Livenet-Talk

Ehe für alle – und jetzt?

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Livenet-Talk mit Ann Dällenbach, Christian Haslebacher, Michael Sieber und Stefan Zolliker
Am Sonntag entschied das Schweizer Stimmvolk, die Ehe auch für homosexuelle Paare zu öffnen. Im Livenet-Talk sprechen drei Theologen unterschiedlicher Strömungen darüber, was dies für die Kirchen bedeutet und wie Spaltungen überwunden werden können.

Für Stefan Zolliker, EMK-Pfarrer der Regenbogenkirche in Zürich Wollishofen, ist klar: Niemand hat am Sonntag verloren, auch die Heterosexuellen nicht – und die Homosexuellen haben eine Chance gewonnen. So steigt er in den Livenet-Talk unter Moderation von Florian Wüthrich ein.

Doch für den Regionalleiter Chrischona Ostschweiz Christian Haslebacher, der zudem Vorstandsmitglied beim Dachverband Freikirche.ch ist, gibt es durchaus Verlierer, etwa die Kinder, die aufgrund der Samenspende für lesbische Paare ohne Vater aufwachsen werden. «Wir leben jetzt schon immer stärker in einer vaterlosen Gesellschaft und das sehe ich mit einem gewissen Schmerz und kann das nicht einfach gutheissen. Der Unterschied ist, dass man es bisher als Mangel deklariert hat (…). Aber jetzt ist es das erste Mal, dass man es von Anfang an so installiert, die Vaterlosigkeit – und da glaube ich schon, dass es Verlierer gibt.»

Chrischona: Keine Trauung homosexueller Paare

Mit Blick in die Zukunft stellt sich nun die Frage, wie die Kirchen mit diesem Thema und den Fragen drum herum umgehen. Stefan Zolliker hofft, dass die Evangelisch-methodistische Kirche sich bald für Segnungen von Homosexuellen öffnet. Christian Haslebacher dagegen weiss schon jetzt, dass der Chrischona-Verband dies nicht einführen wird. «Natürlich werden wir homosexuelle Menschen segnen – es gibt einen Segen, der für alle Menschen gilt. (…) Aber die homosexuelle Beziehung im Stil einer Trauung segnen, das werden wir in Zukunft nicht tun.» Er sei sich bewusst, dass es auch bei den vielen neuen Forderungen für die Kirchen immer schwieriger werden wird, nicht auf diesen Kurs umzuschwenken und dass das Klima auch für traditionelle Pfarrer in der Landeskirche schwieriger werden wird, gerade im Bezug auf die Gewissensfreiheit.

Dass das Thema Gewissensfreiheit zwei Seiten hat, zeigt die Anmerkung des dritten Gastes der Runde: Ann Dällenbach ist Theologin und Leiterin von Erwachsenen-Deutschkursen. Sie weiss seit drei Jahren, dass sie queer ist und spricht in diesem Zusammenhang auch den umgekehrten Fall an – die Gewissensfreiheit der Pfarrer, die wie Stefan Zolliker gerne homosexuelle Paare trauen würden, dies aber aufgrund der Kirchenstrukturen nicht dürfen.

Willkommen in der Kirche?

Emotional und sehr persönlich wird es, als es um den Platz homosexueller und queerer Menschen in den Kirchen geht. In einem eingespielten Beitrag erklärt Michael Sieber, Executive Pastor des ICF Zürich: «Wir segnen Mann und Frau und trauen sie vor Gott als Ehepaar; das werden wir bei homosexuellen Paaren nicht machen, weil wir die Bibel nicht so verstehen. Wir möchten nicht das segnen, von dem wir glauben, dass Gott es nicht segnet.» Auch sei es für eine Person, die Homosexualität auslebt, weiterhin nicht möglich, im ICF eine leitende Position einzunehmen.

Dies stellt für Ann Dällenbach ein grosses Hindernis dar: Sie respektiere die Haltung von Pastoren wie Christian Haslebacher, frage sich aber, wie willkommen sich Menschen der LGBTIQ-Bewegung da fühlen. «Ich glaube, dass Jesus auch seine Regenbogenschafe gern hat, dass sie einen Platz in seinem Herzen haben und auch einen Platz in seiner Kirche haben sollten.» Wenn der Weg und das Ziel so klar seien wie beim ICF – das Ziel der Ehe zwischen Mann und Frau und Familiengründung –, dann bedeute das für sie nicht «willkommen sein».

Miteinander statt übereinander

Zum Ende spricht Christian Haslebacher noch zwei Grundsätze an, die für restlos jeden Menschen gelten: «Wir alle sind geliebter und gewürdigter, als wir je glauben könnten. Und die zweite Aussage ist: Gleichzeitig sind wir alle auch fehlbarer und kaputter, als wir je denken könnten.» Wenn er sich gegen eine bestimmte Bewegung ausspreche, so tue er das immer im Wissen, dass er selbst fehlbarer und kaputter sei, als er je denken könnte. «Ich probiere immer, auf Augenhöhe zu reden und möchte auch jeder Person aus der LGBTIQ-Bewegung mit der Haltung begegnen: Du bist geliebter und gewürdigter, als du je glauben könntest!»

Diese Begegnung auf Augenhöhe ist enorm wichtig, denn durch die unterschiedlichen theologischen und biblischen Ansichten werden Situationen völlig unterschiedlich aufgenommen. Deshalb appelliert Ann Dällenbach zum Schluss: «Redet nicht nur über uns, sondern redet auch mit uns – und hört zu, wie wir es empfinden, wie es für uns klingt. Miteinander reden, aufeinander hören, vielleicht versuchen, zu verstehen – ich glaube, da kommen wir schon viel weiter.»

Sehen Sie sich hier den ganzen Livenet-Talk an:


Zum Thema:
SEA und Freikirchen.ch: Freiheit der Kirchen wahren und weiter mutig für christliche Werte einstehen
Gespräch mit Florian Sondheimer: Livenet-Talk mit «Ehe für alle»-Gegner
Gespräch mit Renato Pfeffer: Livenet-Talk mit «Ehe für alle»-Befürworter

Datum: 28.09.2021
Autor: Rebekka Schmidt
Quelle: Livenet

Kommentare

Vor 30 Jahren hatte ich mein Outing, was in der Chrischona zur Folge hatte, dass ich so lange diskriminiert und verurteilt wurde, bis ich von selber ausgetreten bin. Wie Herr Haslebacher selber sagt, will er keine Massnahmen umsetzen, damit sich Queers in seiner Kirche auch wirklich willkommen fühlen. Das macht mich traurig, dass sich die Kirche keinen Millimeter weit bewegt. Umso glücklicher bin ich, dass ich mein geistliches Zuhause in der Regenbogenkirche gefunden habe. Adiö, liebe Chrischona, ich brauche dich nicht. Ich habe dich vor einiger Zeit verlassen. Was soll ich in einem Verein, der mich nicht ganz und so akzeptiert, wie ich bin? Meinen Glauben an Jesus verlasse ich aber nicht.

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