Amerika

Dient Religion nur dem Wohlfühlen?

In Amerikas grösster Kirche gibt es Spielautomaten, aber kein Kreuz. Jedes Wochenende werden 30000 Besucher verzeichnet. Aus dem urmenschlichen Bedürfnis, sich wohl zu fühlen, ist ein Markt geworden.

Patricia Davis aus Houston kann sich noch gut an die Zeiten erinnern, in denen sie hier Popkonzerte besuchte und Bands wie den Rock-Oldies «ZZ Top» zujubelte. Doch heute ist die 38-Jährige gekommen, um in der riesigen Halle Gott zu huldigen. «Das hier ist jetzt mein Zufluchtsort», sagt sie.

Davis nimmt an einem Gottesdienst der Lakewood Church im texanischen Houston teil. Jedes Wochenende besuchen ihn durchschnittlich 30000 Anhänger aller christlichen Konfessionen. Allein der Chor umfasst 500 Mitglieder.

Ungewöhnliche Mega-Kirche

Um Platz für die Massen von Kirchgängern zu schaffen, suchte sich die Gemeinde das ehemalige Hauptquartier der Basketballer der «Houston Rockets» aus. Für 95 Millionen Dollar liess sie die Anlage umgestalten. 16000 Menschen passen jetzt pro Gottesdienst hinein.

Nirgendwo ist ein Kreuz zu sehen, es gibt keine bunten Kirchenfenster, keine harten Bänke zum Niederknien, nicht eine einzige religiöse Darstellung. Nichts erinnert auch nur im Entferntesten an eine Kirche. Wohl aber liessen die Architekten zwei künstliche Wasserfälle anlegen und so viel Teppichboden verlegen, dass man damit neun Fussballfelder abdecken könnte. Ausserdem gibt es ein Café mit kabellosem Internet-Zugang, 32 Spielautomaten und einen grossen Tresor, in dem die Spenden der Gläubigen weggeschlossen werden.

Erfolgreichster Fernsehprediger

Entstanden ist all dies im Auftrag von Joel Osteen, einem telegenen Texaner mit breitem Lachen und gegeltem Haar. Osteen, der niemals ein Priesterseminar von innen gesehen und sein Studium nach einem Jahr abgebrochen hatte, nennt sich «Senior-Pastor» von Lakewood und ist zurzeit Amerikas erfolgreichster Fernsehprediger.

Sein Gottesdienst kann von 200 Millionen Amerikanern im Fernsehen empfangen werden. Dazu hat er eine eigene TV-Produktionsgesellschaft gegründet, die nach Ansicht von Medienexperten besser ausgerüstet ist als die meisten Fernsehsender.

Macht des Positiven

Osteens Geheimrezept ist die Macht des Positiven: «Meine Botschaft ist, dass Gott ein guter Gott ist», sagt er. «Er will, dass wir alle glücklich, gesund und ausgeglichen sind.» Es gehe darum, Menschen in ihrer Existenz positiv zu bestätigen.

Osteen vermeidet umstrittene Themen wie Abtreibung und Homosexualität und beschäftigt sich erst recht nicht mit komplizierten theologischen Problemen. Auf die Frage, warum Gott das Leid zulässt, antwortet er: «Ich habe keine Ahnung. Alles, was man da machen kann, ist, sich von Gott trösten zu lassen und sein Leben weiterzuleben.»

Geld und Geist

Die Lakewood Church wurde 1959 von Osteens Vater John gegründet, einem ehemaligen Baptistenpfarrer aus dem Süden Amerikas. Als dieser 1999 starb, wurde Joel an seiner Stelle Senior-Pastor und konnte die Zahl der Gemeindemitglieder vervierfachen. Von seinem Buch «Your Best Life Now» verkaufte er 2,8 Millionen Exemplare und ist seitdem Multimillionär.

Er wohnt in einem Haus für 2,2 Millionen Dollar, fliegt nur Business-Class und steigt grundsätzlich in sehr teuren Hotels ab. Doch er bezahlt seine Rechnungen aus der eigenen Tasche und verzichtete im vergangenen Jahr auch auf sein Pastoren-Gehalt von 200.000 Dollar. Erst kürzlich legte er völlig ungezwungen die Bilanzen seiner Gemeinde der letzten zwei Jahre vor.

Selbst seine Kritiker müssen anerkennen, dass in Lakewood keine Gelder veruntreut werden. «Osteen heilt einige Wunden auf dem Gebiet des Tele-Evangelismus», sagt Alan Wolfe von der Universität Boston. «Er steht in der Tradition von Jim Bakker, ihm geht es aber mehr um das psychische Wohlergehen seiner Gläubigen.»

Seine Kritiker glauben allerdings nicht, dass Osteens Stern lange am Himmel erstrahlen wird. Er sei ein König mit grosser Ausstrahlungskraft, doch seine Theologie sei ohne tiefe Inhalte. Das Phänomen Osteen werde nicht von Dauer sein, weil es auf wenig Substanz basiere, sagt der Theologe Olie Anthony von der Trinity-Stiftung in Dallas, die seit Jahren Fernseh-Evangelisten untersucht. «Es ist wie Zuckerwatte: Einmal reinbeissen, und man hat nichts im Mund.»

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Datum: 25.10.2005
Quelle: Epd

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