«Gott hilft»-Leiter Daniel Zindel
«Wir sollten Hierarchie nicht negativ bewerten»
Wie kann man andere für eine Sache begeistern – und was braucht es, um diese Sache auch zu Ende zu führen? Daniel Zindel gibt im im Gespräch mit der christlichen Studierendenbewegung VBG ein paar Tipps zu Führung und Leiterschaft aus seinen 27 Jahren Leitungserfahrung bei der Stiftung Gott hilft.VBG-Magazin «bausteine»: Daniel Zindel, was heisst «Führen» überhaupt?
Daniel Zindel: Führen heisst, mit anderen zusammen einen Auftrag zu erfüllen. Wir
wollen Ziele und Resultate erreichen, die der übergeordneten Vision
entspringen. Allein geht das nicht, weil der Auftrag so gross und so
komplex ist, dass es nur als Team machbar ist.
Können alle Persönlichkeiten führen?
Die Gründerpersönlichkeit der Organisation,
die ich leite, brachte eine abgebrochene Berufslehre mit und eine aus
heutiger Sicht sehr bescheidene Ausbildung als Heilsarmeeoffizier. Er
hatte jedoch eine sehr klare Berufung von Gott, sein Leben «heimatlosen
Kindern», wie er sie nannte, zur Verfügung zu stellen. Zu seiner
Berufung stellte sich seine Hingabe. Und dann ist es oft wie bei James
Bond: Wenn man eine neue Mission erhält, wird man mit allem Nötigen
ausgerüstet.
In der Regel bringt man aber auch natürliche Begabungen zum Führen mit. Die können sehr verschieden sein: Analytische Fähigkeiten, hohe kommunikative Kompetenzen, Charisma, Fleiss, Intuition oder soziale Kompetenzen. Narzisstische Menschen, die nur sich selbst sehen, drängen auch in Politik und Führung. Sie können sich aber schlecht unter den Auftrag einer Sache stellen. Leider merken das alle anderen, nur sie selber nicht.
Was unterscheidet eine christliche Leitungsperson von einer säkularen?
Die christliche Führungsperson unterscheidet sich in Bezug auf das
Führungshandwerk nicht von säkularen Personen. Es gibt keine christliche
SWOT-Analyse (die Beurteilung der Schwächen und Stärken, der Chancen
und Gefahren einer Organisation), sondern nur eine sorgfältige oder eine
schludrige. Die christliche Leitungsperson nimmt jedoch ihre Arbeit mit
und vor Christus wahr. Das hat verschiedene Konsequenzen. Zum Beispiel
in der Unternehmensethik: Du kannst mit Christus nicht rote Linien
überschreiten, nur um schwarze Zahlen zu schreiben. Oder auch in der Art
und Weise, wie Entscheidungen gefällt werden. Die christliche
Leitungsperson wird in Entscheidungen immer auch die Frage mitbedenken:
«Gott, wie siehst du die Sache?»
Sie sind auch als Coach tätig. Wo drückt Führungspersonen der Schuh?
Ein wichtiges Thema ist die Balance von Beruf und Familie. Gerade für
Männer, die Führungsverantwortung tragen und in einem Jobsharing mit
ihrer Frau stehen, ist die Herausforderung gross. Zudem brauchen sie ein
«hartes Herz fürs Leben und ein weiches Herz fürs Lieben» (Jeremias
Gotthelf). Das Meistern von hoher Komplexität ist ein Thema. In der
sozialen Arbeit beobachte ich den Druck, möglichst alle Risiken zu
eliminieren. Alles muss dokumentiert werden, jegliche Handlung muss
begründet und auf ihre Evidenz hin basiert sein. Ein Riesenaufwand, der
nur zum Teil durch die Digitalisierung abgefedert wird.
Aber eigentlich haben wir als Führungspersonen immer die grösste Aufgabe an uns selbst. Wir scheitern selten an unseren Pflichten und viel häufiger an uns selbst. Wie gehe ich mit (Versagens-)Ängsten um? Wie führe ich mich selbst? Wie setze ich um, was ich in der Theorie schon längst weiss? Das sind Fragen, die ich oft zu hören bekomme.
Was können Führungspersonen tun, um die Last auf verschiedene Schultern zu verteilen?
Ein Aha-Erlebnis war für mich die biblische Begegnung von Mose und Jethro.
Der Schwiegervater beobachtete seinen gestressten Schwiegersohn bei der
Rechtssprechung und sagte zu ihm: «Du bist völlig erschöpft, du und das
Volk, das bei dir ist, denn die Aufgabe ist zu schwer für dich, du
kannst sie nicht allein erfüllen» (Exodus Kapitel 18, Vers 18). Wenn wir alles selbst
schultern und am Limit laufen, setzen wir auch unsere Umgebung gewaltig
unter Druck.
