Trauma im Kleinkindalter
Sexueller Missbrauch – und Gottes Antwort darauf
Daniel Wunderli ist verheiratet, Vater von drei Teenagern und Pastor der FEG Emmen. Hinter dem gut geordneten Leben versteckten sich jahrelang dunkle Schatten. Doch dann griff Gott ein.
Die ganze Kindheit über träumte Daniel Wunderli (45) immer wieder den gleichen Angsttraum. «Ich war alleine und ein übermächtiges graues Etwas kam auf mich zu. Es war etwas Bedrohendes, Undefinierbares.» Im Traum sah er sich diesem Etwas wehrlos ausgeliefert und verfiel in Schockstarre. Schliesslich erwachte er und merkte, dass er überlebt hatte. Als Teenager erlebte er die Träume verstärkt ohne zu wissen, weshalb.Das Interesse eines Psychiaters geweckt
Daniel war vierzehn Jahre alt, als seine Mutter verstarb. «Für mich fiel eine Welt zusammen.» Eine schwere Depression war die Folge. «In dieser Zeit war ich in Behandlung bei einem guten, gläubigen Psychiater.» Dieser interessierte sich nicht nur für den Verlust und die Jugenddepression, sondern auch für die Angsträume. «Er glaubte, dass es eine Ursache haben muss, wenn jemand über Jahre von demselben Alptraum verfolgt wird.» Der Psychiater stellte konkrete Fragen in Bezug auf Begebenheiten in früher Kindheit, schien die Ursache aber nicht klar zu erkennen.
Dann tauchte ein früheres Kindermädchen bei Daniel zu Hause auf. «An das Kinderhüten kann ich mich nicht erinnern, ich war damals erst zwei oder drei Jahre alt.» Er weiss aber, dass die Frau in den darauf folgenden Jahren noch ein paarmal vorbeikam und dass er, als kleiner Junge, ihr gegenüber eine seltsame Abneigung empfand.
Bei diesem späteren Besuch machte sie ein paar Bemerkungen über die frühere Zeit, wie sie sich sexuell distanzlos zu Daniel verhielt. Ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. Das war die Antwort auf die Fragen des Psychiaters. Er war froh, als sie wieder ging. Sie tauchte nie wieder auf. «Ich weiss nicht, was sie alles mit mir gemacht hat. Aber es war sexueller Missbrauch. Ich für mich spreche von Vergewaltigung!», konstatiert Daniel im Nachhinein.
Ein Durchbruch, aber nicht das Ende der Geschichte
«Ich bin sehr froh für die damalige Begegnung mit der Frau. So bekam das graue, bedrohliche Etwas ein Gesicht.» Er sprach mit dem Psychiater darüber und die Angstträume verschwanden. «Ich dachte, das Thema sei überwunden. Doch so war es nicht.»Von 1998 bis 2003 absolvierte Daniel ein Theologiestudium. Dort reagierte er extrem negativ auf eine Hauswirtschafterin, unter der er zuweilen arbeiten musste. «Meine Reaktionen waren so übertrieben und irrational, dass ich mich fragte, was mit mir los sei.» Er stellte fest, wie ihre (eigentlich gesunde) Autorität bei ihm Angst auslöste. «Ich fühlte mich der Frau wehrlos ausgeliefert.» Mit diesem altbekannten Gefühl ging er wieder in die Seelsorge.
Ein Hass auf Frauen
«In jener Zeit hatte ich hin und wieder einen unbeschreiblichen Hass auf Frauen, gepaart mit dem Drang, mich an ihnen zu rächen. Ich erschrak selbst über mich.» Wenn zum Beispiel Kriegsverbrechen begangen werden und dieser Hass bei uns auf Unverständnis trifft, erinnert sich Daniel: «Ich kenne diesen Hass. In diesen Abgrund meines Herzens habe ich auch geblickt!» Nur: Dieses Hass-Pflänzchen wurde nie genährt. Es blieb bei flüchtigen Gedanken, die Gnade Gottes war stärker.
Eine grosse Hilfe waren Frauen in Daniels Umfeld, die ihm Wertschätzung und Vertrauen entgegenbrachten und ihn mit «sauberen Augen» ansahen. «Diese Frauen waren sich kaum bewusst, welch heilenden Einfluss sie auf mich hatten.» Der Hass wich einer grossen Dankbarkeit für das weibliche Geschlecht. Erneut glaubte Daniel, dieses dunkle Kapitel in seinem Leben abschliessen zu können. Doch Gott hielt noch weitere Heilung für ihn bereit.
Die tiefsten Sehnsüchte gestillt
Im Gespräch mit einem promovierten Pädagogen kam Daniel auf die Angstträume seiner Kindheit und die Schockstarre zu sprechen. «Schockstarre ist keine gute Reaktion auf Gefahr», hat er aus diesem Gespräch gelernt. Auf dieses Thema sensibilisiert, sah sich Daniel kurze Zeit später einen Film an. Der Hauptdarsteller geriet in Gefangenschaft und sollte von einer Frau gefoltert werden. Ein wehrloser Mann, eine böse Frau – ein bekanntes Muster für Daniel. Innerlich geriet er reflexartig in Schockstarre.
Doch dann kam im Film die unerwartete Wende, durch welche Gott zu ihm sprach: Die Frau verteidigte plötzlich den Hauptprotagonisten. Daniel durchfuhr es: «Das Kindermädchen hätte mich beschützen sollen! Stattdessen hat sie meine Wehrlosigkeit ausgenutzt.» Gleichzeitig erkannte Daniel: «Jene Frau mag versagt haben, Gott aber versagt darin nicht!» Ganz tief fühlte er sich von Gott berührt und eine tiefe Sehnsucht wurde gestillt.
Durch diese «Film-Erfahrung» erfuhr Daniel erneut Heilung. Zu seinem Erstaunen äusserte sich diese Heilung darin, dass sich sein Essverhalten veränderte. Bisher versuchte er manchmal zwanghaft, einen für ihn unerklärlichen Schmerz in seiner Seele mit Schokolade zu stillen. Nun war dieser Schmerz plötzlich weg. Daniel ist zutiefst in seinem Innern zur Ruhe gekommen.
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Autor: Markus Richner-Mai
Quelle: Jesus.ch
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