Mehr als eine Kinderfrage
Wo wohnt Gott eigentlich?
Natürlich hat er keine Postadresse. Doch die Frage, wo Gott zu finden ist, sagt viel über ihn aus – und genauso viel über unser Gottesbild.
Letzte Woche bekam ich eine Paketsendung. Eigentlich sollte sie bereits vor Weihnachten zugestellt werden, doch es gab da einen kleinen Fehler bei der Anschrift: Als Hausnummer stand 96 auf dem Adresskleber und nicht 69. Der freundliche Paketbote hat uns trotzdem gefunden – es hat nur zwei Wochen länger gedauert.
Wie ist das eigentlich bei Gott? Wo wohnt er? Ich spreche hier nicht von seiner Postanschrift, denn dass es die nicht gibt, ist klar. Auch wenn es wirklich nette und ermutigende Geschichten gibt, die mit dem Gedanken spielen, was passiert, wenn Menschen «Briefe an Gott» schreiben. Aber wo ist Gott? Wie ist er erreichbar? Gibt es Orte, an denen er besonders gut zu finden ist?
Unbekannt verzogen
1961 hatte Russland den Wettkampf gegen die USA gewonnen und schickte den ersten Menschen ins All. Nach seiner Rückkehr soll der Kosmonaut Juri Gagarin einem westlichen Journalisten erzählt haben: «Ich bin in den Weltraum geflogen und habe mich dort umgesehen – Gott habe ich nicht gefunden.» Natürlich war es schon vorher klar, dass Gott weder auf Wolke sieben noch in einem Reihenhaus in der Milchstrasse wohnt, doch Gagarins Äusserung sollte unterstreichen: Wer wissenschaftlich vorgeht, der braucht Gott nicht mehr. Interessanterweise scheint es so, als ob ihm diese Aussage vom damaligen sowjetischen Regierungschef Nikita Chruschtschow in den Mund gelegt wurde. Laut dem russischen Journalisten Anton Pervushin war Gagarin stattdessen davon überzeugt: «Ein Astronaut kann nicht ins All fliegen und Gott nicht in seinem Kopf und in seinem Herzen haben!»
Mehr als eine Briefkastenfirma
Gott ist nicht einfach diesseitig und greifbar. Die Bibel beschreibt ihn als transzendentes Wesen – also jemanden, der unsere Wirklichkeit «übersteigt» (transcendere). So ist es kein Wunder, dass sich manche seiner Aufenthaltsorte, von denen in der Bibel die Rede ist, seltsam abstrakt anhören. «Du bist heilig, der du wohnst unter den Lobgesängen Israels» steht zum Beispiel in Psalm 22, Vers 4.
Damit seine Leute trotzdem einen Ort hatten, an dem sie sich der Gegenwart Gottes bewusst waren, bauten sie einen Tempel. Nach dessen Fertigstellung erlebte Salomo: «Die Herrlichkeit des HERRN erfüllte das Haus.» (2. Chronik, Kapitel 7, Vers 1). Doch obwohl Gott dort in gewisser Weise gegenwärtig war und rund um den Tempel das gottesdienstliche Leben stattfand, war schon damals klar, was der Diakon Stephanus in seiner Predigt unterstrich: «Der Höchste wohnt nicht in Tempeln, die von Händen gemacht sind, wie der Prophet spricht: 'Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel für meine Füsse. Was für ein Haus wollt ihr mir bauen, spricht der Herr, oder wo ist der Ort, an dem ich ruhen soll? Hat nicht meine Hand das alles gemacht?'» (Apostelgeschichte, Kapitel 7, Verse 48-50). Eine «Briefkastenadresse» war der Tempel sowieso nie, denn Gott war nie der geheimnisvolle Hintermann, der sich verstecken wollte: Er suchte ja im Gegenteil nach Wegen sich zu zeigen, ohne sich auf eine Adresse zu reduzieren.
Auf dem Zeltplatz
Auch im Neuen Testament ist die Rede davon, dass Gott bei uns Menschen Wohnung nimmt. Das tut er auf ganz besondere Weise: Er wird Mensch. Johannes beginnt sein Evangelium damit, dass er erklärt: «Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns; und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit» (Johannes, Kapitel 1, Vers 14). Darin begegnen sich die Ideen der Ewigkeit Gottes («Im Anfang») und einer besonderen Vorläufigkeit, denn das Wort «zeltete» (so wörtlich) eigentlich bei uns.
Ein greifbarer Wohnort Gottes kristallisiert sich also nicht heraus – wie auch? Trotzdem schafft Gott immer wieder Begegnungsorte wie den Tempel und ein hohes Mass an Identifikation, indem er sich in Jesus «begreifbar» macht.
c/o
Wer länger irgendwo zu Gast ist, kann sich über die Adresse seiner Gastgeber anschreiben lassen: Der Zusatz c/o (care of) zeigt, dass er hier zumindest zeitweise wohnt. Der jüdische Philosoph Martin Buber erzählte dazu einmal eine Geschichte: «Rabbi Mendel von Kozk überraschte einst einige gelehrte Männer, die bei ihm zu Gast waren, mit der Frage: 'Wo wohnt Gott?' Sie lachten über ihn: 'Wie redet Ihr! Ist doch die Welt seiner Herrlichkeit voll!' Er aber beantwortete die eigene Frage: 'Gott wohnt, wo man ihn einlässt.' Das ist es, worauf es letztlich ankommt: Gott einlassen.» (zitiert nach Margret Obereder) Dieser Gedanke ist immer wieder ungewohnt, doch er zieht sich als roter Faden durch die Geschichte Gottes. Gott wohnt nicht in einem Gebäude – auch in keiner Kirche –, sondern in seinen Menschen (1. Korinther, Kapitel 6, Vers 19).
Überall …
Gleichzeitig begrenzt diese Haltung Gott wieder. Ja, er wohnt dort, wo man ihn einlässt, aber wohnt er nicht dort, wo das nicht geschieht? «Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte», sagt Jesus seinen Jüngern (Matthäus, Kapitel 18, Vers 20). Aussagen wie diese sind ein Versprechen, das Hoffnung machen soll, und keine Waffe, die ausgrenzt. Auch dies wird an einer jüdischen Anekdote deutlich: «Einmal bringt eine Mutter ihren Sohn zum Rabbiner. Der sagt zu dem Jungen: 'Ich gebe dir einen Gulden, wenn du mir sagst, wo Gott wohnt.' Der Junge lächelte nur antwortete: 'Und ich gebe Ihnen zwei Gulden, wenn Sie mir sagen, wo er nicht wohnt.'»
Zum Thema:
Von Menschen und Tempeln: Wo Gott wirklich wohnt
Zur Jahreslosung 2022: «Jesus ist Annahme pur»
Das magische Auge: Wie man Gott «sehen» kann
Autor: Hauke Burgarth
Quelle: Livenet
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