Ein Jahr Papst Franziskus
Er war auf dem Titel des «Rolling Stone»-Magazins
Jetzt ist Papst Franziskus ein Jahr im Amt. Seit dem 13. März 2013 bewegt er wie kaum einer seiner Vorgänger. Sein Bekenntnis zu Schlichtheit und sein Einsatz für die Armen sorgen dafür, dass sich viele Menschen wieder vermehrt mit kirchlichen Themen beschäftigen.
Die Popularität brachte den Argentinier auf die Titelseite des Popkultur-Magazins «Rolling Stone». Wir sprachen mit Niklas Raggenbass, Stadtpfarrer von Solothurn, über Franziskus und was von seinem Wirken in den Pfarreien zu spüren ist.Niklas Raggenbass, was ist an Papst Franziskus dran, dass er auf dem Titelbild der Musikzeitschrift «The Rolling Stone» abgebildet ist?
Niklas Raggenbass: Er hat eine grosse Ausstrahlung. Oder statt Ausstrahlung kann man auch von einem «Klang» sprechen, man sagt ja: «C’est le ton qui fait la musique» («Der Ton macht die Musik»), man kann etwas herzlos spielen oder man kann etwas singen und vielleicht nicht mal richtig deutsch, doch es bewegt die Leute, macht Freude und erfüllt Hoffnungen.
Mit seinem Namen setzte er auch das Programm. Franziskus war der Mann der Armen, er tröstete viele und gab Hoffnung. Der Papst wollte damit viele ansprechen. Man wusste noch nicht viel von ihm, spürte aber, dass er bewegen kann. Allein sein schlichtes «Buono sera» bei seinem Amtsantritt begeisterte.
Wundert es Sie, dass er auf der Titelseite des «Rolling Stone» war?Das wundert mich gar nicht, er erzählt selbst oft über Musik, zum Beispiel Mozart, Beethoven und Wagner oder Puccini. Ihn berührt, dass Christus Mensch geworden ist. Ihn beschäftigt die Hoffnung und wie er die Hoffnung weitergeben kann. Das kann er dann, wenn er zuhört, und schaut, wo die Leute sind und wo sie getroffen sind. Er will Wunden der Menschen mit Nähe heilen. Er ist da für die Menschen, alles andere kommt nachher.
Wie äussert sich das?
Mit den Schuhen die er trägt, dass er nicht in der grossen Wohnung lebt, dass er Muslimen im Gefängnis die Füsse wäscht am hohen Donnerstag, dass er nach Lampedusa geht zu den Flüchtlingen – all das sind riesige Signale, die auch mir Mut machen. Es führt dazu, den Glutkern des Christentums noch mal neu anzuschauen. Er ruft auch auf, kreativ zu werden.
Der Papst kurbelt das mit einer Geschwindigkeit an, die alle überrascht. Der Papst erwartet von uns Priestern, dass wir auf die Armen hören. Dass wir eine arme Kirche für die Armen sind und bei vielem überlegen, ob es nötig ist. Es stimme ihn traurig, wenn ein Pfarrer mit einem neuen Auto oder dem neusten Handy daherkommt.
Der Papst ist jetzt ein Jahr im Amt, wie fällt die Bilanz aus?
Erstaunlich viel ist gegangen, seit der Papst vom Balkon über dem St. Petersplatz schlicht und einfach sagte: «Buona Sera». Er sagte auch: «Segnet mich, bevor ich euch segne!» In seinen ersten Worten ging es auch darum, wie man aus der um sich selbst drehenden Kirche ausbrechen kann. Auch – und das ist sehr unbequem – wie können wir eine arme Kirche werden?
Es geht um den Menschen, gleich ob er gebrochen ist und vielleicht im Gefängnis sitzt, ob er eine andere Religion hat, ganz egal, er ist ein Mensch in seiner Würde. Das sagt er immer wieder. Da hat er in seinen ersten Monaten schon sehr viel erreicht.
Was ist anders?
Er arbeitet im Team. Er ruft die Bischöfe zusammen und fertigt sie nicht einzeln ab, damit auch die einzelnen spüren, was es heisst, in einem Team etwas gemeinsam zu verändern. In seinem Herkunftsland arbeitete er auch so. Auch damals hatte er die Armen im Fokus. Da erhielt er auch den Namen «Anwalt der Armen». Den Titel kann man sich nicht selbst geben, das musste aus dem Volk heraus kommen.
Er macht ernst, fährt einen Occasionswagen, geht zu Fuss und sitzt im Tram. Von einem seiner Mitarbeiter hörte ich, dass er plötzlich dasteht und etwas ganz einfaches fragt, zum Beispiel ob man mit ihm einen Kaffee trinken kommt oder ob man ihm dieses oder jenes nachschauen kann. Oder er telefoniert mit jemandem oder schreibt etwas von Hand: «Das war gut, was du gemacht hast.»
Was bewegt er?
Man sieht, dass eine Einzelperson viel bewegen kann. Auch grosses. Das muss nicht heissen, dass die ganze Welt verändert wird. Gross kann schon sein, wenn jemand, der am Boden liegt, sich wieder aufrichten kann. Jemand, der alles verloren hat, jemand, der keine Chance mehr sieht, der plötzlich sagt: «Doch, ich mache wieder Schritte.»
Ich merke sehr viel, zum Beispiel unter uns verschiedenen Konfessionen. Wir haben einen runden Tisch, der Wegeso heisst (Anm. d. Red. «Weggemeinschaft Solothurn»), da sind auch die Heilsarmee dabei, Forum G, EMK, Reformierte und Christkatholiken. Ich merkte, dass der Papst die Mitchristen hoffen lässt, dass wir noch enger zusammenarbeiten können. Auch das jetzige Miteinander ist eine Besonderheit.
Ich spüre die Neuausrichtung in Solothurn, nicht nur in der Stadt, sondern auch in den Dörfern von Grenchen bis Olten. Es ist fast bei jedem Gottesdienst und Gespräch zu spüren.
Wie äussert sich dieser Aufbruch und das Bekenntnis zur armen Kirche bei Ihnen?
Aufbruch heisst auch umdenken. Und im Alltag zu fragen: Wo bin ich heute arm geworden für die Armen? Beim Einrichten meines neuen Büros waren noch mehrere tausend Franken übrig, wir hatten nicht alles Geld gebraucht. Und so dachte ich zunächst, einen schönen Teppich einzukaufen. Der Teppich wurde auch ins Büro hineingelegt. Er sah herrlich aus. Doch als ich eine Nacht darüber geschlafen hatte, dachte ich, dass ich das nicht tun kann, dass das kein gutes Zeichen wäre und ich liess ihn wieder abholen.
Auch auf ein neues Messgewand verzichtete ich, auch wenn der Kauf gut zu begründen gewesen wäre. Das bisherige Gewand ist auch schön, dachte ich mir – vorher wäre das wohl anders gewesen.
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Autor: Daniel Gerber
Quelle: Livenet
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