Massiver Widerstand
Netflix-Serie zeichnet übles Bild von evangelikalen Christen
Die argentinische Netflix-Serie «Dein Reich komme» ist ein komplexer Polit-Thriller, der im Milieu einer evangelikalen Megachurch spielt. Dabei kommen die Christen mehr als schlecht weg: Sie haben nur Macht und Geld im Sinn.
Die Netflix-Serie «El Reino» zeichnet ein abschreckendes Bild von evangelikalen Christen in Argentinien. Der Polit-Thriller, der unter dem Titel «Dein Reich komme» seit Kurzem bei Netflix auch in Deutschland läuft, hat eine Altersfreigabe ab 16 Jahren. Die Serie ist mitunter brutal, ja, aber hauptsächlich ist es die evangelikale Megachurch, die hier abschreckt.
Mord, Verwirrspiel, Macht und Geld
Eigentlich will der Politiker Armando Badajoz Präsident Argentiniens werden. Da dies kaum noch ohne die Unterstützung der Evangelikalen geht, sucht er die Nähe zu einer Megachurch, deren Pastor ebenfalls Ambitionen auf höchste Ämter hat: Pastor Emilio Vázquez Peno soll den Posten als Badajoz' Vizepräsident bekommen. Bei einer christlichen Grossveranstaltung, die einem Pop-Konzert ähnelt, sollen die beiden neuen Retter Argentiniens präsentiert werden. Doch leider kommt es zu einem tragischen Zwischenfall: Präsidentschaftskandidat Badajoz wird auf offener Bühne erstochen. Ist der Täter wahnsinnig? Oder Christ? Oder beides?
Es stellt sich heraus, dass der Mörder eigentlich den Pastor treffen wollte. Es beginnt ein Verwirrspiel, in das die Staatsanwältin Licht bringen will. Sie muss sich dabei auch erst einmal mit den Gepflogenheiten der Evangelikalen vertraut machen («Haben die Evangelikalen einen Papst?»). Der Pastor (gespielt von Diego Peretti), der in seiner Rolle ein bisschen an Al Pacino als Mafiaboss erinnert, begegnet den Ermittlern, aber eigentlich allen um sich herum, jähzornig, unfreundlich und fanatisch. Schnell wird klar: Dem Geistlichen geht es um die grosse Show, um Macht und ums Geld.
Der Teufel sitzt in der Politik
Der Mörder selbst gehört zu Emilios «Kirche des Lichts», ist aber geistig – oder auch geistlich – verwirrt, was hier nur bedeutet, dass er es schlichtweg noch ein bisschen mehr ist als all die anderen Kirchenmitglieder. Er arbeitet – ausgerechnet! – im Kinderheim der Kirche. Die anderen Kirchenangehörigen sind entweder schmierig-machtbesessen oder wahnsinnig. Im Verlauf der acht Folgen von «Dein Reich komme» geht es um die Frage, wer eigentlich hinter dem Mord steckt, wer der Auftraggeber ist. Dabei treten immer mehr dunkle Machenschaften der «Kirche des Lichts» zutage.
Die Christen sehen in dem verhinderten Mord an ihrem Pastor ein Zeichen Gottes. Und er selbst sieht eine grosse Chance: Ein Präsidentschaftskandidat, den Gott vor dem Tod gerettet hat, kann für die fromme Wählerschaft nur der Richtige sein. Besonders Emilios Frau zeigt sich als fanatisch machtbesessen, sie ermutigt ihren Mann, nun erst recht das höchste Amt des Landes anzustreben. «Jesus hat dich unsterblich gemacht», sagt sie mit einem geradezu teuflischen Ausdruck im Gesicht. «Etwas Besseres kann man sich als Kirche nicht wünschen.»
Inhaltlich steht die Kirche genau da, wo man dem Klischee zufolge eine evangelikale Megachurch verorten würde. In einer Predigt schreit Pastor Emilio seine Gemeinde an: «Wo hat sich Satan eingenistet? In der Gender-Ideologie! In jenen, die unseren Kindern Masturbation und Homosexualität beibringen wollen.» Für alle steht fest: «Der Teufel nistet in der Politik!», und der einzige, der dort den vermeintlichen Teufel austreiben kann, ist der Megachurch-Pastor. Dabei ist die Kirche selbst verstrickt in kriminelle Machenschaften, sie hortet Schwarzgeld, und das, natürlich, ausgerechnet im Gottesdienstraum hinter dem Bibelspruch «Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer.»
Erfolg und Anfeindung in Argentinien
Der Reporter der Süddeutschen Zeitung für die Region Lateinamerika, Christoph Gurk, schrieb in einem Artikel, dass die Serie in Argentinien ein Hit sei. Autorin Claudia Piñeiro und der Regisseur Marcelo Piñeyro hatten nach eigenen Angaben bereits am Drehbuch gearbeitet, als es tatsächlich einen Mordversuch gab: Am 6. September 2018 wurde eine Messer-Attacke auf den damaligen brasilianischen Präsidentschaftskandidaten Jair Bolsonaro verübt. Auch von ihm hatte anfangs fast niemand gedacht, dass er einmal Präsident werden könnte. An seinem Erfolg sind massgeblich die brasilianischen Freikirchen beteiligt.
«Längst haben sich die evangelikalen Tempel in Rio oder São Paulo zu Mega-Kirchen entwickelt, mit mehreren Tausend Plätzen und eigenen Radiostationen und Fernsehsendern», schreibt Gurk. Seit August läuft «El Reino» bei Netflix, und zwar nicht nur in Argentinien, sondern auch in 190 anderen Ländern weltweit. In Argentinien und Lateinamerika sorge die Serie für Aufregung, weil sie das Bild der Evangelikalen auf dem Kontinent sehr angreife, so der Korrespondent. Überall in Lateinamerika wachsen die Gemeinden der Pfingst- und Freikirchen. In Bolivien marschierte die damalige neue Präsidentin mit einer Bibel in der Hand in den Regierungspalast, berichtet Gurk; in El Salvador sucht ebenfalls der junge Präsident Nayib Bukele den Rückhalt der Evangelikalen.
In Argentinien gab es massiven Widerstand gegen «El Reino». Eine evangelikale Dachorganisation publizierte einen offenen Brief, in dem der Serie vorgeworfen wird, nur auf Hass zu bauen und darauf ausgelegt zu sein, Ablehnung gegenüber den Gläubigen zu schüren. Im Internet habe es üble Beschimpfungen gegen die Autorin Piñeiro und den Regisseur Piñeyro gegeben. Filmisch ist die Serie zwar aufwendig gemacht, der Plot wird aber zunehmend verwirrender. Als Polit-Krimi kann «Dein Reich komme» kaum fesseln, als Gruselkabinett mit schrägen Christen taugt sie allerdings.
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Autor: Jörn Schumacher
Quelle: PRO Medienmagazin
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