Trotzdem wertvoll
«Resilienz ist eine Reise zu sich selbst»
Mit seinen Kunden macht er Überlebenstrainings in der Wildnis. Jetzt verrät der Coach und Autor Marcel Hager, was es braucht, um sich nach Niederlagen wieder aufzurappeln.
Marcel Hager, welche Schlappe haben Sie zuletzt
eingesteckt?
Von aussen sieht es so aus, als würde es in meinem Leben
aufwärts gehen. Ich erlebe jedoch innere Krisen – immer wieder. Zum Beispiel
plagten mich Existenzängste, als ich den Schritt in die Selbstständigkeit
wagte.
Wie finden Sie aus Krisen heraus?
Die Ermutigung meiner Frau hilft mir. Und ich verbringe
viele Stunden allein im Wald oder beim Joggen. Hier reflektiere ich
Entscheidungen, tanke neue Energie und spreche mit Gott.
Der Titel eines Buchs, das Sie geschrieben haben, lautet:
«Mann unrasiert – wild, echt und berufen». Sind Sie der Held, der sich
durchkämpft, bis das Gute siegt?
Nein, ich bin nicht «tough» und abgebrüht. Der Buchtitel ist
überspitzt formuliert. Er soll betonen, dass wir «ungeschminkt» sein sollen.
Als Mann muss ich nicht stark sein, aber echt. Ich will ehrlich zu mir und
meinem Umfeld sein.
Wie definieren Sie Erfolg?
Erfolg heisst, ein Ja zu meiner Persönlichkeit zu finden.
Meine Stärken und Schwächen zu bejahen, entspannt. Leider definieren wir Erfolg
meist über unsere Taten. Tritt jemand auf der Karriereleiter zurück, taxieren
wir das als Misserfolg. Dahinter steckt die Lüge: Ich bin nur wertvoll, wenn
ich erfolgreich bin. Doch mit steigendem Einfluss werden unsere Beziehungen
nicht besser, sondern oberflächlicher. Sobald Verantwortungsträger ihre Rolle
verlieren, brechen viele Beziehungen weg.
Einst entdeckte ein Forscher Penizillin, weil er aus
Versehen seine Bakterienkultur verschimmeln liess. Können auch wir Pannen Gutes
abgewinnen?
Ja, wenn wir bereit sind, genau hinzugucken und uns zu
hinterfragen. Durch Niederlagen können wir wichtige Dinge lernen. In diesem
Sinn steht in der Bibel: «Alle Dinge dienen denen zum Besten, die Gott lieben...».
Die Widerstandskraft, Resilienz genannt, ist in der
Wirtschaftswelt ein Zauberwort. Kann man sie trainieren?
Dazu kursieren unzählige Ratschläge. Viele denken, man könne
seine Resilienz durch ein Mentaltraining verbessern. Aber es ist ein Irrtum, zu
glauben, dass die Widerstandsfähigkeit wächst, wenn man auf Druck mit
Gegendruck reagiert. Denn steigt der Druck an, folgt irgendwann die
Erschöpfung. Resilienz erfordert nicht mehr Kraft, sondern die Fähigkeit zur
Reflexion. Letztlich hat sie wenig mit der Arbeit, aber viel mit Erwartungen
und Beziehungen zu tun. Was erwarte ich von mir und was erwarten die anderen?
Stress resultiert aus falschen Erwartungen, aus Beziehungskonflikten. Ich muss
etwas erledigen, das nicht meinen Ressourcen entspricht. Habe ich den Mut,
einem Chef gegenüber «nein» zu sagen? Dazu ist der Dialog mit mir selbst
wichtig – und jener mit meinem Umfeld.
Und gelingt der Dialog nicht, droht das Burn-out?
Wenn ich mich abrackere, um immer allen subjektiv
empfundenen Erwartungen gerecht zu werden, kann das zu Symptomen führen:
Angstzustände, Schlaflosigkeit, Wut, Krankheit – bis hin zum Burn-out. Viele
Menschen bekommen Bauchweh oder Migräne, wenn sie unter Druck geraten. Es ist
dann einfacher, die Krankheit als Ausrede vorzuschieben, um kürzerzutreten, als
das Problem bei der Wurzel zu packen. Letzteres würde bedeuten, sich von der
Opferrolle zu befreien, seinen Ängsten auf die Spur zu kommen – und Konflikte
zu klären. Resilienz ist eine Entdeckungsreise zu sich selbst.
Was sagen Sie einer Person, die aufgrund eines
Schicksalsschlags am Boden ist?
Wenn ein Mensch an einem Tiefpunkt angelangt ist, braucht er
es umso mehr, dass man ihn wertschätzt, ihm Respekt zollt und Liebe zuspricht.
«All you need is love»?
Ja. Wir Menschen sind für die Gemeinschaft geschaffen. Und
so unterschiedliche Aufgaben wir erfüllen, wir sind genau gleich viel wert.
Als gläubiger Mensch haben Sie leicht reden!?
Auch wer nicht an Gott glaubt, kann ein Ja zu seiner
Persönlichkeit entwickeln. Er muss nicht Höchstleistungen erbringen, um von
aussen zu hören, wer er ist. Ein Misserfolg, bei dem ich bei mir bleibe, ist
ein Erfolg.
Zur Person: Marcel Hager machte sich mit 30 Jahren als Coach selbstständig, gründete die Männerbewegung «4M Schweiz» und übernahm kürzlich Coachingplus GmbH. Die Firma bietet einen Studiengang für angewandtes Coaching an. Hager ist verheiratet und Vater von drei Kindern.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Pfingstausgabe von «viertelstunde für den glauben».
Zum Thema:
Livenet-Serie «Mutig & frei»: Beraterin Susanna Aerne: «Mut hat auch mit Scheitern zu tun»
Der entscheidende Faktor: Resilienz – mehr als ein Modewort?
Versagen und Niederlagen: Das Geheimnis des Neuanfangs
Autor: Stephan Lehmann-Maldonado
Quelle: Viertelstunde für den Glauben
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