Auf verschiedene Schultern verteilen? Zuerst musst du welche haben! Man muss zuerst die Lust an der Vision in die Herzen der Leute pflanzen, dann stellen sie ihre Schultern zur Verfügung. Gerade im ehrenamtlichen Engagement ist die Sinnhaftigkeit der Aufgabe extrem wichtig – neben dem Gemeinschaftserlebnis (und der Möglichkeit, einen zukünftigen Freund zu angeln). Wichtig ist dann aber auch, dass Mitarbeitende nicht nur eine Arbeit erledigen müssen, sondern Verantwortung bekommen. Und mit der Verantwortung sollten Kompetenzen verbunden sein und ein Gestaltungsraum. Partizipation heisst immer: Ein Teil von mir ist in diesem Projekt. Dann blühen wir auf und entwickeln uns.
Im Moment geht der Trend eher hin zu flachen Hierarchien. Wie bewertest du das?
Hierarchie kommt von hieros archos – die «heilige Ordnung».
Wir sollten Hierarchie nicht negativ besetzen! Wenn Menschen zusammen
einen Auftrag erfüllen, braucht es minimale Strukturen: Wie fällen wir
Entscheidungen? Wer steht am Schluss gerade? Gibt es Regeln und wer
setzt diese durch, so dass bei einer Teamsitzung der erste nicht wieder
gehen muss, bevor der Letzte eingetrudelt ist? Eine flache Hierarchie
setzt viel Kreativität und Eigenverantwortung frei. Sie kann aber auch
so flach sein, dass die Resultatorientierung flach herauskommt! Wir
diskutieren dann nur noch steil und endlos. Nicht zu vergessen: Wer
zuoberst auf der Hierarchiestufe steht, übernimmt die Verantwortung,
weise und weitsichtig Macht zum Wohl des Auftrags und aller
Teammitglieder zu gestalten.
Blicken wir in die Zukunft. Welche Kompetenzen brauchen die Führungskräfte von morgen?
Theorie und Wissen sind jederzeit abrufbar. Können und Kompetenzen
müssen schon aufgebaut werden, aber das lässt sich lernen wie das
Gitarrenspiel. Noch wichtiger scheint mir, dass die Führungskräfte von
morgen Charakter haben. Sie bringen Haltungen wie Humor, Hingabe, Demut,
Beharrlichkeit, Selbstbewusstsein und Sorgfalt für ihre Mitarbeitenden
mit. Dabei sind sie nicht abhängig von Menschen, sondern von ihrem
Meister, Jesus Christus.
Was raten Sie jungen Menschen, die erste Führungserfahrungen sammeln?
Super, das ist wie beim Segeln! Übung macht den oder die Meister/in.
Man kann noch so viel darüber lesen, erst in Wind und Wellen lernt man
es. Mache in deiner Führung Fehler, am besten nicht immer dieselben.
Frag nach jedem Fehler: Was kann ich daraus lernen? Und frag nach jedem
Erfolg: Was kann ich daraus lernen? Permanente Lernfähigkeit ist eine
Grundhaltung von Leitenden! Noch etwas: Es gibt ein veraltete Wort, die
«Amtsgnade.» Damit ist nicht nur gemeint, dass ein (Führungs-)Amt die
Person macht und fordert, sondern dass Gott einen besonderen Segen in
und mit dem Leitungsmandat für dich bereit hält. Eine Führungsaufgabe zu
übernehmen ist der beste Weg, persönlich, geistlich und führungsmässig
zu wachsen.
Zum Originalartikel auf dem VBG-Blog.
Zur Initiative der VBG für Leiterschaft und Mentoring.
Livenet-Talk «Leiten in herausfordernden Zeiten»:
Während der Coronakrise führt Livenet jeweils am Dienstag und Freitag eine Gesprächsrunde zu einem aktuellen Thema durch. Am Freitag, 24.02.2020 stand das Thema «Leiten in herausfordernden Zeiten» im Fokus. Hier im Youtube-Video gibt's diesen Livenet-Talk in voller Länge nachzuschauen:
Zum Thema:
Livenet-Talk: Authentischer Austausch von Frauen in Leiterschaft
Statt eingeengt und frustriert: Wie Leiter dem Erwartungsdruck entkommen können
Hoffnung wird stärker: Die Corona-Krise und unsere Zukunft
Autor: Jonas Bärtschi
Quelle: Bausteine/VBG
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