Leistungsdruck
«Ich muss nicht alles im Griff haben»
Spielt Gott eine Rolle, was unsere Wertvorstellungen und unsere Ziele betrifft? Diese Frage erachtet Ivan Brunner, Leiter der Organisation «SRS Pro Sportler Schweiz», beim Thema Leistung als zentral. Wir sind selbst verantwortlich für unser Tun. Aber wir müssen nicht aus eigener Kraft leben und leisten, sondern dürfen Gelassenheit lernen.
Wie kommt es, dass sich so viele Menschen manchmal bis zur Selbstaufgabe und zum Kollaps für etwas oder jemanden verausgaben?
Ivan Brunner: Gott hat uns Menschen mit Bedürfnissen geschaffen, diese sind gut und gottgewollt. Unter anderen treiben uns drei zentrale Motive an:
1.) Herausforderungen
Der Wunsch nach Herausforderungen durch schwierige, aber lösbare Aufgaben, verbunden mit der entsprechenden Anerkennung.
2.) Zugehörigkeit
Der Wunsch nach Zugehörigkeit in einem sozialen Netz, nach Gemeinschaft und Geborgenheit.
3.) Einfluss
Der Wunsch nach Einfluss auf andere Menschen, nach Autonomie und Entscheidungsspielraum. Dabei laufen wir Gefahr, das Mass zu verlieren und unsere Grenzen zu überschreiten – ganz besonders, wenn wir keinen Bezug zu unserem Schöpfer haben. Er hat diese Bedürfnisse in uns hineingelegt. Wir wollen jedoch unsere eigenen Werte definieren, uns eigene Ziele setzen und hätten am liebsten alles hier und jetzt – losgelöst von Gott. Selbstaufgabe oder Kollaps können die Folge davon sein, denn Gott hat sich unser Leben so nicht gedacht.
Religionsphilosoph Martin Buber schrieb, dass jeder Mensch berufen sei, etwas in der Welt zur Vollendung zu bringen. Wie lässt sich dies auf gesunde Weise erreichen?
Ich bin überzeugt, dass Gott für jeden Menschen Aufgaben hat. «Um etwas in der Welt zur Vollendung, zum Abschluss zu bringen», hört sich jedoch sehr gross an. Es ist nicht das «Grosse» oder das «Etwas», das die ganze Welt bestaunen muss. Es geht um die Menschen und Dinge in meinem Umfeld; ganz gleich wo und was ich bin und habe. Das setzt eine Grundzufriedenheit voraus: mit meinem Aussehen, meiner Bildung, meinem Gesellschaftsstand, meinem Besitz, usw. Aus dieser Zufriedenheit heraus kann ich meine Berufung heute und jetzt leben und somit «etwas» in der Welt zur Vollendung bringen, bzw. in meinem Umfeld «Grosses» bewirken.
Wie gehen Sie damit um, wenn Sie Ihre Grenzen spüren?
Ich trete einen Schritt zur Seite, weil ich weiss, Gott möchte nicht, dass ich meine Grenzen überschreite und mich dadurch «kaputtmache». Martin Luther sagte: «Ich habe heute viel zu tun, darum muss ich heute viel beten». Die Erkenntnis, dass mir durch Gott alles möglich ist (Die Bibel, Philipperbrief, Kapitel 4, Vers 13), führt mich in seine Abhängigkeit und in die Gelassenheit, wie das Luther-Zitat zum Ausdruck bringt. Mit diesem Bewusstsein fällt es mir leichter loszulassen, ich muss nicht alles im Griff haben. Mein Vertrauen in Gott wächst und ich werde mutig, wenn nötig, «nein» zu sagen. Ich kann Ruhe bewahren, wenn am Abend nicht alles erledigt ist. Dennoch ist es wichtig, meine Zeit gut einzuteilen, bewusst zu planen und Prioritäten zu setzen.
Gott hat den Menschen als «Leib-Seele-Geist-Wesen» dazu befähigt, Leistung zu erbringen: körperliche Leistungen in der Arbeit, geistige Leistungen über das Denken, einen Willen, um an Grenzen zu gehen und diese emotional auch aushalten zu können. Doch wir müssen nicht aus eigener Kraft leisten. In der Bibel, im 1. Korintherbrief, Kapitel 15, Vers 1 nimmt Paulus klar Stellung dazu: «Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.» Gott befähigt uns auch über unsere vermeintlichen Grenzen hinauszugehen, er möchte die Grenzen in unserem Leben erweitern. Das darf auch mal weh tun. Auf diese Weise schult er unseren Charakter, wir werden reifer und unser Vertrauen in ihn stärker. Wenn wir Gott in unsere Wertvorstellungen und Ziele miteinbeziehen, wird er uns nicht überfordern.
Was raten Sie Menschen, die unter Leistungsdruck leiden?
Die Frage ist: «Wofür leide ich?» Was sind meine Motive und bin ich dazu berufen oder getrieben? Antworten auf diese Grundfragen lassen erkennen, ob dieses Leiden leidenswert ist oder zur Selbstaufgabe oder zum Kollaps führt. Wichtig ist, Distanz zu gewinnen. Ich empfehle die folgenden Punkte:
• Freiraum schaffen, Inseln im Alltag, ungestörte Zeit, um mit Gott zu reden, in einem Raum oder in der Natur
• in der Bibel lesen
• christliche Inputs, Referate oder Musik hören, sehen und lesen
• sich austauschen mit ein, zwei guten Freunden und deren authentischen Rat einholen
• je nach Leidensdruck ist ein Coach ratsam, der professionell begleiten kann
Auch eine Auszeit von ein paar Tagen kann hilfreich sein. Ich persönliche bevorzuge die genannten Punkte, denn sie lassen sich regelmässig in den Alltag einbauen. Was ich erkannt habe, kann ich in kleinen Schritten täglich umsetzen – und so mein Denken und Tun immer mehr von Gott prägen und verändern lassen.
Zum Thema:
SRS-Seminar Mentaltraining: Sport und Alltag mit Hirn
«Werten – richtig oder falsch?»: SRS Sportarena unter anderem mit Stéphane Chapuisat
35 Jahre SRS Pro Sportler: Wenn es an einer Rangverkündigung plötzlich um Gott geht
Autor: Manuela Herzog
Quelle: Jesus.ch Print
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