Christliche Ostmission
Menschenhandel – auch in der Schweiz
Der moderne Menschenhandel floriert. Jährlich geraten zweieinhalb Millionen Menschen in Sklaverei. Ausbeutung gibt es auch in der Schweiz. Beatrice Käufeler, Projektleiterin bei der Christlichen Ostmission (COM), tritt für misshandelte Frauen und gefährdete Kinder ein.
wort+wärch: Beatrice Käufeler, warum werden Mädchen gehandelt und Frauen zur Prostitution gezwungen?
Beatrice Käufeler: Meistens ist es existentielle Not, die Menschen in diese Falle treibt – vor allem Frauen. In Ländern wie Nepal oder auch in Südosteuropa mangelt es an Erwerbsmöglichkeiten; politische Instabilität und Katastrophen wie das Erdbeben in Nepal 2015 hindern die Menschen, sich aus der Armut herauszuarbeiten. Auch durch die Korruption haben sie keine Zukunftsperspektive.
Und Menschenhändler schlüpfen durch die Netze...
Ja, sie schmieren Beamte. Und machen grossen Profit. Wenige kommen vor den Richter. Seien wir uns bewusst: Der Handel wird betrieben, weil starke Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen, billigen Arbeitskräften und – vor allem in Süd- und Ostasien – nach Organen besteht.
Werden die Mädchen und jungen Frauen in Nepal gelockt oder gedrängt, den versprochenen «guten» Job in der fernen Metropole anzunehmen? Werden sie getäuscht, von ihrer Familie verkauft oder treffen sie den Entscheid selbst?
Das ist sehr unterschiedlich. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass sie aus sehr schwierigen Familiensituationen kommen. Mädchen haben zum Unterhalt der Familie beizutragen; in der Hindu-Kultur erwartet man das von ihnen. Tun sie es nicht, verlieren sie ihr Gesicht und werden abgelehnt. Sie sagen Ja zum Job, um ihre Familie zu unterstützen. Andere Mädchen halten es wegen Gewalt oder Vernachlässigung nicht mehr aus – auch Knaben gehen deswegen weg und leben auf der Strasse. Viele Väter haben sich im Ausland verdingt; oft kommt von ihrem Verdienst wenig nach Hause. Daneben gibt es Familien, die ihre Teenie-Tochter verkaufen, im Bewusstsein des Elends, das auf sie wartet.
Frauen, die bei uns ausgebeutet werden, kommen mehrheitlich aus armen Gegenden Südosteuropas. Welche Nöte nutzen Menschenhändler dort aus?
Meist sind es auch dort existenzielle und soziale Nöte. Auch die Zugehörigkeit zu einer marginalisierten Volksgruppe erhöht das Risiko. Gefährdet sind Menschen mit wenig Schulbildung, die sich illegal in einem Land aufhalten oder auf der Flucht sind. Zudem kann eine emotionale Abhängigkeit von einem «Loverboy» zu Ausbeutung und Handel führen. Das geschieht auch hierzulande.
Sie haben darauf hingewiesen, dass es Handel ohne Nachfrage nicht gäbe. Wie kommt es, dass unsere Gesellschaft Menschenhandel hinnimmt?
Ein Hauptgrund ist Unwissen. Ich glaube, Schweizer würden aufstehen, wenn sie die Tragödien kennen und die Hintergründe erfassen würden. Die Zeitungen berichten vermehrt – zuletzt über den Berner Prozess gegen die thailändische Menschenhändlerin. Die Tragödie der 39 Menschen, die in Essex im LKW starben, hat ein grelles Schlaglicht auf die abscheulichen Praktiken der Schlepper geworfen.
Seit 15 Jahren informieren wir in christlichen Gemeinden. Neuerdings gehen wir auch auf die Strasse, um die Leute zu sensibilisieren. Für den Herbst 2020 ist in Bern eine Kundgebung geplant. Wir stellen fest: Ganz viele sind nicht informiert, andere relativieren das Unrecht als etwas, das es bei uns kaum gebe. So ist die Bereitschaft gering, dagegen anzugehen.
Natürlich gibt es auch Interessenkonflikte. Gewisse Gewerbe sind lukrativ, etwa für Vermieter und Bordellbetreiber. Sexuelle Ausbeutung findet im Rotlichtmilieu statt – in Massagesalons, Bordellen und oft auch in Privatwohnungen. Sie betrifft auch in der Schweiz mehr Menschen, als am Arbeitsplatz oder im Asylwesen ausgebeutet werden. Vor Jahren hat man geschätzt, dass Prostitution in der Schweiz täglich 8,8 Millionen Franken Umsatz bringt – 3,5 Milliarden Franken im Jahr.
Menschenhandel sieht man nicht – will man ihn nicht sehen?
Er steht bei uns unter Strafe (StGB Art. 182). Zwei nationale Aktionspläne zeigen das Bemühen des Bundes, dem Menschenhandel zu wehren. Die vom Eidg. Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) 2003 eingerichtete Koordinationsstelle ging von 1'500 bis 3'000 ausgebeuteten Frauen aus. Die Dunkelziffer ist hoch. Grenzkantone wie der Tessin, Aargau und Zürich sind mehr betroffen und tun mehr. Wo die Polizei aktiver ist, gibt es mehr Fälle. Auch durch Runde Tische und Vernetzung kann man mehr Ausgebeutete identifizieren.
Wir werden mit dem Leid der Opfer konfrontiert und sehen die Qual, die viele erleben. Angesichts dieser Not genügt das, was getan wird, überhaupt nicht.
Was benötigen die Opfer?
Sie können nicht selbst reden, sind traumatisiert, haben Angst vor Konsequenzen und Sprachbarrieren. Die Frauen brauchen Leute, die für sie aufstehen und Gewalt und Ausbeutung ans Licht bringen. Zudem benötigen sie Schutz.
Die Schweiz gewährt ihnen Schutz für mindestens dreissig Tage; in dieser Zeitspanne sollen sie ihre Aussage machen. Und dann sind sie so lange geschützt, wie das Gerichtsverfahren andauert. Nachher müssen sie in der Regel unser Land verlassen. (In anderen Ländern ist der Opferschutz nicht an eine Frist und Aussage gebunden.) Jedenfalls müssten mehr Ressourcen zur Verfügung gestellt werden in den kantonalen Polizeikorps. Die Opfer müssen gesucht werden!
Wo arbeitet die Ostmission und wie hilft sie?
Aktuell in Nepal, Indien und Kambodscha, in Moldawien und Nord-Mazedonien. Wir helfen Frauen, aus der Ausbeutung herauszukommen, und geben ihnen die Chance für einen Neubeginn. Auch Aufklärungsarbeit und präventive Massnahmen für gefährdete Kinder sind Schwerpunkte. In Weissrussland führten wir 2017 mit dem Roten Kreuz eine landesweite Kampagne gegen Menschenhandel durch.
Sie engagieren sich als Christin. Was motiviert Sie dranzubleiben?
Der Gott der Bibel ruft uns zum Einsatz für die Menschen am Rande. Nicht nur für Witwen und Waisen, sondern auch für Ausgebeutete und Unterdrückte. Wir sollen Böses, das im Finsteren abläuft, ans Licht bringen. Nächstenliebe ist mehr als nett sein zum Nächsten. Finden wir uns nicht mit Unrecht ab!
Dieser Artikel erschien zuerst im Magazin wort+wärch.
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Autor: Peter Schmid
Quelle: wort+wärch
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