Das Schlimmste wird wahr
Wenn das eigene Kind stirbt
Etwas Schlimmeres, als ein Kind zu verlieren, können sich viele Menschen nicht vorstellen. Höchstens, wenn man seinen Tod selbst verschuldet hat. Genau das ist dem Musiker Arne Kopfermann passiert.
Die Familie Kopfermann will am letzten Sommertag 2014 einen Freizeitpark besuchen. Besonders die zehnjährige Sara freut sich darauf, auch wenn das Wetter nicht so toll ist. «Komm noch ein bisschen zu mir ins Bett», bittet sie ihre Mama. Die beiden kuscheln noch eine Weile, bevor sie aufstehen. Später steigen ihr Bruder Tim und sie zu den Eltern ins Auto und die Famiilie fährt los.
Als Arne auf eine Vorfahrtstrasse abbiegt, blendet ihn die Sonne. Er übersieht ein Taxi, das ihnen entgegenkommt, die beiden Autos prallen ineinander. Sara wird schwer verletzt ins Krankenhaus gefahren, wo sie zehn Tage im Koma liegt. «Ich glaube, Sara war sofort tot», hält ihr Vater fest. «Aber wir hatten so noch Zeit, uns von ihr zu verabschieden.» In Interviews, unter anderem beim Talk mit Ruedi Josuran im «Fenster zum Sonntag», erzählt der 47-Jährige von seinem Erleben. «Ich habe mich entschieden, meiner Trauer in die Augen zu sehen und sie nicht zu unterdrücken», sagt der Autor und Songwriter.
Nichts bleibt wie es war
«Wenn Sara jetzt stirbt, dann ist mein Leben, wie ich es kannte, vorbei. Dann zerbricht meine Familie und meine Ehe. Dann ist nichts mehr wie vorher. Ich bin ja schliesslich das Auto gefahren.» Das erkennt Arne Kopfermann auf dem Weg von der Unfallstelle ins Krankenhaus. Trauer und Schuldgefühle sind heftig. Später nimmt er während zweier Jahre professionelle Hilfe in Anspruch. Der Traumatherapeut erklärt ihm, dass juristische und moralische Schuldzuweisung nicht das gleiche bedeuten. «Das war sehr wichtig für mich», erinnert sich Arne.
Obwohl er juristisch nicht belangt wird, sagen seine Gefühle lang etwas anderes. Dass Jesus jede Schuld vergibt, ist ihm eine grosse Hilfe. Er nimmt dieses Angebot dankbar an. Und es dauert ebenfalls eine Weile, anzunehmen, dass Trauer verschiedene Formen zeigt und der Prozess immer wieder aufbricht. Seine Frau und er stehen nie am gleichen Ort, sie reagieren unterschiedlich auf den Verlust. «Vier von fünf Ehen in Deutschland zerbrechen, wenn ein Kind stirbt», weiss er heute. «Darauf bereitet einen niemand vor.»
Weitermachen
«Das erste Weihnachten ist entsetzlich!», gesteht Arne. Tim leidet, die Ehe hängt an einem seidenen Faden. Arne möchte Freunde und Beter informieren, seine Frau ist strikt dagegen, die sozialen Medien zu nutzen. «Es ist extrem fatal, so eine Krise allein überstehen zu wollen», findet er. Arne gibt bald wieder Konzerte, er verarbeitet seine Not, indem er darüber spricht. Er textet Lieder, die von diesem Bruch reden. «Ich bin mir sicher, dass es Sara gut geht», sagt er. Beweisen könne er diese Gewissheit nicht, aber für ihn sei das sicher. Er hat seinen Glauben nicht verloren auf diesem schmerzhaften Weg. «Das ist ein Geheimnis», hält er fest. «Es gelingt nicht allen – wir müssen den Menschen hier mit Barmherzigkeit begegnen.»
«Wir werden immer mit dieser Lücke leben müssen», hält Kopfermann fest. Das veränderte auch ihre Beziehung zu Gott. «Menschen suchen immer die schnelle Lösung, auch bei Gott.» Doch das funktioniere nicht. Es gebe kein Rezept, wie man mit Trauer und Verlust umzugehen hat. «Gott ist uns manchmal verborgen», gesteht Arne. «Wir wollen ihn auf unser Niveau herunterholen, doch das geht nicht.»
Ostersamstag bedeutet Gottesferne
Er nennt Jesus als Beispiel dafür, gut mit Menschen umzugehen. Die Bibel zeige ihn als den, der immer den anderen Weg wählte. «Er richtete auf, wusch Füsse, half den Menschen.» Und er habe den Mut gehabt, am Ende seines Lebens in die totale Gottesferne zu gehen. «In Jesus kommt mir etwas entgegen, das ich unglaublich faszinierend finde,» betont Kopfermann.
Ostern und Karfreitag wurden gefeiert, der Ostersamstag einfach übergangen. «Doch Jesus blieb dort, in dem verdammten Grab – genau dort, wo Gott nicht zu sein hat: in der totalen Gottesferne. Da half ihm nichts mehr!» Dass Jesus dort aushielt, bedeutet für Arne, dass Jesus überall dabei ist, dass er vor nichts Halt macht. «Wenn mich eines hält im Glauben, ist es dieser Gott, der vor nichts Halt macht um meinetwillen und dessen Motivation immer Liebe ist, weil er die reine Liebe ist», hält er fest.
Wo war Gott?
«Wo war Gott, als deine Tochter starb?», fragt Josuran zum Schluss. «Ich konnte ihn in dem Moment nur in kleinen Teilen sehen», antwortet Arne. «Aber ich akzeptiere den Fakt, dass Gott tiefer am Werk ist, als ich sehen kann.» Ein Wissen von Anvertrautsein bleibe, das sei ein Schatz, den er gefunden habe. «Ich trage beides in mir – den Kämpfer, der nicht aufgibt, und den Zerbrechlichen, der merkt, dass er die Lücke und den Schmerz in seinem Leben willkommen heissen muss.»
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Autor: Mirjam Fisch-Köhler
Quelle: Livenet
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