei Mega-Bestsellern: «Der Bibel Code» und «Bibel Code II. Der Countdown». Da taucht schon ein erster Widerspruch auf: Wie kann ich an versteckte Botschaften in der Bibel glauben, wenn ich den normalen Inhalt ablehne? Drosin bringt das aber offensichtlich auf die Reihe.
Ein weiterer Einwand tauchte auf: Dem australischen Mathematiker Brendan McKay gelang es mit Drosnins Methode, vergleichbare «Prophezeiungen» im Text von Herman Melvilles Roman «Moby Dick» aufzuspüren. Die Ermordung von Indira Ghandi, Martin Luther King und den Unfall von Lady Diana beispielsweise. Das zeigt, dass diese Methode auch beliebig mit anderen Büchern angewendet werden kann. Drosnin selbst gibt sich überzeugt, dass der Bibelcode tatsächlich nur in der Bibel funktioniere. Seine Methode ist von der Vorgehensweise her aber eine beliebige Buchstabenspielerei. Vermeintliche Codes lassen sich in nahezu jedem Text finden. Man muss nur lange genug danach suchen.
Per «Code» lasse sich der Dritte Weltkrieg im Jahr 2112 ausmachen, schreibt Drosnin, der im Übrigen auch schon das Versagen des Codes miterleben musste. Das Code-Programm entschlüsselte nämlich, dass in den Nachtstunden des 6. Mai 1996 Libyen einen Atomangriff gegen Israel starten würde. Daraus wurde nichts. Es ist bestimmt einfacher, «vergangene Prophezeiungen» erst nachträglich in der Bibel zu «entdecken».
Nicht ernsthaft
Der Informatiker und Kryptografie-Experten Klaus Schmeh ist Autor verschiedener Publikationen über Codes und zudem Mitglied in der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP), der grössten und ältesten Skeptiker-Organisation im deutschsprachigen Raum.
Schmeh sagt: «Bibel- und Statistik-Experten haben für den Bibel-Code kaum etwas übrig. Doch so mancher Laie liess sich leider davon überzeugen. Geheime Codes üben auf viele Menschen eine grosse Faszination aus – auf mich übrigens auch. Der Gedanke, dass ausgerechnet das Buch der Bücher einen wissenschaftlich nicht fassbaren Code enthält, scheint wohl besonders attraktiv zu sein.»
Die Fachwelt jedenfalls hat Drosnins These und seine Prophezeiungen widerlegt. Ist damit der «Bibel-Code» vom Tisch? Vermutlich nicht. Drosnins Code-Spielereien kamen bei Millionen Lesern glänzend an.
Zum Thema:
Der Publizist und Leiter der grössten Bibelausstellung Europas, Alexander Schick, hat zusammen mit dem Qumranwissenschaftler Uwe Gleßmer ein Buch veröffentlicht, in dem alle Spekulationen um den «Bibelcode» detailliert und fachkundig widerlegt werden. «Auf der Suche nach der Urbibel – Die Schriftrollen vom Toten Meer, das Alte Testament und der geheime Bibelcode.»
Webseite
Klaus Schmeh ist Autor des Telepolis-Buchs: «Versteckte Botschaften», die faszinierende Geschichte der Steganografie, in dem auch der Bibel-Code eine Rolle spielt. Klaus Schmeh ist ausserdem auch Autor des Buchs «Codeknacker gegen Codemacher», Die faszinierende Geschichte der Verschlüsselung.
Webseite
Autor: Bruno Graber
Quelle: GWUP/factum/Telepolis/Livenet
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